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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Thöl in der sechsten Auflage seines Handelsrechts (Paragraph 34 Ur. 3): "Möchte
doch ein Reichsgesetz den letzten Satz des Artikels 273 streichen!" Trotz der
offenbaren Stichhaltigkeit seiner Kritik blieb dieser Satz bis zum 1. Januar 1900
Gesetz.

Noch ist unser Bürgerliches Gesetzbuch zeitgemäß. Wird es das noch in zwei
Menschenaltern sein? Die Regelung des Vereinsrechts befriedigt vielleicht schon
in fünfzehn Jahren nicht mehr. Über die Frage der kurzen Verjährungsfristen ist
man vielleicht in dreißig Jahren andrer Meinung als die Urheber des Bürger¬
lichen Gesetzbuchs. Ist es nicht denkbar und sogar wahrscheinlich, daß unsre Nach¬
kommen das Bedürfnis nach andern dinglichen Rechten, als sie das Bürgerliche
Gesetzbuch anerkennt, empfinden werden? Die Bestrebungen des geistig regsamen
Teils der Frauenwelt werden nach und nach einen Umschwung der Ansichten über
die der Frau gebührende Stellung in Familie, Gesellschaft und Staat auch in den
maßgebenden Kreisen herbeiführen. Werden alsdann nicht die Regeln des jetzt
giltigen und befriedigenden Eherechts als rückständig erscheinen? Können die An¬
sichten über die Rechtslage der unehelichen Kinder nicht binnen eines halben
Jahrhunderts einen völligen Umschwung erleiden? So sieht man mit Bestimmt¬
heit einen Zeitpunkt kommen, wo die wichtigsten Materien unsers Zivilrechts das
öffentliche Rechtsbewußtsein nicht mehr befriedigen. Daß man rechtzeitig, also vor
dem Eintritt der völligen Disharmonie zwischen Norm und Leben, zum Um- und
Neubau unsers bürgerlichen Rechts schreiten wird, dürfte nach den gemachten Er¬
fahrungen nur der Optimist hoffen.


Der Weg zum ewigen Frieden.

Im Genus Utopist, Spezies Friedens¬
schwärmer, stoßen wir auf eine neue Spielart. Ihr erster Vertreter in der
Literatur nennt sich Anthropos, verrät sein Vaterland durch seine "weiters" und
"imvorhinein" und betitelt sein Buch: Zivilisation und Weltfriede, Im¬
pressionen zu einer Lehre von Glückseligkeit und Erkenntnis. (Dresden, E. Pierson,
1903.) Die Impressionen, die sein Buch vom Untertitel an auf uns gemacht hat,
wollen wir aus Höflichkeit nicht unverhüllt aussprechen, wir sagen nur folgendes.
Einer seiner drei Grundgedanken ist richtig und unterscheidet ihn vorteilhaft von
den Schwärmern der Friedensliga. Er erkennt, daß so lange die Menschen bleiben,
wie sie jetzt sind, der Militarismus noch das beste Mittel zur Erhaltung des
Friedens ist, und zwar leiste er diesen Dienst nur, wenn die Heere Riesenarmeen
sind und nicht aus Miliztruppen bestehn. Schiedsgerichte seien ja ganz gut und
ein kleiner Fortschritt, aber den Frieden vermöchten sie nicht zu sicher". Einen
zweiten Gedanken wollen wir nicht schlechthin falsch nennen, weil kein Mensch
Weiß, was nach tausend Jahren möglich sein wird, aber er ist praktisch bedeutungs¬
los. Anthropos will den ewigen Frieden dadurch herbeiführen, daß er den gegen¬
wärtigen halbtierischen, egoistischen Menschen durch Erziehung zum wahren Menschen
macht, zum echten Menschentum, auf die Stufe wirklicher Zivilisation emporhebt,
zu der er über die drei Vorstufen: persönlicher Egoismus. Nationalegoismus oder
Patriotismus, kosmopolitischer Altruismus hinciufzuklimmen hat. Vollkommen "ge¬
reinigt" ist nämlich der Mensch erst dann, "wenn er von aller Menschheit und
vilen Wohle absieht und sich der Sache, dem Guten, dem Nichtigen zuwendet."
Wenn man die Menschen für etwas oder zu etwas erziehen will, muß man einen
Begriff von diesem etwas haben. Wir wissen, was ein "schneidiger" Vorgesetzter,
was ein gehorsamer Untergebner, was ein tüchtiger Kaufmann, was ein feiner
Diplomat, was ein dankbarer, ein bescheidner Mensch, was ein Asket, was ein
Fanatiker ist, und darum können wir einen Knaben zu einem Exemplar einer be¬
liebigen von diesen Menschengattungen erziehn, wenn er die Anlage dazu und der
Erzieher das nötige Geschick hat. Aber wie ein Mensch aussieht, in dem der
nötige Selbsterhaltungstrieb und die Liebe zu lebendigen Menschen dem ausschlie߬
lichen Interesse für das Gute gewichen sind, wie eine Welt aussieht, worin es keine


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Thöl in der sechsten Auflage seines Handelsrechts (Paragraph 34 Ur. 3): „Möchte
doch ein Reichsgesetz den letzten Satz des Artikels 273 streichen!" Trotz der
offenbaren Stichhaltigkeit seiner Kritik blieb dieser Satz bis zum 1. Januar 1900
Gesetz.

