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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Die Baummolle

Ostschlesier, darunter auch mancher Deutsche, unter Mieroslawski oder
Langiewicz mit gegen die Russen gefochten, weil sie meist durch Gelegenheit
oder Zufall in den Strom mit hineingezogen worden waren, aber von einer
nationalen Teilnahme oder Erregung der ostschlesischen polnischen Bevölkerung
war dabei gar nicht die Rede. Die Stimmung war uuter den dortigen
Deutschen, der allgemeinen liberalen Tagesströmung gemäß, wärmer und
polenfreundlicher als unter den Polen selbst. Die polnische Agitation in Ost¬
schlesien hat erst nach der gescheiterten Revolution in Russisch-Polen vom
Jahre 1863 begonnen, doch soll nicht gänzlich in Abrede gestellt werden, daß
es einzelne stille Schwärmer gegeben hat, die vielleicht infolge von Anregungen
aus Kraken und aus Warschau oder auf Grund eigner Belesenheit für polnische
Ideen Begeisterung gefaßt hatten.

(Schluß folgt)




Die Baumwolle
von E. Gerland

>ohl selten hat es eine größere Krise in der Industrie und im
Handel gegeben, als die Baumwvllhungersnot lootton lÄnrms),
das Aufhören von Zufuhren an Rohmaterial infolge des ameri¬
kanischen Bürgerkriegs, das nach dem Jahre 1860 des ver-
I gangnen Jahrhunderts sämtliche Spinnereien und Webereien in
Lancashire zum Stillstand brachte und Hunderttausende von Arbeitern nicht
für Monate, sondern für Jahre ihres Verdienstes beraubte. In der Tat ein
dunkler Punkt in der an großartigen Erfolgen so reichen englischen Jndustrie-
und Handelsgeschichte. Aber wenn dabei eins zu bewundern ist, so ist es die
zähe Energie, mit der sofort Gegenmaßregeln ergriffen wurden. Die Lotton
suppig W8oeig.tioii durchspähte die ganze Erde, um an geeigneten Plätzen die schon
vorhcmdne Banmwollproduktion zu fördern oder eine neue ins Leben zu rufen.

Jedoch weder Indien noch Süd- und Zentralamerika, weder Ägypten
noch Italien und die Levante konnten auf die Dauer die nordamerikanische
Zufuhr entbehrlich machen, und so hatten schließlich die Bestrebungen der
Assoziation nur auf einem Gebiete einen dauernden Erfolg, nämlich auf dem
der Wissenschaft selbst. Es waren namentlich die Italiener, die sich damals
der Frage einer Wiederbelebung des Baumwollbaus in ihrem Lande -- der
ja im Mittelalter schon einmal in Sizilien und in Unteritalien eine gewisse
Bedeutung gehabt hatte -- energisch annahmen und ihn durch botanische
Studien zu fördern suchten. Die namentlich für die Unterscheidung der Spezies
grundlegenden Arbeiten von Todaro und Parlatore verdanken diesen Zeit¬
verhältnissen ihre Entstehung, und so hat sich Italien wenigstens dadurch einen
bleibenden Namen in der Geschichte der Baumwolle erworben, wenn auch die
Hoffnungen, die man damals an die wirtschaftliche Konstellation knüpfte, nicht
in Erfüllung gegangen sind.


Die Baummolle

Ostschlesier, darunter auch mancher Deutsche, unter Mieroslawski oder
Langiewicz mit gegen die Russen gefochten, weil sie meist durch Gelegenheit
oder Zufall in den Strom mit hineingezogen worden waren, aber von einer
nationalen Teilnahme oder Erregung der ostschlesischen polnischen Bevölkerung
war dabei gar nicht die Rede. Die Stimmung war uuter den dortigen
Deutschen, der allgemeinen liberalen Tagesströmung gemäß, wärmer und
polenfreundlicher als unter den Polen selbst. Die polnische Agitation in Ost¬
schlesien hat erst nach der gescheiterten Revolution in Russisch-Polen vom
Jahre 1863 begonnen, doch soll nicht gänzlich in Abrede gestellt werden, daß
es einzelne stille Schwärmer gegeben hat, die vielleicht infolge von Anregungen
aus Kraken und aus Warschau oder auf Grund eigner Belesenheit für polnische
Ideen Begeisterung gefaßt hatten.

(Schluß folgt)




Die Baumwolle
von E. Gerland

>ohl selten hat es eine größere Krise in der Industrie und im
Handel gegeben, als die Baumwvllhungersnot lootton lÄnrms),
das Aufhören von Zufuhren an Rohmaterial infolge des ameri¬
kanischen Bürgerkriegs, das nach dem Jahre 1860 des ver-
I gangnen Jahrhunderts sämtliche Spinnereien und Webereien in
Lancashire zum Stillstand brachte und Hunderttausende von Arbeitern nicht
für Monate, sondern für Jahre ihres Verdienstes beraubte. In der Tat ein
dunkler Punkt in der an großartigen Erfolgen so reichen englischen Jndustrie-
und Handelsgeschichte. Aber wenn dabei eins zu bewundern ist, so ist es die
zähe Energie, mit der sofort Gegenmaßregeln ergriffen wurden. Die Lotton
suppig W8oeig.tioii durchspähte die ganze Erde, um an geeigneten Plätzen die schon
vorhcmdne Banmwollproduktion zu fördern oder eine neue ins Leben zu rufen.

