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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Teschen

Nertschinsk. Zugleich erging an Stepanvw der Befehl, Albasin wieder auf¬
zubauen und 100 Mann nach Nertschinsk zu senden. Doch Stepcmow war
nicht mehr am Leben, die Chinesen hatten ihn im offnen Felde angegriffen
und mit einem Teil seiner Mannschaft niedergemacht.

(Schluß folgt)




Teschen
von Albin Geyer (Schluß)

lie erste großpolnische Agitation zeigte sich Ende der sechziger
Jahre in der protestantischen Gemeinde zu Teschen. Diese ist
sehr umfangreich, und es sind ihr, trotz mehrfacher Abtrennung
neugebildeter Kirchgemeinden, noch immer über vierzig Ortschaften
eingepfarrt, deren Bewohner fast ausschließlich das landesübliche
polnische Idiom reden. Es ist darum notwendig, daß die Prediger der Gemeinde
der polnischen Sprache mächtig siud. Zum ersten Pfarrer wurde im Früh¬
jahr 1866 der bisherige Pastor an der evangelischen Kirche Augsburgischer
Konfession in Warschau, Dr. Leopold Martin von Otto, Schulinspektor und
Mitglied der dortigen staatlichen Unterrichtsbehörden, gewählt, und er trat
sein Amt im Oktober des genannten Jahres an. Er blieb, was damals nach
der österreichischen Gesetzgebung möglich war. russischer Untertan, seltsamer¬
weise aber auch noch Pastor in Warschau und bezeichnete sich selbst bei
mehreren Gelegenheiten als solcher, er war also gewissermaßen nur beur¬
laubt. Im Oktober 1875 kehrte er auch auf seinen Posten uach Warschau
zurück. Es wurde bald bekannt, daß er in seiner Gemeinde eine slawische
Agitation betrieb, und man betrachtete ihn in dentschen und deutschfreundlichen
Kreisen mit Argwohn, ohne aber die Art und Richtung seiner Bestrebungen
klar zu erkennen. Man hielt ihn im allgemeinen für einen Anhänger des
Panslawismus, wie man damals die slawischen Bestrebungen insgemein, die
sich als deutschfeindlich und österreichfeindlich kennzeichneten, benannte. Er war
ein wohlhabender Mann und erhielt öfters Geldsendungen in Rubeln aus
Warschau, was jene unklare Ausfassung zu bestätigen schien. Nun, jedenfalls
gibt es keine polnischen Rubel oder andre Münzen. An seinen Früchten hat
N1>1n "man erst erkannt, daß er ein allpolnischer Emissär war. Er war der erste
der in weitere Kreise des Volkes die Anschauung zu verpflanzen suchte, daß
W ein Teil des großen Volkes der Polen seien, das einst von Meer zu Meer
geherrscht habe, daß sie erst glücklich werden würden, wenn dieses mächtige
Polenreich wieder hergestellt sei das durch die hassenswürdigen Deutschen
zerstört wurde, dessen Wiederaufrichtung aber vor der Tür stehe. Die Absicht
und Wirkung dieses Treibens war, Haß gegen die Deutschen zu verbreiten und
den Unfrieden ins Land zu tragen. Noch heute ist das Hauptthema der


Teschen

Nertschinsk. Zugleich erging an Stepanvw der Befehl, Albasin wieder auf¬
zubauen und 100 Mann nach Nertschinsk zu senden. Doch Stepcmow war
nicht mehr am Leben, die Chinesen hatten ihn im offnen Felde angegriffen
und mit einem Teil seiner Mannschaft niedergemacht.

(Schluß folgt)




Teschen
von Albin Geyer (Schluß)