Noch ist unser Bürgerliches Gesetzbuch zeitgemäß. Wird es das noch in zwei
Menschenaltern sein? Die Regelung des Vereinsrechts befriedigt vielleicht schon
in fünfzehn Jahren nicht mehr. Über die Frage der kurzen Verjährungsfristen ist
man vielleicht in dreißig Jahren andrer Meinung als die Urheber des Bürger¬
lichen Gesetzbuchs. Ist es nicht denkbar und sogar wahrscheinlich, daß unsre Nach¬
kommen das Bedürfnis nach andern dinglichen Rechten, als sie das Bürgerliche
Gesetzbuch anerkennt, empfinden werden? Die Bestrebungen des geistig regsamen
Teils der Frauenwelt werden nach und nach einen Umschwung der Ansichten über
die der Frau gebührende Stellung in Familie, Gesellschaft und Staat auch in den
maßgebenden Kreisen herbeiführen. Werden alsdann nicht die Regeln des jetzt
giltigen und befriedigenden Eherechts als rückständig erscheinen? Können die An¬
sichten über die Rechtslage der unehelichen Kinder nicht binnen eines halben
Jahrhunderts einen völligen Umschwung erleiden? So sieht man mit Bestimmt¬
heit einen Zeitpunkt kommen, wo die wichtigsten Materien unsers Zivilrechts das
öffentliche Rechtsbewußtsein nicht mehr befriedigen. Daß man rechtzeitig, also vor
dem Eintritt der völligen Disharmonie zwischen Norm und Leben, zum Um- und
Neubau unsers bürgerlichen Rechts schreiten wird, dürfte nach den gemachten Er¬
fahrungen nur der Optimist hoffen.


Der Weg zum ewigen Frieden.

Im Genus Utopist, Spezies Friedens¬
schwärmer, stoßen wir auf eine neue Spielart. Ihr erster Vertreter in der
Literatur nennt sich Anthropos, verrät sein Vaterland durch seine „weiters" und
„imvorhinein" und betitelt sein Buch: Zivilisation und Weltfriede, Im¬
pressionen zu einer Lehre von Glückseligkeit und Erkenntnis. (Dresden, E. Pierson,
1903.) Die Impressionen, die sein Buch vom Untertitel an auf uns gemacht hat,
wollen wir aus Höflichkeit nicht unverhüllt aussprechen, wir sagen nur folgendes.
Einer seiner drei Grundgedanken ist richtig und unterscheidet ihn vorteilhaft von
den Schwärmern der Friedensliga. Er erkennt, daß so lange die Menschen bleiben,
wie sie jetzt sind, der Militarismus noch das beste Mittel zur Erhaltung des
Friedens ist, und zwar leiste er diesen Dienst nur, wenn die Heere Riesenarmeen
sind und nicht aus Miliztruppen bestehn. Schiedsgerichte seien ja ganz gut und
ein kleiner Fortschritt, aber den Frieden vermöchten sie nicht zu sicher». Einen
zweiten Gedanken wollen wir nicht schlechthin falsch nennen, weil kein Mensch
Weiß, was nach tausend Jahren möglich sein wird, aber er ist praktisch bedeutungs¬
los. Anthropos will den ewigen Frieden dadurch herbeiführen, daß er den gegen¬
wärtigen halbtierischen, egoistischen Menschen durch Erziehung zum wahren Menschen
macht, zum echten Menschentum, auf die Stufe wirklicher Zivilisation emporhebt,
zu der er über die drei Vorstufen: persönlicher Egoismus. Nationalegoismus oder
Patriotismus, kosmopolitischer Altruismus hinciufzuklimmen hat. Vollkommen „ge¬
reinigt" ist nämlich der Mensch erst dann, „wenn er von aller Menschheit und
vilen Wohle absieht und sich der Sache, dem Guten, dem Nichtigen zuwendet."
Wenn man die Menschen für etwas oder zu etwas erziehen will, muß man einen
Begriff von diesem etwas haben. Wir wissen, was ein „schneidiger" Vorgesetzter,
was ein gehorsamer Untergebner, was ein tüchtiger Kaufmann, was ein feiner
Diplomat, was ein dankbarer, ein bescheidner Mensch, was ein Asket, was ein
Fanatiker ist, und darum können wir einen Knaben zu einem Exemplar einer be¬
liebigen von diesen Menschengattungen erziehn, wenn er die Anlage dazu und der
Erzieher das nötige Geschick hat. Aber wie ein Mensch aussieht, in dem der
nötige Selbsterhaltungstrieb und die Liebe zu lebendigen Menschen dem ausschlie߬
lichen Interesse für das Gute gewichen sind, wie eine Welt aussieht, worin es keine


