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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Gin komisches Gpos Friedrichs des Großen
Georg Peiser von

Mme polnische Frage gibt es nicht erst, seitdem am 5. August 1772
Nußland, Preußen und Österreich den Petersburger Teilungs¬
traktat unterzeichneten. Ihre Anfänge reichen vielmehr in die
Zeit zurück, wo es zuerst einsichtigen Politikern klar wurde, daß
! ohne eine durchgreifende Reform seiner Verfassung Polen dem
Untergange zusteure. Schon im Jahre 1662 hat ein polnischer König seinen
Landsleuten ihr einstiges Schicksal vorhergesagt. "Gott gebe, so lautete die
denkwürdige Prophezeiung Johann Kasimirs, daß ich als ein falscher Prophet
erfunden werde; aber dank euerm weltberühmten Recht der freien Königswahl
wird es einst dahin kommen, daß sich der Moskowiter, der Brandenburger und
der Österreicher unsre Staaten teilen." Klingt es nicht wie ein Echo dieser
Weissagung, wenn im November 1771, also zehn Monate vor dem Abschluß des
Petersburger Traktats, den Polen zugerufen wird: "Lange Zeit habt ihr, ohne
euch etwas dabei zu denken, euern mächtigen Nachbarn den Tisch gedeckt; jetzt
werdet ihr geruhen, es in Ordnung zu finden, wenn sich diese Nachbarn den
Kuchen teilen."

Es ist ein merkwürdiges Buch, worin sich diese Worte finden: ein komisches
Epos Friedrichs des Großen, betitelt I^g, Zusri'6 des eonlMvrös. Sein Gegen¬
stand ist der Bürgerkrieg der Konföderation von Bar, der seit dem Frühjahr
1768 Polen verwüstete. Am 24. Februar hatte der Warschauer Reichstag unter
russischem Zwang die religiöse und die politische Gleichstellung der Dissidenten,
d. h. der Protestanten, Reformierten und nichtunierten Griechen, mit den rö¬
mischen Katholiken ausgesprochen. Fünf Tage darauf bildete sich in dem kleinen
podolischen Städtchen nahe bei der türkischen Grenze diese Konföderation, die von
allen polnischen Adelsvcrbindungen die folgenreichste geworden ist. Unter dem
Feldgeschrei: Wiederherstellung der Vorrechte der römischen Kirche haben die
Konföderierten einen mehrjährigen Verzweiflungskampf gegen die russischen
Unterdrücker geführt, Rußland in einen gefährlichen Krieg mit der Pforte ver¬
wickelt, aber schließlich den Untergang der polnischen Freiheit, die sie retten
wollten, nur befördern helfen.

Wenn es Friedrich nicht an mehreren Stellen seines Werkes ausdrücklich
sagte, man würde es dem übermütigen Buche selbst nicht ansehen, daß es
in einer Zeit körperlichen Leidens entstanden ist. Im Oktober 1771 traf den
König ein heftiger Gichtanfall, der ihn fünf Wochen lang, wie er klagte, an
Händen und Füßen förmlich knebelte. Wieder suchte er, wie er in kranken
Tagen tat, bei den Musen Ablenkung und Zerstreuung. Er mache es, sagte
er, wie die Franzosen, die sich mit einem Liedchen, einem Bonmot, alle




Gin komisches Gpos Friedrichs des Großen
Georg Peiser von

Mme polnische Frage gibt es nicht erst, seitdem am 5. August 1772
Nußland, Preußen und Österreich den Petersburger Teilungs¬
traktat unterzeichneten. Ihre Anfänge reichen vielmehr in die
Zeit zurück, wo es zuerst einsichtigen Politikern klar wurde, daß
! ohne eine durchgreifende Reform seiner Verfassung Polen dem
Untergange zusteure. Schon im Jahre 1662 hat ein polnischer König seinen
Landsleuten ihr einstiges Schicksal vorhergesagt. „Gott gebe, so lautete die
denkwürdige Prophezeiung Johann Kasimirs, daß ich als ein falscher Prophet
erfunden werde; aber dank euerm weltberühmten Recht der freien Königswahl
wird es einst dahin kommen, daß sich der Moskowiter, der Brandenburger und
der Österreicher unsre Staaten teilen." Klingt es nicht wie ein Echo dieser
Weissagung, wenn im November 1771, also zehn Monate vor dem Abschluß des
Petersburger Traktats, den Polen zugerufen wird: „Lange Zeit habt ihr, ohne
euch etwas dabei zu denken, euern mächtigen Nachbarn den Tisch gedeckt; jetzt
werdet ihr geruhen, es in Ordnung zu finden, wenn sich diese Nachbarn den
Kuchen teilen."

Es ist ein merkwürdiges Buch, worin sich diese Worte finden: ein komisches
Epos Friedrichs des Großen, betitelt I^g, Zusri'6 des eonlMvrös. Sein Gegen¬
stand ist der Bürgerkrieg der Konföderation von Bar, der seit dem Frühjahr
1768 Polen verwüstete. Am 24. Februar hatte der Warschauer Reichstag unter
russischem Zwang die religiöse und die politische Gleichstellung der Dissidenten,
d. h. der Protestanten, Reformierten und nichtunierten Griechen, mit den rö¬
mischen Katholiken ausgesprochen. Fünf Tage darauf bildete sich in dem kleinen
podolischen Städtchen nahe bei der türkischen Grenze diese Konföderation, die von
allen polnischen Adelsvcrbindungen die folgenreichste geworden ist. Unter dem
Feldgeschrei: Wiederherstellung der Vorrechte der römischen Kirche haben die
Konföderierten einen mehrjährigen Verzweiflungskampf gegen die russischen
Unterdrücker geführt, Rußland in einen gefährlichen Krieg mit der Pforte ver¬
wickelt, aber schließlich den Untergang der polnischen Freiheit, die sie retten
wollten, nur befördern helfen.

Wenn es Friedrich nicht an mehreren Stellen seines Werkes ausdrücklich
sagte, man würde es dem übermütigen Buche selbst nicht ansehen, daß es
in einer Zeit körperlichen Leidens entstanden ist. Im Oktober 1771 traf den
König ein heftiger Gichtanfall, der ihn fünf Wochen lang, wie er klagte, an
Händen und Füßen förmlich knebelte. Wieder suchte er, wie er in kranken
Tagen tat, bei den Musen Ablenkung und Zerstreuung. Er mache es, sagte
er, wie die Franzosen, die sich mit einem Liedchen, einem Bonmot, alle


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/212>, abgerufen am 27.04.2024.