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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Lhamberlains britische Reichspolitik
L. O. Brandt voll in Düsseldorf

l eilig Wochen, nachdem ich in den Grenzboten 1903 einige Be¬
trachtungen über Zollvereine angestellt und dabei auch der in
England gärenden Anschauungen gedacht hatte, trat Chamberlain
von seinem Amt als Staatssekretär der Kolonialabteilung zurück
kund nahm mit aller Entschiedenheit den Kampf um die Ver¬
wirklichung dieser Gedanken auf. Damit ist die Angelegenheit von weit größerer
internationaler Bedeutung geworden. Bei dem Umstände, daß wir in nächster
Zeit eine Fortsetzung der Arbeit Chamberlains erwarten müssen, daß von
seiner bisherigen Propaganda weder die englische Negierung, noch das Parla¬
ment, noch auch die Bevölkerung unberührt geblieben sind, vielmehr manches
ans einen innern Umschwung hindeutet, empfiehlt es sich, den in meinen ersten
Aufsätzen nur in leichten Umrissen angedeuteten Anschauungen, die den Chcunber-
lainschen Plänen zugrunde liegen, nunmehr etwas sorgfältiger nachzuspüren.

Der Atlantische Ozean ist wie kein andres Meer der Erde zum Erzieher der
Völker geworden, die sich auf ihn hinauswagten; er hat die Völker zur Über¬
nahme der Weltherrschaft vorbereitet. Die Suche nach einer nördlichen Durch¬
fahrt nach Asien, die ein Jahrhundert des englischen Strebens von 1S76 ab
erfüllte, die Hochseefischerei und der Robbenschlag der Holländer und der
Franzosen waren die harte Schule der Arktis, durch die die Völker gehn
mußten, die ihnen aber zeitweise mit der Herrschaft über die Erde schlechthin
oder über große Teile von ihr gelohnt wurde. Von diesem Unternehmungs¬
geist entdecken wir in dem alten England nicht viel. Es ist ein Land rücksicht¬
loser Ausbeutung zuerst für die kölnische und die flamlündische, später für die
gesamte nordische Hansa, der man willig Eingang gewährt, weil sie ein will¬
kommenes Steuerobjekt ist und den englischen Königen mit Darlehn jederzeit
willig aushilft. Der Stahlhof in London ist auch äußerlich eine feste Burg
trotziger, mit voller Handelsfreiheit in ganz England allsgestatteter deutscher
Kaufleute. Die Hauptquelle ihres Reichtums war die Ausfuhr englischer
Wolle und vor allem der Tuche. Aber es dauerte nicht lange, da wandelte
sich der stille Groll, mit dem die Engländer diese Monopolstellung der
Fremden betrachteten, in die Tatkraft, die den eingedrungnen Händler mit


Grenzboten IU, 1904 38


Lhamberlains britische Reichspolitik
L. O. Brandt voll in Düsseldorf

l eilig Wochen, nachdem ich in den Grenzboten 1903 einige Be¬
trachtungen über Zollvereine angestellt und dabei auch der in
England gärenden Anschauungen gedacht hatte, trat Chamberlain
von seinem Amt als Staatssekretär der Kolonialabteilung zurück
kund nahm mit aller Entschiedenheit den Kampf um die Ver¬
wirklichung dieser Gedanken auf. Damit ist die Angelegenheit von weit größerer
internationaler Bedeutung geworden. Bei dem Umstände, daß wir in nächster
Zeit eine Fortsetzung der Arbeit Chamberlains erwarten müssen, daß von
seiner bisherigen Propaganda weder die englische Negierung, noch das Parla¬
ment, noch auch die Bevölkerung unberührt geblieben sind, vielmehr manches
ans einen innern Umschwung hindeutet, empfiehlt es sich, den in meinen ersten
Aufsätzen nur in leichten Umrissen angedeuteten Anschauungen, die den Chcunber-
lainschen Plänen zugrunde liegen, nunmehr etwas sorgfältiger nachzuspüren.

