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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

graben, so dürfen sie sich deshalb keineswegs auf Bismarck berufen, denn sie ent¬
fernen sich damit im strengsten Sinne des Wortes weit von der Bismarckischen
Tradition und von seiner Auffassung des Staatszwecks, wie dieser ihm noch im
letzten Abschnitte seines Wirkens und am Abend seines Lebens vorschwebte.

Die "Hamburger Nachrichten" glauben nun noch einen besondern Trumpf
auszuspielen, indem sie ein Verzeichnis von vierundzwanzig Fällen veröffentlichen,
wo die Jesuiten aus europäischen Staaten ausgewiesen worden sind. In den weit¬
aus meisten Fällen wird es sich dabei um Ausländer gehandelt haben, d. h. um
landfremde Jesuiten, deren Ausweisung dem Deutschen Reich auch heute noch un¬
benommen ist. Inländer, Landesangehörige auszuweisen, war auch nach dem Para¬
graphen 2 des Jesnttengesetzes nicht zulässig, schon aus dem Grunde nicht, weil
kein Staat die Verpflichtung hatte, solche Ausgewiesene aufzunehmen. Aber das
Register der "Hamburger Nachrichten" hat überdem ein recht auffallendes Loch:
es fehlt darin die Aufhebung des Jesuitenordens durch Papst Clemens den Vier¬
zehnten im Jahre 1773. Und wie stand die Sache damals in Preußen? Unter
dem besondern Schutze Friedrichs des Großen blieben die Kollegien der Jesuiten
in Schlesien nach der Aufhebung durch den Papst dort noch drei Jahre lang,
bis 1776, besteh", dann legten die schlesischen Jesuiten ihr Ordenskleid ab und
blieben als "Priester des Königlichen Schulinstituts." Also gegen die Aufhebung
des Paragraphen 2 kann man auch mit diesem Ausweisungsregister nichts beweisen,
und gelegentlichen Äußerungen König Friedrich Wilhelms des Ersten von
Preußen, die jüngst ausgegraben worden sind, stehn die Handlungen seines Sohnes
und Nachfolgers gegenüber. Andre Zeiten -- andre Auffassungen und andre Auf¬
gaben!


"Fort mit Bülow!"

Der Ruf "Fort mit Bülow!" ertönt auf verschiednen
G assen. Am lautesten erklang er wieder in der Berliner Torhalle, wo man außer¬
dem "die Gans Bülow" zu verbrennen wünschte, um aus der Asche einen neuen
Reichskanzler "als stolz daherrauschenden Schwan" auferstehn zu sehen. Es war die
von der nationalliberalen Fraktion durchaus nicht übernommene Absage des Herrn
von Eyneru, in die Tonart einer Berliner Volksversammlung übertragen. Schade
nur, daß der neue Neichskanzlerknndidat nicht öffentlich in Vorschlag gebracht worden
ist, dann wüßte man doch, wie er -- nach den Wünschen jener Redner -- aus¬
zusehen hat, und was man von ihm erwarten darf. Seine Hauptaufgabe würde
doch jedenfalls sein, einen andern Reichstag zu schaffen, wo "Zentrum nicht Trumpf"
wäre. Der Evangelische Bund hat aller Wahrscheinlichkeit nach das Geheimnis dieses
Rezepts nud begeht nun dadurch einen Verrat am Vaterlande, daß er es nicht ver¬
öffentlicht. Eine Zusammensetzung des Reichstags, wo Zentrum nicht Trumpf wäre,
d. h. nicht hundert Stimmen außer seinen vielen Mitläufern hätte, ließe sich
nicht einmal durch eine Änderung des Wahlrechts herbeiführen, sondern ausschließlich
durch eiuen festen Zusammenschluß der gesamten protestantischen Wählerschaft uuter
Verzicht auf alle Parteiunterschiede. Daß das in Deutschland jemals möglich sein
sollte, halten wir bei dem Charakter der Parteigliederung im lieben Vaterlande
auf absehbare Zeit für ausgeschlossen, zumal da das Verhältnis der einzelnen parla¬
mentarischen Parteien zum Zentrum -- Konservativen, Reichspartei. National-
liberalen, Antisemiten und Freisinnigen aller Schattierungen -- doch niemals das
eines Prinzipiellen Gegensatzes, sondern das eines Zusammengehens oder Bekämpfens
bon Fall zu Fall gewesen ist. Daran etwas zu ändern vermag kein Reichs¬
kanzler; mit einem abermaligen Entrollen des Banners des Kulturkampfes erst recht
nicht. Fürst Bismarck hat die Erfahrung gemacht, daß ihn in diesem Kampfe
erst die Konservativen und dann auch die Freisinnigen, die anfänglich die Rufer
?n. Streit gewesen waren, im Stich ließen, die in das Lager der Gegner nber-
MNgen, Was ihm also in dieser Beziehung nicht gelungen ist, davon wird jeder
inner Nachfolger mit Recht die Hände lassen. Fürst Bismarck ist später sehr froh


Grenzboten I 1904 104
Maßgebliches und Unmaßgebliches

graben, so dürfen sie sich deshalb keineswegs auf Bismarck berufen, denn sie ent¬
fernen sich damit im strengsten Sinne des Wortes weit von der Bismarckischen
Tradition und von seiner Auffassung des Staatszwecks, wie dieser ihm noch im
letzten Abschnitte seines Wirkens und am Abend seines Lebens vorschwebte.

