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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Konflikte mehr gibt und der Fall nicht mehr vorkommt, daß zwei Schiffbrüchige
um ein Brett streiten oder beide zugrunde gehn müssen, davon haben wir keinen
Begriff, und darum können wir auch die Menschheit nicht dazu erziehn, auch wenn
uns eine Erziehungszeit von Jahrhunderten bewilligt wird.

Der dritte Grundgedanke endlich, den übrigens der Verfasser zuerst entwickelt,
ist falsch und ein höchst wunderlicher Irrtum. Er meint, das Böse entspringe nur
aus fehlerhafter Erkenntnis, werde mit fortschreitender Zivilisation, die er dem
exakten Denken gleich setzt, verschwinden, fordert darum die Beseitigung der Meta¬
physik und ruft: "Gebt dem Menschen die Erde wieder, die ihr ihm gleisnerisch
entrissen habt!" Daß sich ein exakt denkender Mathematiker in die allerunan-
genehmsten Konflikte mit seinen Nebenmenschen verwickeln kann, wissen die Mit¬
arbeiter von Witzblättern, und Asketen, die allein nach dem Himmel streben, mögen
wenig Nutzen stiften, aber die Konflikte, die zu Kriegen führen, vermehren sie so
wenig wie die Philosophieprofessoren. Freilich haben sie als Fanatiker manchmal
Religionskriege entzündet, aber auch für diese sind irdische Interessen die eigentlichen
Triebfedern und die himmlischen nieist nur ein Vorwand, höchstens Mitursachen
gewesen. Es sind keine metaphysischen Schrullen, sondern Teile der Erde, uni die
Russen und Japaner einander totschießen, Franzosen und Deutsche, Deutsche und
Russen, Arbeiter und Unternehmer einander totschießen würden, wenn nicht die
Riesenheere das eine zu gefährlich und das andre unmöglich machten. "Gebt uns
die Erde!" braucht niemand den MetaPhysikern zuzurufen, denn die haben sie nicht
im Besitz, sondern eben daraus entstehn alle Konflikte und Kriege, daß die Erd¬
oberfläche und die Menge der ihr abzuringenden Güter begrenzt ist, und daß jeder
einen möglichst großen Teil davon haben will.






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig


Alle für die Grenzboten bestimmten Aufsätze und Zuschriften wolle man an den Verleger
persönlich richten (I. Grunow, Firma: Fr. Wilh. Grunow, Jnselstrcche 20).

Die Manuskripte werden deutlich und sauber und nur auf die eine Seite des Papiers
geschrieben mit breitem Rande erbeten.







Maßgebliches und Unmaßgebliches

Konflikte mehr gibt und der Fall nicht mehr vorkommt, daß zwei Schiffbrüchige
um ein Brett streiten oder beide zugrunde gehn müssen, davon haben wir keinen
Begriff, und darum können wir auch die Menschheit nicht dazu erziehn, auch wenn
uns eine Erziehungszeit von Jahrhunderten bewilligt wird.