Der Atlantische Ozean ist wie kein andres Meer der Erde zum Erzieher der
Völker geworden, die sich auf ihn hinauswagten; er hat die Völker zur Über¬
nahme der Weltherrschaft vorbereitet. Die Suche nach einer nördlichen Durch¬
fahrt nach Asien, die ein Jahrhundert des englischen Strebens von 1S76 ab
erfüllte, die Hochseefischerei und der Robbenschlag der Holländer und der
Franzosen waren die harte Schule der Arktis, durch die die Völker gehn
mußten, die ihnen aber zeitweise mit der Herrschaft über die Erde schlechthin
oder über große Teile von ihr gelohnt wurde. Von diesem Unternehmungs¬
geist entdecken wir in dem alten England nicht viel. Es ist ein Land rücksicht¬
loser Ausbeutung zuerst für die kölnische und die flamlündische, später für die
gesamte nordische Hansa, der man willig Eingang gewährt, weil sie ein will¬
kommenes Steuerobjekt ist und den englischen Königen mit Darlehn jederzeit
willig aushilft. Der Stahlhof in London ist auch äußerlich eine feste Burg
trotziger, mit voller Handelsfreiheit in ganz England allsgestatteter deutscher
Kaufleute. Die Hauptquelle ihres Reichtums war die Ausfuhr englischer
Wolle und vor allem der Tuche. Aber es dauerte nicht lange, da wandelte
sich der stille Groll, mit dem die Engländer diese Monopolstellung der
Fremden betrachteten, in die Tatkraft, die den eingedrungnen Händler mit


Grenzboten IU, 1904 38
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[0249] [Abbildung] Lhamberlains britische Reichspolitik L. O. Brandt voll in Düsseldorf l eilig Wochen, nachdem ich in den Grenzboten 1903 einige Be¬ trachtungen über Zollvereine angestellt und dabei auch der in England gärenden Anschauungen gedacht hatte, trat Chamberlain von seinem Amt als Staatssekretär der Kolonialabteilung zurück kund nahm mit aller Entschiedenheit den Kampf um die Ver¬ wirklichung dieser Gedanken auf. Damit ist die Angelegenheit von weit größerer internationaler Bedeutung geworden. Bei dem Umstände, daß wir in nächster Zeit eine Fortsetzung der Arbeit Chamberlains erwarten müssen, daß von seiner bisherigen Propaganda weder die englische Negierung, noch das Parla¬ ment, noch auch die Bevölkerung unberührt geblieben sind, vielmehr manches ans einen innern Umschwung hindeutet, empfiehlt es sich, den in meinen ersten Aufsätzen nur in leichten Umrissen angedeuteten Anschauungen, die den Chcunber- lainschen Plänen zugrunde liegen, nunmehr etwas sorgfältiger nachzuspüren. Der Atlantische Ozean ist wie kein andres Meer der Erde zum Erzieher der Völker geworden, die sich auf ihn hinauswagten; er hat die Völker zur Über¬ nahme der Weltherrschaft vorbereitet. Die Suche nach einer nördlichen Durch¬ fahrt nach Asien, die ein Jahrhundert des englischen Strebens von 1S76 ab erfüllte, die Hochseefischerei und der Robbenschlag der Holländer und der Franzosen waren die harte Schule der Arktis, durch die die Völker gehn mußten, die ihnen aber zeitweise mit der Herrschaft über die Erde schlechthin oder über große Teile von ihr gelohnt wurde. Von diesem Unternehmungs¬ geist entdecken wir in dem alten England nicht viel. Es ist ein Land rücksicht¬ loser Ausbeutung zuerst für die kölnische und die flamlündische, später für die gesamte nordische Hansa, der man willig Eingang gewährt, weil sie ein will¬ kommenes Steuerobjekt ist und den englischen Königen mit Darlehn jederzeit willig aushilft. Der Stahlhof in London ist auch äußerlich eine feste Burg trotziger, mit voller Handelsfreiheit in ganz England allsgestatteter deutscher Kaufleute. Die Hauptquelle ihres Reichtums war die Ausfuhr englischer Wolle und vor allem der Tuche. Aber es dauerte nicht lange, da wandelte sich der stille Groll, mit dem die Engländer diese Monopolstellung der Fremden betrachteten, in die Tatkraft, die den eingedrungnen Händler mit Grenzboten IU, 1904 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/249>, abgerufen am 28.04.2024.