Die „Hamburger Nachrichten" glauben nun noch einen besondern Trumpf
auszuspielen, indem sie ein Verzeichnis von vierundzwanzig Fällen veröffentlichen,
wo die Jesuiten aus europäischen Staaten ausgewiesen worden sind. In den weit¬
aus meisten Fällen wird es sich dabei um Ausländer gehandelt haben, d. h. um
landfremde Jesuiten, deren Ausweisung dem Deutschen Reich auch heute noch un¬
benommen ist. Inländer, Landesangehörige auszuweisen, war auch nach dem Para¬
graphen 2 des Jesnttengesetzes nicht zulässig, schon aus dem Grunde nicht, weil
kein Staat die Verpflichtung hatte, solche Ausgewiesene aufzunehmen. Aber das
Register der „Hamburger Nachrichten" hat überdem ein recht auffallendes Loch:
es fehlt darin die Aufhebung des Jesuitenordens durch Papst Clemens den Vier¬
zehnten im Jahre 1773. Und wie stand die Sache damals in Preußen? Unter
dem besondern Schutze Friedrichs des Großen blieben die Kollegien der Jesuiten
in Schlesien nach der Aufhebung durch den Papst dort noch drei Jahre lang,
bis 1776, besteh», dann legten die schlesischen Jesuiten ihr Ordenskleid ab und
blieben als „Priester des Königlichen Schulinstituts." Also gegen die Aufhebung
des Paragraphen 2 kann man auch mit diesem Ausweisungsregister nichts beweisen,
und gelegentlichen Äußerungen König Friedrich Wilhelms des Ersten von
Preußen, die jüngst ausgegraben worden sind, stehn die Handlungen seines Sohnes
und Nachfolgers gegenüber. Andre Zeiten — andre Auffassungen und andre Auf¬
gaben!


„Fort mit Bülow!"

Der Ruf „Fort mit Bülow!" ertönt auf verschiednen
G assen. Am lautesten erklang er wieder in der Berliner Torhalle, wo man außer¬
dem „die Gans Bülow" zu verbrennen wünschte, um aus der Asche einen neuen
Reichskanzler „als stolz daherrauschenden Schwan" auferstehn zu sehen. Es war die
von der nationalliberalen Fraktion durchaus nicht übernommene Absage des Herrn
von Eyneru, in die Tonart einer Berliner Volksversammlung übertragen. Schade
nur, daß der neue Neichskanzlerknndidat nicht öffentlich in Vorschlag gebracht worden
ist, dann wüßte man doch, wie er — nach den Wünschen jener Redner — aus¬
zusehen hat, und was man von ihm erwarten darf. Seine Hauptaufgabe würde
doch jedenfalls sein, einen andern Reichstag zu schaffen, wo „Zentrum nicht Trumpf"
wäre. Der Evangelische Bund hat aller Wahrscheinlichkeit nach das Geheimnis dieses
Rezepts nud begeht nun dadurch einen Verrat am Vaterlande, daß er es nicht ver¬
öffentlicht. Eine Zusammensetzung des Reichstags, wo Zentrum nicht Trumpf wäre,
d. h. nicht hundert Stimmen außer seinen vielen Mitläufern hätte, ließe sich
nicht einmal durch eine Änderung des Wahlrechts herbeiführen, sondern ausschließlich
durch eiuen festen Zusammenschluß der gesamten protestantischen Wählerschaft uuter
Verzicht auf alle Parteiunterschiede. Daß das in Deutschland jemals möglich sein
sollte, halten wir bei dem Charakter der Parteigliederung im lieben Vaterlande
auf absehbare Zeit für ausgeschlossen, zumal da das Verhältnis der einzelnen parla¬
mentarischen Parteien zum Zentrum — Konservativen, Reichspartei. National-
liberalen, Antisemiten und Freisinnigen aller Schattierungen — doch niemals das
eines Prinzipiellen Gegensatzes, sondern das eines Zusammengehens oder Bekämpfens
bon Fall zu Fall gewesen ist. Daran etwas zu ändern vermag kein Reichs¬
kanzler; mit einem abermaligen Entrollen des Banners des Kulturkampfes erst recht
nicht. Fürst Bismarck hat die Erfahrung gemacht, daß ihn in diesem Kampfe
erst die Konservativen und dann auch die Freisinnigen, die anfänglich die Rufer
?n. Streit gewesen waren, im Stich ließen, die in das Lager der Gegner nber-
MNgen, Was ihm also in dieser Beziehung nicht gelungen ist, davon wird jeder
inner Nachfolger mit Recht die Hände lassen. Fürst Bismarck ist später sehr froh


