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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Goethe als Erneuerer

Vielen umworben, sich keiner Neigung bewußt, wird durch einen seltsamen
Fremdling gerührt, tritt aus ihrem Zustand heraus, kompromittiert sich" --
und ruft in ihm die neue heilsame Gegenwendung hervor "in sich zurück¬
treten." "Kehrt in euch selbst zurück," ermahnt Goethe die aufgeregten
Italiener auf dem Schiffe, und "Sobald du wieder in dich selbst zurücktreten
kannst" hören wir die Schönegute einem außer sich geratnen zureden. Das
Extrem des neu gewonnenen Begriffs ist freilich auch wieder vom Übel:
als ihn Weihnachten 1787 in Rom nen ankommende Fremde in sich zurück¬
scheuchen, klagt er: "In den schweigenden zurücktretenden Zustand mag ich
meinen Feind nicht wünschen." Auch Fremdwörter bringt er, ihren eigent¬
lichen Sinn erweckend, zu neuen Ehren, zum Beispiel den Begriff Monstranz
in der Schilderung der Bucentaurs: "Das Schiff ist ganz Zierat, also darf
man nicht sagen: mit Zierat überladen; ganz vergoldetes Schnitzwerk, sonst
zu keinem Gebrauch, eine wahre Monstranz, um dem Volke seine Häupter
recht herrlich zu zeigen." Der antike Begriff x"/i.ox"/"^os zusammen mit dem
Namen der heiligen Agathe, der ihm in Italien wiederholt entgegentrat, ge¬
leitete ihn in den Wanderjahren zu der Namengebung Schönegute, wie er dort
andrerseits auch homerischen Rhythmus mitten in deutscher Prosa ("der wohl¬
gestaltete Jüngling") an pathetischer Stelle anwendet. Eine eigne und lehr¬
reiche Abhandlung könnte man darüber schreiben, wie Goethe sprichwörtliches
Gut und ältere deutsche Bildersprache erneuert hat. Auch hier wird, wo nicht
zu Golde, so doch zu Nutzmetall, was seine Hand berührt; wir erinnern nur
an erste beste Beispiele, "Sprichwörtliches" enthält ja einen wahren Vorrat
solcher Erneuerungen; aber auch sonst allenthalben in Goethes Schriften stoßen
wir auf sie, bald nur frisch geformte, behaglich erweiterte, bald auch sinnreich
ergänzte. Zu einer von Tischbeins Idyllen hebt er an:


Gegen die Brillenträger:

Gegen fremde Erneuerer:


Unangebrachte Erneuerung alter Zeiten wie ungenügende Erneuerungsversuche andrer
an seiner Denkweise konnte sich Goethe kräftig verbitten. Dem ungeschickten Führer, der ihm
Goethe als Erneuerer

Vielen umworben, sich keiner Neigung bewußt, wird durch einen seltsamen
Fremdling gerührt, tritt aus ihrem Zustand heraus, kompromittiert sich" —
und ruft in ihm die neue heilsame Gegenwendung hervor „in sich zurück¬
treten." „Kehrt in euch selbst zurück," ermahnt Goethe die aufgeregten
Italiener auf dem Schiffe, und „Sobald du wieder in dich selbst zurücktreten
kannst" hören wir die Schönegute einem außer sich geratnen zureden. Das
Extrem des neu gewonnenen Begriffs ist freilich auch wieder vom Übel:
als ihn Weihnachten 1787 in Rom nen ankommende Fremde in sich zurück¬
scheuchen, klagt er: „In den schweigenden zurücktretenden Zustand mag ich
meinen Feind nicht wünschen." Auch Fremdwörter bringt er, ihren eigent¬
lichen Sinn erweckend, zu neuen Ehren, zum Beispiel den Begriff Monstranz
in der Schilderung der Bucentaurs: „Das Schiff ist ganz Zierat, also darf
man nicht sagen: mit Zierat überladen; ganz vergoldetes Schnitzwerk, sonst
zu keinem Gebrauch, eine wahre Monstranz, um dem Volke seine Häupter
recht herrlich zu zeigen." Der antike Begriff x«/i.ox«/«^os zusammen mit dem
Namen der heiligen Agathe, der ihm in Italien wiederholt entgegentrat, ge¬
leitete ihn in den Wanderjahren zu der Namengebung Schönegute, wie er dort
andrerseits auch homerischen Rhythmus mitten in deutscher Prosa („der wohl¬
gestaltete Jüngling") an pathetischer Stelle anwendet. Eine eigne und lehr¬
reiche Abhandlung könnte man darüber schreiben, wie Goethe sprichwörtliches
Gut und ältere deutsche Bildersprache erneuert hat. Auch hier wird, wo nicht
zu Golde, so doch zu Nutzmetall, was seine Hand berührt; wir erinnern nur
an erste beste Beispiele, „Sprichwörtliches" enthält ja einen wahren Vorrat
solcher Erneuerungen; aber auch sonst allenthalben in Goethes Schriften stoßen
wir auf sie, bald nur frisch geformte, behaglich erweiterte, bald auch sinnreich
ergänzte. Zu einer von Tischbeins Idyllen hebt er an:


Gegen die Brillenträger:

Gegen fremde Erneuerer:


Unangebrachte Erneuerung alter Zeiten wie ungenügende Erneuerungsversuche andrer
an seiner Denkweise konnte sich Goethe kräftig verbitten. Dem ungeschickten Führer, der ihm
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[0160] Goethe als Erneuerer Vielen umworben, sich keiner Neigung bewußt, wird durch einen seltsamen Fremdling gerührt, tritt aus ihrem Zustand heraus, kompromittiert sich" — und ruft in ihm die neue heilsame Gegenwendung hervor „in sich zurück¬ treten." „Kehrt in euch selbst zurück," ermahnt Goethe die aufgeregten Italiener auf dem Schiffe, und „Sobald du wieder in dich selbst zurücktreten kannst" hören wir die Schönegute einem außer sich geratnen zureden. Das Extrem des neu gewonnenen Begriffs ist freilich auch wieder vom Übel: als ihn Weihnachten 1787 in Rom nen ankommende Fremde in sich zurück¬ scheuchen, klagt er: „In den schweigenden zurücktretenden Zustand mag ich meinen Feind nicht wünschen." Auch Fremdwörter bringt er, ihren eigent¬ lichen Sinn erweckend, zu neuen Ehren, zum Beispiel den Begriff Monstranz in der Schilderung der Bucentaurs: „Das Schiff ist ganz Zierat, also darf man nicht sagen: mit Zierat überladen; ganz vergoldetes Schnitzwerk, sonst zu keinem Gebrauch, eine wahre Monstranz, um dem Volke seine Häupter recht herrlich zu zeigen." Der antike Begriff x«/i.ox«/«^os zusammen mit dem Namen der heiligen Agathe, der ihm in Italien wiederholt entgegentrat, ge¬ leitete ihn in den Wanderjahren zu der Namengebung Schönegute, wie er dort andrerseits auch homerischen Rhythmus mitten in deutscher Prosa („der wohl¬ gestaltete Jüngling") an pathetischer Stelle anwendet. Eine eigne und lehr¬ reiche Abhandlung könnte man darüber schreiben, wie Goethe sprichwörtliches Gut und ältere deutsche Bildersprache erneuert hat. Auch hier wird, wo nicht zu Golde, so doch zu Nutzmetall, was seine Hand berührt; wir erinnern nur an erste beste Beispiele, „Sprichwörtliches" enthält ja einen wahren Vorrat solcher Erneuerungen; aber auch sonst allenthalben in Goethes Schriften stoßen wir auf sie, bald nur frisch geformte, behaglich erweiterte, bald auch sinnreich ergänzte. Zu einer von Tischbeins Idyllen hebt er an: Gegen die Brillenträger: Gegen fremde Erneuerer: Unangebrachte Erneuerung alter Zeiten wie ungenügende Erneuerungsversuche andrer an seiner Denkweise konnte sich Goethe kräftig verbitten. Dem ungeschickten Führer, der ihm

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/160>, abgerufen am 27.04.2024.