lie erste großpolnische Agitation zeigte sich Ende der sechziger
Jahre in der protestantischen Gemeinde zu Teschen. Diese ist
sehr umfangreich, und es sind ihr, trotz mehrfacher Abtrennung
neugebildeter Kirchgemeinden, noch immer über vierzig Ortschaften
eingepfarrt, deren Bewohner fast ausschließlich das landesübliche
polnische Idiom reden. Es ist darum notwendig, daß die Prediger der Gemeinde
der polnischen Sprache mächtig siud. Zum ersten Pfarrer wurde im Früh¬
jahr 1866 der bisherige Pastor an der evangelischen Kirche Augsburgischer
Konfession in Warschau, Dr. Leopold Martin von Otto, Schulinspektor und
Mitglied der dortigen staatlichen Unterrichtsbehörden, gewählt, und er trat
sein Amt im Oktober des genannten Jahres an. Er blieb, was damals nach
der österreichischen Gesetzgebung möglich war. russischer Untertan, seltsamer¬
weise aber auch noch Pastor in Warschau und bezeichnete sich selbst bei
mehreren Gelegenheiten als solcher, er war also gewissermaßen nur beur¬
laubt. Im Oktober 1875 kehrte er auch auf seinen Posten uach Warschau
zurück. Es wurde bald bekannt, daß er in seiner Gemeinde eine slawische
Agitation betrieb, und man betrachtete ihn in dentschen und deutschfreundlichen
Kreisen mit Argwohn, ohne aber die Art und Richtung seiner Bestrebungen
klar zu erkennen. Man hielt ihn im allgemeinen für einen Anhänger des
Panslawismus, wie man damals die slawischen Bestrebungen insgemein, die
sich als deutschfeindlich und österreichfeindlich kennzeichneten, benannte. Er war
ein wohlhabender Mann und erhielt öfters Geldsendungen in Rubeln aus
Warschau, was jene unklare Ausfassung zu bestätigen schien. Nun, jedenfalls
gibt es keine polnischen Rubel oder andre Münzen. An seinen Früchten hat
N1>1n "man erst erkannt, daß er ein allpolnischer Emissär war. Er war der erste
der in weitere Kreise des Volkes die Anschauung zu verpflanzen suchte, daß
W ein Teil des großen Volkes der Polen seien, das einst von Meer zu Meer
geherrscht habe, daß sie erst glücklich werden würden, wenn dieses mächtige
Polenreich wieder hergestellt sei das durch die hassenswürdigen Deutschen
zerstört wurde, dessen Wiederaufrichtung aber vor der Tür stehe. Die Absicht
und Wirkung dieses Treibens war, Haß gegen die Deutschen zu verbreiten und
den Unfrieden ins Land zu tragen. Noch heute ist das Hauptthema der


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[0457] Teschen Nertschinsk. Zugleich erging an Stepanvw der Befehl, Albasin wieder auf¬ zubauen und 100 Mann nach Nertschinsk zu senden. Doch Stepcmow war nicht mehr am Leben, die Chinesen hatten ihn im offnen Felde angegriffen und mit einem Teil seiner Mannschaft niedergemacht. (Schluß folgt) Teschen von Albin Geyer (Schluß) lie erste großpolnische Agitation zeigte sich Ende der sechziger Jahre in der protestantischen Gemeinde zu Teschen. Diese ist sehr umfangreich, und es sind ihr, trotz mehrfacher Abtrennung neugebildeter Kirchgemeinden, noch immer über vierzig Ortschaften eingepfarrt, deren Bewohner fast ausschließlich das landesübliche polnische Idiom reden. Es ist darum notwendig, daß die Prediger der Gemeinde der polnischen Sprache mächtig siud. Zum ersten Pfarrer wurde im Früh¬ jahr 1866 der bisherige Pastor an der evangelischen Kirche Augsburgischer Konfession in Warschau, Dr. Leopold Martin von Otto, Schulinspektor und Mitglied der dortigen staatlichen Unterrichtsbehörden, gewählt, und er trat sein Amt im Oktober des genannten Jahres an. Er blieb, was damals nach der österreichischen Gesetzgebung möglich war. russischer Untertan, seltsamer¬ weise aber auch noch Pastor in Warschau und bezeichnete sich selbst bei mehreren Gelegenheiten als solcher, er war also gewissermaßen nur beur¬ laubt. Im Oktober 1875 kehrte er auch auf seinen Posten uach Warschau zurück. Es wurde bald bekannt, daß er in seiner Gemeinde eine slawische Agitation betrieb, und man betrachtete ihn in dentschen und deutschfreundlichen Kreisen mit Argwohn, ohne aber die Art und Richtung seiner Bestrebungen klar zu erkennen. Man hielt ihn im allgemeinen für einen Anhänger des Panslawismus, wie man damals die slawischen Bestrebungen insgemein, die sich als deutschfeindlich und österreichfeindlich kennzeichneten, benannte. Er war ein wohlhabender Mann und erhielt öfters Geldsendungen in Rubeln aus Warschau, was jene unklare Ausfassung zu bestätigen schien. Nun, jedenfalls gibt es keine polnischen Rubel oder andre Münzen. An seinen Früchten hat N1>1n "man erst erkannt, daß er ein allpolnischer Emissär war. Er war der erste der in weitere Kreise des Volkes die Anschauung zu verpflanzen suchte, daß W ein Teil des großen Volkes der Polen seien, das einst von Meer zu Meer geherrscht habe, daß sie erst glücklich werden würden, wenn dieses mächtige Polenreich wieder hergestellt sei das durch die hassenswürdigen Deutschen zerstört wurde, dessen Wiederaufrichtung aber vor der Tür stehe. Die Absicht und Wirkung dieses Treibens war, Haß gegen die Deutschen zu verbreiten und den Unfrieden ins Land zu tragen. Noch heute ist das Hauptthema der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/457>, abgerufen am 06.05.2024.