Grenzboten I 1904 104
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[0807] Maßgebliches und Unmaßgebliches graben, so dürfen sie sich deshalb keineswegs auf Bismarck berufen, denn sie ent¬ fernen sich damit im strengsten Sinne des Wortes weit von der Bismarckischen Tradition und von seiner Auffassung des Staatszwecks, wie dieser ihm noch im letzten Abschnitte seines Wirkens und am Abend seines Lebens vorschwebte. Die „Hamburger Nachrichten" glauben nun noch einen besondern Trumpf auszuspielen, indem sie ein Verzeichnis von vierundzwanzig Fällen veröffentlichen, wo die Jesuiten aus europäischen Staaten ausgewiesen worden sind. In den weit¬ aus meisten Fällen wird es sich dabei um Ausländer gehandelt haben, d. h. um landfremde Jesuiten, deren Ausweisung dem Deutschen Reich auch heute noch un¬ benommen ist. Inländer, Landesangehörige auszuweisen, war auch nach dem Para¬ graphen 2 des Jesnttengesetzes nicht zulässig, schon aus dem Grunde nicht, weil kein Staat die Verpflichtung hatte, solche Ausgewiesene aufzunehmen. Aber das Register der „Hamburger Nachrichten" hat überdem ein recht auffallendes Loch: es fehlt darin die Aufhebung des Jesuitenordens durch Papst Clemens den Vier¬ zehnten im Jahre 1773. Und wie stand die Sache damals in Preußen? Unter dem besondern Schutze Friedrichs des Großen blieben die Kollegien der Jesuiten in Schlesien nach der Aufhebung durch den Papst dort noch drei Jahre lang, bis 1776, besteh», dann legten die schlesischen Jesuiten ihr Ordenskleid ab und blieben als „Priester des Königlichen Schulinstituts." Also gegen die Aufhebung des Paragraphen 2 kann man auch mit diesem Ausweisungsregister nichts beweisen, und gelegentlichen Äußerungen König Friedrich Wilhelms des Ersten von Preußen, die jüngst ausgegraben worden sind, stehn die Handlungen seines Sohnes und Nachfolgers gegenüber. Andre Zeiten — andre Auffassungen und andre Auf¬ gaben! „Fort mit Bülow!" Der Ruf „Fort mit Bülow!" ertönt auf verschiednen G assen. Am lautesten erklang er wieder in der Berliner Torhalle, wo man außer¬ dem „die Gans Bülow" zu verbrennen wünschte, um aus der Asche einen neuen Reichskanzler „als stolz daherrauschenden Schwan" auferstehn zu sehen. Es war die von der nationalliberalen Fraktion durchaus nicht übernommene Absage des Herrn von Eyneru, in die Tonart einer Berliner Volksversammlung übertragen. Schade nur, daß der neue Neichskanzlerknndidat nicht öffentlich in Vorschlag gebracht worden ist, dann wüßte man doch, wie er — nach den Wünschen jener Redner — aus¬ zusehen hat, und was man von ihm erwarten darf. Seine Hauptaufgabe würde doch jedenfalls sein, einen andern Reichstag zu schaffen, wo „Zentrum nicht Trumpf" wäre. Der Evangelische Bund hat aller Wahrscheinlichkeit nach das Geheimnis dieses Rezepts nud begeht nun dadurch einen Verrat am Vaterlande, daß er es nicht ver¬ öffentlicht. Eine Zusammensetzung des Reichstags, wo Zentrum nicht Trumpf wäre, d. h. nicht hundert Stimmen außer seinen vielen Mitläufern hätte, ließe sich nicht einmal durch eine Änderung des Wahlrechts herbeiführen, sondern ausschließlich durch eiuen festen Zusammenschluß der gesamten protestantischen Wählerschaft uuter Verzicht auf alle Parteiunterschiede. Daß das in Deutschland jemals möglich sein sollte, halten wir bei dem Charakter der Parteigliederung im lieben Vaterlande auf absehbare Zeit für ausgeschlossen, zumal da das Verhältnis der einzelnen parla¬ mentarischen Parteien zum Zentrum — Konservativen, Reichspartei. National- liberalen, Antisemiten und Freisinnigen aller Schattierungen — doch niemals das eines Prinzipiellen Gegensatzes, sondern das eines Zusammengehens oder Bekämpfens bon Fall zu Fall gewesen ist. Daran etwas zu ändern vermag kein Reichs¬ kanzler; mit einem abermaligen Entrollen des Banners des Kulturkampfes erst recht nicht. Fürst Bismarck hat die Erfahrung gemacht, daß ihn in diesem Kampfe erst die Konservativen und dann auch die Freisinnigen, die anfänglich die Rufer ?n. Streit gewesen waren, im Stich ließen, die in das Lager der Gegner nber- MNgen, Was ihm also in dieser Beziehung nicht gelungen ist, davon wird jeder inner Nachfolger mit Recht die Hände lassen. Fürst Bismarck ist später sehr froh Grenzboten I 1904 104

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_292796/807>, abgerufen am 06.05.2024.