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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Das Hamburger Volksheim
Ernst Schnitze von in Hamburg-Großborstel

is Vor noch nicht drei Jahren in Hamburg von einer Schar
junger Rechtsanwälte, Oberlehrer und andrer Akademiker das
"Volksheim" ins Leben gerufen werden sollte, war in dieser
kühl denkenden Stadt des Kopfschüttelns kein Ende, und eine
der führenden Zeitungen goß die Lauge ihres Spottes über
einen so unüberlegte" und schädlichen Plan aus. Um so überraschender haben
die großen Erfolge des Volksheims in der Zwischenzeit in Hamburg selbst
und im übrigen Deutschland gewirkt. Kamille man doch ähnliche Einrichtungen
bei uns miaute fast gar nicht. Die "Volksheime," die in Dresden, Breslau
und andern deutschen Städten bestehn und ihre segensreiche Wirksamkeit schon
mehrere Jahre vor dem Hamburger Volkshcim begonnen haben, legen den
Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf eine ganz andre Seite als dieses, und die
Gleichheit des Namens ist nur dem Umstände zuzuschreiben, daß man in
Hamburg keinen neuen Namen fand und ihn auch bis heute noch nicht ge¬
funden hat. Das englische Wort "settlement" aber einfach beizubehalten, wie
das ein Wiener Verein getan hat, hat man -- mit Recht -- vermieden.

Das Wesen der Sache trifft zwar der Name "Volksheim" in Dresden
und Breslau besser als in Hamburg. In jenen Volksheimen findet das Volk
für seine Mußestunden, auch für seiue Mahlzeiten angenehme Räumlichkeiten,
wo kein Trinkzwang herrscht, alkoholische Getränke nur in geringem Maße zu
erhalten sind, dagegen Lesestoff zur Unterhaltung und Belehrung geboten
wird. Die Gründer des Hamburger "Volkshcims" wollten sich damit nicht
begnügen; ihnen kam es hauptsächlich darauf an, eine Stätte zu schaffen, an
der Angehörige der untern Gesellschaftskreise mit solchen der wohlhabenden
und gebildeten Schichten auf gemeinsamem Boden zusammentreffen können --
die persönliche Berührung dieser im nichtgeschüftlichen Leben so stark getrennten
Klassen sollte der Hauptzweck der neuen Einrichtung sein.

Als Vorbild schwebten den Gründern -- insbesondre dem Kandidaten
der Theologie Walter Classen, dem Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Hertz und dem
um das Wohl seiner vielen hundert Fabrikarbeiter wie um das seiner Vater-


Grenzboten III 1904 41


Das Hamburger Volksheim
Ernst Schnitze von in Hamburg-Großborstel

is Vor noch nicht drei Jahren in Hamburg von einer Schar
junger Rechtsanwälte, Oberlehrer und andrer Akademiker das
„Volksheim" ins Leben gerufen werden sollte, war in dieser
kühl denkenden Stadt des Kopfschüttelns kein Ende, und eine
der führenden Zeitungen goß die Lauge ihres Spottes über
einen so unüberlegte» und schädlichen Plan aus. Um so überraschender haben
die großen Erfolge des Volksheims in der Zwischenzeit in Hamburg selbst
und im übrigen Deutschland gewirkt. Kamille man doch ähnliche Einrichtungen
bei uns miaute fast gar nicht. Die „Volksheime," die in Dresden, Breslau
und andern deutschen Städten bestehn und ihre segensreiche Wirksamkeit schon
mehrere Jahre vor dem Hamburger Volkshcim begonnen haben, legen den
Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf eine ganz andre Seite als dieses, und die
Gleichheit des Namens ist nur dem Umstände zuzuschreiben, daß man in
Hamburg keinen neuen Namen fand und ihn auch bis heute noch nicht ge¬
funden hat. Das englische Wort „settlement" aber einfach beizubehalten, wie
das ein Wiener Verein getan hat, hat man — mit Recht — vermieden.