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[0127] Maßgebliches und Unmaßgebliches Thöl in der sechsten Auflage seines Handelsrechts (Paragraph 34 Ur. 3): „Möchte doch ein Reichsgesetz den letzten Satz des Artikels 273 streichen!" Trotz der offenbaren Stichhaltigkeit seiner Kritik blieb dieser Satz bis zum 1. Januar 1900 Gesetz. Noch ist unser Bürgerliches Gesetzbuch zeitgemäß. Wird es das noch in zwei Menschenaltern sein? Die Regelung des Vereinsrechts befriedigt vielleicht schon in fünfzehn Jahren nicht mehr. Über die Frage der kurzen Verjährungsfristen ist man vielleicht in dreißig Jahren andrer Meinung als die Urheber des Bürger¬ lichen Gesetzbuchs. Ist es nicht denkbar und sogar wahrscheinlich, daß unsre Nach¬ kommen das Bedürfnis nach andern dinglichen Rechten, als sie das Bürgerliche Gesetzbuch anerkennt, empfinden werden? Die Bestrebungen des geistig regsamen Teils der Frauenwelt werden nach und nach einen Umschwung der Ansichten über die der Frau gebührende Stellung in Familie, Gesellschaft und Staat auch in den maßgebenden Kreisen herbeiführen. Werden alsdann nicht die Regeln des jetzt giltigen und befriedigenden Eherechts als rückständig erscheinen? Können die An¬ sichten über die Rechtslage der unehelichen Kinder nicht binnen eines halben Jahrhunderts einen völligen Umschwung erleiden? So sieht man mit Bestimmt¬ heit einen Zeitpunkt kommen, wo die wichtigsten Materien unsers Zivilrechts das öffentliche Rechtsbewußtsein nicht mehr befriedigen. Daß man rechtzeitig, also vor dem Eintritt der völligen Disharmonie zwischen Norm und Leben, zum Um- und Neubau unsers bürgerlichen Rechts schreiten wird, dürfte nach den gemachten Er¬ fahrungen nur der Optimist hoffen. Der Weg zum ewigen Frieden. Im Genus Utopist, Spezies Friedens¬ schwärmer, stoßen wir auf eine neue Spielart. Ihr erster Vertreter in der Literatur nennt sich Anthropos, verrät sein Vaterland durch seine „weiters" und „imvorhinein" und betitelt sein Buch: Zivilisation und Weltfriede, Im¬ pressionen zu einer Lehre von Glückseligkeit und Erkenntnis. (Dresden, E. Pierson, 1903.) Die Impressionen, die sein Buch vom Untertitel an auf uns gemacht hat, wollen wir aus Höflichkeit nicht unverhüllt aussprechen, wir sagen nur folgendes. Einer seiner drei Grundgedanken ist richtig und unterscheidet ihn vorteilhaft von den Schwärmern der Friedensliga. Er erkennt, daß so lange die Menschen bleiben, wie sie jetzt sind, der Militarismus noch das beste Mittel zur Erhaltung des Friedens ist, und zwar leiste er diesen Dienst nur, wenn die Heere Riesenarmeen sind und nicht aus Miliztruppen bestehn. Schiedsgerichte seien ja ganz gut und ein kleiner Fortschritt, aber den Frieden vermöchten sie nicht zu sicher». Einen zweiten Gedanken wollen wir nicht schlechthin falsch nennen, weil kein Mensch Weiß, was nach tausend Jahren möglich sein wird, aber er ist praktisch bedeutungs¬ los. Anthropos will den ewigen Frieden dadurch herbeiführen, daß er den gegen¬ wärtigen halbtierischen, egoistischen Menschen durch Erziehung zum wahren Menschen macht, zum echten Menschentum, auf die Stufe wirklicher Zivilisation emporhebt, zu der er über die drei Vorstufen: persönlicher Egoismus. Nationalegoismus oder Patriotismus, kosmopolitischer Altruismus hinciufzuklimmen hat. Vollkommen „ge¬ reinigt" ist nämlich der Mensch erst dann, „wenn er von aller Menschheit und vilen Wohle absieht und sich der Sache, dem Guten, dem Nichtigen zuwendet." Wenn man die Menschen für etwas oder zu etwas erziehen will, muß man einen Begriff von diesem etwas haben. Wir wissen, was ein „schneidiger" Vorgesetzter, was ein gehorsamer Untergebner, was ein tüchtiger Kaufmann, was ein feiner Diplomat, was ein dankbarer, ein bescheidner Mensch, was ein Asket, was ein Fanatiker ist, und darum können wir einen Knaben zu einem Exemplar einer be¬ liebigen von diesen Menschengattungen erziehn, wenn er die Anlage dazu und der Erzieher das nötige Geschick hat. Aber wie ein Mensch aussieht, in dem der nötige Selbsterhaltungstrieb und die Liebe zu lebendigen Menschen dem ausschlie߬ lichen Interesse für das Gute gewichen sind, wie eine Welt aussieht, worin es keine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/127>, abgerufen am 28.04.2024.