Der dritte Grundgedanke endlich, den übrigens der Verfasser zuerst entwickelt,
ist falsch und ein höchst wunderlicher Irrtum. Er meint, das Böse entspringe nur
aus fehlerhafter Erkenntnis, werde mit fortschreitender Zivilisation, die er dem
exakten Denken gleich setzt, verschwinden, fordert darum die Beseitigung der Meta¬
physik und ruft: „Gebt dem Menschen die Erde wieder, die ihr ihm gleisnerisch
entrissen habt!" Daß sich ein exakt denkender Mathematiker in die allerunan-
genehmsten Konflikte mit seinen Nebenmenschen verwickeln kann, wissen die Mit¬
arbeiter von Witzblättern, und Asketen, die allein nach dem Himmel streben, mögen
wenig Nutzen stiften, aber die Konflikte, die zu Kriegen führen, vermehren sie so
wenig wie die Philosophieprofessoren. Freilich haben sie als Fanatiker manchmal
Religionskriege entzündet, aber auch für diese sind irdische Interessen die eigentlichen
Triebfedern und die himmlischen nieist nur ein Vorwand, höchstens Mitursachen
gewesen. Es sind keine metaphysischen Schrullen, sondern Teile der Erde, uni die
Russen und Japaner einander totschießen, Franzosen und Deutsche, Deutsche und
Russen, Arbeiter und Unternehmer einander totschießen würden, wenn nicht die
Riesenheere das eine zu gefährlich und das andre unmöglich machten. „Gebt uns
die Erde!" braucht niemand den MetaPhysikern zuzurufen, denn die haben sie nicht
im Besitz, sondern eben daraus entstehn alle Konflikte und Kriege, daß die Erd¬
oberfläche und die Menge der ihr abzuringenden Güter begrenzt ist, und daß jeder
einen möglichst großen Teil davon haben will.






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig


Alle für die Grenzboten bestimmten Aufsätze und Zuschriften wolle man an den Verleger
persönlich richten (I. Grunow, Firma: Fr. Wilh. Grunow, Jnselstrcche 20).

Die Manuskripte werden deutlich und sauber und nur auf die eine Seite des Papiers
geschrieben mit breitem Rande erbeten.







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[0128] Maßgebliches und Unmaßgebliches Konflikte mehr gibt und der Fall nicht mehr vorkommt, daß zwei Schiffbrüchige um ein Brett streiten oder beide zugrunde gehn müssen, davon haben wir keinen Begriff, und darum können wir auch die Menschheit nicht dazu erziehn, auch wenn uns eine Erziehungszeit von Jahrhunderten bewilligt wird. Der dritte Grundgedanke endlich, den übrigens der Verfasser zuerst entwickelt, ist falsch und ein höchst wunderlicher Irrtum. Er meint, das Böse entspringe nur aus fehlerhafter Erkenntnis, werde mit fortschreitender Zivilisation, die er dem exakten Denken gleich setzt, verschwinden, fordert darum die Beseitigung der Meta¬ physik und ruft: „Gebt dem Menschen die Erde wieder, die ihr ihm gleisnerisch entrissen habt!" Daß sich ein exakt denkender Mathematiker in die allerunan- genehmsten Konflikte mit seinen Nebenmenschen verwickeln kann, wissen die Mit¬ arbeiter von Witzblättern, und Asketen, die allein nach dem Himmel streben, mögen wenig Nutzen stiften, aber die Konflikte, die zu Kriegen führen, vermehren sie so wenig wie die Philosophieprofessoren. Freilich haben sie als Fanatiker manchmal Religionskriege entzündet, aber auch für diese sind irdische Interessen die eigentlichen Triebfedern und die himmlischen nieist nur ein Vorwand, höchstens Mitursachen gewesen. Es sind keine metaphysischen Schrullen, sondern Teile der Erde, uni die Russen und Japaner einander totschießen, Franzosen und Deutsche, Deutsche und Russen, Arbeiter und Unternehmer einander totschießen würden, wenn nicht die Riesenheere das eine zu gefährlich und das andre unmöglich machten. „Gebt uns die Erde!" braucht niemand den MetaPhysikern zuzurufen, denn die haben sie nicht im Besitz, sondern eben daraus entstehn alle Konflikte und Kriege, daß die Erd¬ oberfläche und die Menge der ihr abzuringenden Güter begrenzt ist, und daß jeder einen möglichst großen Teil davon haben will. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig Alle für die Grenzboten bestimmten Aufsätze und Zuschriften wolle man an den Verleger persönlich richten (I. Grunow, Firma: Fr. Wilh. Grunow, Jnselstrcche 20). Die Manuskripte werden deutlich und sauber und nur auf die eine Seite des Papiers geschrieben mit breitem Rande erbeten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/128>, abgerufen am 28.04.2024.