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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die italienische Auswandrung

bestehn aber wohl für alle Zukunft keine Aussichten, nicht einmal für ein ge¬
meinsames Zollgebiet. Dazu würde eben zunächst eine große Militärmacht
nötig sein, über die England trotz seiner starken Flotte nicht verfügt.




Die italienische Auswandrung
Paul Maria Baumgarten von

ührend die Auswandrung im allgemeinen in der Weise erfolgt,
daß die Menschen ihr altes Vaterland verlassen, um sich in einem
andern Lande anzusiedeln und dauernd dort zu bleiben, kann man
die italienische Auswandrung nicht so einfach erklären. Bei den
nichtitalienischen Auswandrern kann man im allgemeinen fest¬
stellen, daß sie mit der Absicht hinausziehn, sich in der Ferne neben einer
neuen Existenz auch ein neues Vaterland zu suchen. Die Fälle, wo das
Bürgerrecht im Einwandrungslcmde nach kürzerer oder nach längerer Frist nicht
erworben wird, sind so selten, daß sie bei der Beurteilung keine besondre Rolle
spielen können. Die Nückwcmdrung endlich geschieht bei der allgemeinen Aus¬
wandrung zur Zeit nicht oft und könnte deshalb nicht ins Gewicht fallen. Die
italienische Auswandrung dagegen bietet mehr Probleme und erscheint darum
für die Untersuchung wesentlich interessanter. Da sich der italienische Staat
seit einigen Jahren sehr um die Auswandrung und um die Auswandrer be¬
kümmert, womit die grobe Vernachlässigung früherer Zeiten einigermaßen gesühnt
wird, liegen jetzt auch amtliche Angaben vor, mit Hilfe deren ich einzelne Punkte
der ganzen Bewegung zu schildern versuchen werde.

Während es früher nur einzelne gesetzliche Bestimmungen von hervor¬
ragender Bedeutungslosigkeit gegeben hat, die sich mit dem Auswandrerwesen
befaßten, hat Italien im September 1901 ein Gesetz in Kraft treten lassen,
das in vielen Beziehungen als gut und erfolgreich bezeichnet werden muß.
Da man jedoch erst aus den seither erworbnen Erfahrungen auf diesem Ge¬
biete das wahre Wesen der Bedürfnisse der Auswandrung hat feststellen können,
so erscheinen zahlreiche Bestimmungen des Gesetzes von 1901 als reine juristische
Spekulationen, die niemals haben praktisch werden können. Auf Grund dieser
Erwägungen bereitet die Regierung jetzt ein neues Auswandrungsgesetz vor,
das, wie es heißt, in der Herbsttagung des Parlaments beraten werden soll-
Aber inzwischen hat sich eine Einrichtung sehr bewährt, nämlich das General¬
kommissariat für die Auswandrung, an dessen Spitze man einen umsichtigen,
praktischen und menschenfreundlichen Mann, den Senator Vodio, gestellt hat-
Mit einem bemerkenswerten Mute hat mau dieser Behörde Vollmachten erteilt,
die zum Bereiche der Ministerien der äußern Angelegenheiten, des Innern uno
der Marine gehören, ohne jedoch engherzigen Erwägungen über Kompetenzen
Raum zu geben, sodaß man die ganze Einrichtung unter das Ministerium des
Äußern gestellt hat. Diese Stellung ist auch nur mehr eine formale, sodaß


Die italienische Auswandrung

bestehn aber wohl für alle Zukunft keine Aussichten, nicht einmal für ein ge¬
meinsames Zollgebiet. Dazu würde eben zunächst eine große Militärmacht
nötig sein, über die England trotz seiner starken Flotte nicht verfügt.




Die italienische Auswandrung
Paul Maria Baumgarten von

ührend die Auswandrung im allgemeinen in der Weise erfolgt,
daß die Menschen ihr altes Vaterland verlassen, um sich in einem
andern Lande anzusiedeln und dauernd dort zu bleiben, kann man
die italienische Auswandrung nicht so einfach erklären. Bei den
nichtitalienischen Auswandrern kann man im allgemeinen fest¬
stellen, daß sie mit der Absicht hinausziehn, sich in der Ferne neben einer
neuen Existenz auch ein neues Vaterland zu suchen. Die Fälle, wo das
Bürgerrecht im Einwandrungslcmde nach kürzerer oder nach längerer Frist nicht
erworben wird, sind so selten, daß sie bei der Beurteilung keine besondre Rolle
spielen können. Die Nückwcmdrung endlich geschieht bei der allgemeinen Aus¬
wandrung zur Zeit nicht oft und könnte deshalb nicht ins Gewicht fallen. Die
italienische Auswandrung dagegen bietet mehr Probleme und erscheint darum
für die Untersuchung wesentlich interessanter. Da sich der italienische Staat
seit einigen Jahren sehr um die Auswandrung und um die Auswandrer be¬
kümmert, womit die grobe Vernachlässigung früherer Zeiten einigermaßen gesühnt
wird, liegen jetzt auch amtliche Angaben vor, mit Hilfe deren ich einzelne Punkte
der ganzen Bewegung zu schildern versuchen werde.

Während es früher nur einzelne gesetzliche Bestimmungen von hervor¬
ragender Bedeutungslosigkeit gegeben hat, die sich mit dem Auswandrerwesen
befaßten, hat Italien im September 1901 ein Gesetz in Kraft treten lassen,
das in vielen Beziehungen als gut und erfolgreich bezeichnet werden muß.
Da man jedoch erst aus den seither erworbnen Erfahrungen auf diesem Ge¬
biete das wahre Wesen der Bedürfnisse der Auswandrung hat feststellen können,
so erscheinen zahlreiche Bestimmungen des Gesetzes von 1901 als reine juristische
Spekulationen, die niemals haben praktisch werden können. Auf Grund dieser
Erwägungen bereitet die Regierung jetzt ein neues Auswandrungsgesetz vor,
das, wie es heißt, in der Herbsttagung des Parlaments beraten werden soll-
Aber inzwischen hat sich eine Einrichtung sehr bewährt, nämlich das General¬
kommissariat für die Auswandrung, an dessen Spitze man einen umsichtigen,
praktischen und menschenfreundlichen Mann, den Senator Vodio, gestellt hat-
Mit einem bemerkenswerten Mute hat mau dieser Behörde Vollmachten erteilt,
die zum Bereiche der Ministerien der äußern Angelegenheiten, des Innern uno
der Marine gehören, ohne jedoch engherzigen Erwägungen über Kompetenzen
Raum zu geben, sodaß man die ganze Einrichtung unter das Ministerium des
Äußern gestellt hat. Diese Stellung ist auch nur mehr eine formale, sodaß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/198>, abgerufen am 27.04.2024.