Das Wesen der Sache trifft zwar der Name „Volksheim" in Dresden
und Breslau besser als in Hamburg. In jenen Volksheimen findet das Volk
für seine Mußestunden, auch für seiue Mahlzeiten angenehme Räumlichkeiten,
wo kein Trinkzwang herrscht, alkoholische Getränke nur in geringem Maße zu
erhalten sind, dagegen Lesestoff zur Unterhaltung und Belehrung geboten
wird. Die Gründer des Hamburger „Volkshcims" wollten sich damit nicht
begnügen; ihnen kam es hauptsächlich darauf an, eine Stätte zu schaffen, an
der Angehörige der untern Gesellschaftskreise mit solchen der wohlhabenden
und gebildeten Schichten auf gemeinsamem Boden zusammentreffen können —
die persönliche Berührung dieser im nichtgeschüftlichen Leben so stark getrennten
Klassen sollte der Hauptzweck der neuen Einrichtung sein.

Als Vorbild schwebten den Gründern — insbesondre dem Kandidaten
der Theologie Walter Classen, dem Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Hertz und dem
um das Wohl seiner vielen hundert Fabrikarbeiter wie um das seiner Vater-


Grenzboten III 1904 41
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[0311] [Abbildung] Das Hamburger Volksheim Ernst Schnitze von in Hamburg-Großborstel is Vor noch nicht drei Jahren in Hamburg von einer Schar junger Rechtsanwälte, Oberlehrer und andrer Akademiker das „Volksheim" ins Leben gerufen werden sollte, war in dieser kühl denkenden Stadt des Kopfschüttelns kein Ende, und eine der führenden Zeitungen goß die Lauge ihres Spottes über einen so unüberlegte» und schädlichen Plan aus. Um so überraschender haben die großen Erfolge des Volksheims in der Zwischenzeit in Hamburg selbst und im übrigen Deutschland gewirkt. Kamille man doch ähnliche Einrichtungen bei uns miaute fast gar nicht. Die „Volksheime," die in Dresden, Breslau und andern deutschen Städten bestehn und ihre segensreiche Wirksamkeit schon mehrere Jahre vor dem Hamburger Volkshcim begonnen haben, legen den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf eine ganz andre Seite als dieses, und die Gleichheit des Namens ist nur dem Umstände zuzuschreiben, daß man in Hamburg keinen neuen Namen fand und ihn auch bis heute noch nicht ge¬ funden hat. Das englische Wort „settlement" aber einfach beizubehalten, wie das ein Wiener Verein getan hat, hat man — mit Recht — vermieden. Das Wesen der Sache trifft zwar der Name „Volksheim" in Dresden und Breslau besser als in Hamburg. In jenen Volksheimen findet das Volk für seine Mußestunden, auch für seiue Mahlzeiten angenehme Räumlichkeiten, wo kein Trinkzwang herrscht, alkoholische Getränke nur in geringem Maße zu erhalten sind, dagegen Lesestoff zur Unterhaltung und Belehrung geboten wird. Die Gründer des Hamburger „Volkshcims" wollten sich damit nicht begnügen; ihnen kam es hauptsächlich darauf an, eine Stätte zu schaffen, an der Angehörige der untern Gesellschaftskreise mit solchen der wohlhabenden und gebildeten Schichten auf gemeinsamem Boden zusammentreffen können — die persönliche Berührung dieser im nichtgeschüftlichen Leben so stark getrennten Klassen sollte der Hauptzweck der neuen Einrichtung sein. Als Vorbild schwebten den Gründern — insbesondre dem Kandidaten der Theologie Walter Classen, dem Rechtsanwalt Dr. Wilhelm Hertz und dem um das Wohl seiner vielen hundert Fabrikarbeiter wie um das seiner Vater- Grenzboten III 1904 41

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/311>, abgerufen am 28.04.2024.