Jedoch weder Indien noch Süd- und Zentralamerika, weder Ägypten
noch Italien und die Levante konnten auf die Dauer die nordamerikanische
Zufuhr entbehrlich machen, und so hatten schließlich die Bestrebungen der
Assoziation nur auf einem Gebiete einen dauernden Erfolg, nämlich auf dem
der Wissenschaft selbst. Es waren namentlich die Italiener, die sich damals
der Frage einer Wiederbelebung des Baumwollbaus in ihrem Lande — der
ja im Mittelalter schon einmal in Sizilien und in Unteritalien eine gewisse
Bedeutung gehabt hatte — energisch annahmen und ihn durch botanische
Studien zu fördern suchten. Die namentlich für die Unterscheidung der Spezies
grundlegenden Arbeiten von Todaro und Parlatore verdanken diesen Zeit¬
verhältnissen ihre Entstehung, und so hat sich Italien wenigstens dadurch einen
bleibenden Namen in der Geschichte der Baumwolle erworben, wenn auch die
Hoffnungen, die man damals an die wirtschaftliche Konstellation knüpfte, nicht
in Erfüllung gegangen sind.


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[0401] Die Baummolle Ostschlesier, darunter auch mancher Deutsche, unter Mieroslawski oder Langiewicz mit gegen die Russen gefochten, weil sie meist durch Gelegenheit oder Zufall in den Strom mit hineingezogen worden waren, aber von einer nationalen Teilnahme oder Erregung der ostschlesischen polnischen Bevölkerung war dabei gar nicht die Rede. Die Stimmung war uuter den dortigen Deutschen, der allgemeinen liberalen Tagesströmung gemäß, wärmer und polenfreundlicher als unter den Polen selbst. Die polnische Agitation in Ost¬ schlesien hat erst nach der gescheiterten Revolution in Russisch-Polen vom Jahre 1863 begonnen, doch soll nicht gänzlich in Abrede gestellt werden, daß es einzelne stille Schwärmer gegeben hat, die vielleicht infolge von Anregungen aus Kraken und aus Warschau oder auf Grund eigner Belesenheit für polnische Ideen Begeisterung gefaßt hatten. (Schluß folgt) Die Baumwolle von E. Gerland >ohl selten hat es eine größere Krise in der Industrie und im Handel gegeben, als die Baumwvllhungersnot lootton lÄnrms), das Aufhören von Zufuhren an Rohmaterial infolge des ameri¬ kanischen Bürgerkriegs, das nach dem Jahre 1860 des ver- I gangnen Jahrhunderts sämtliche Spinnereien und Webereien in Lancashire zum Stillstand brachte und Hunderttausende von Arbeitern nicht für Monate, sondern für Jahre ihres Verdienstes beraubte. In der Tat ein dunkler Punkt in der an großartigen Erfolgen so reichen englischen Jndustrie- und Handelsgeschichte. Aber wenn dabei eins zu bewundern ist, so ist es die zähe Energie, mit der sofort Gegenmaßregeln ergriffen wurden. Die Lotton suppig W8oeig.tioii durchspähte die ganze Erde, um an geeigneten Plätzen die schon vorhcmdne Banmwollproduktion zu fördern oder eine neue ins Leben zu rufen. Jedoch weder Indien noch Süd- und Zentralamerika, weder Ägypten noch Italien und die Levante konnten auf die Dauer die nordamerikanische Zufuhr entbehrlich machen, und so hatten schließlich die Bestrebungen der Assoziation nur auf einem Gebiete einen dauernden Erfolg, nämlich auf dem der Wissenschaft selbst. Es waren namentlich die Italiener, die sich damals der Frage einer Wiederbelebung des Baumwollbaus in ihrem Lande — der ja im Mittelalter schon einmal in Sizilien und in Unteritalien eine gewisse Bedeutung gehabt hatte — energisch annahmen und ihn durch botanische Studien zu fördern suchten. Die namentlich für die Unterscheidung der Spezies grundlegenden Arbeiten von Todaro und Parlatore verdanken diesen Zeit¬ verhältnissen ihre Entstehung, und so hat sich Italien wenigstens dadurch einen bleibenden Namen in der Geschichte der Baumwolle erworben, wenn auch die Hoffnungen, die man damals an die wirtschaftliche Konstellation knüpfte, nicht in Erfüllung gegangen sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/401>, abgerufen am 05.05.2024.