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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die Dramen Gabriele D'Annunzios

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M^z>in neues Drama von D'Annunzio! Nach längerm Schweigen,
das nur durch einen Band formvollendeter Poesien unterbrochen
worden ist, beschenkt der gefeierte Italiener seine Landsleute und
den weit großem Kreis seiner internationalen Verehrer mit einer
! neuen Tragödie. Zwar ist es nicht die von der italienischen
Presse seit langem angekündigte Fortsetzung des Malatestacyklus; der blutbe¬
fleckte Schatten Sigismondos und die bleiche Gestalt Parisinas konnten sich
noch nicht in D'Annunzios schöpferischer Phantasie zu lebensvollen Wieder-
erstehn durchringen. I^a kiAla 61 lorio ist eine Hirtentragödie, worin uns
der Verfasser in die archaischen Verhältnisse eines entlegnen Abruzzendorfes
führt. Die Zeit ist nicht genau bezeichnet, doch deuten die wilden Sitten und
die Altertümlichkeit einzelner Sprachwendungen auf eine Periode hin, die um
viele Jahrhunderte zurückliegt.

Der deutsche Journalismus ist viel zu feinfühlig für das Interesse des
großen Publikums, als daß er nicht sofort über ein neues Werk des vor zwei
Jahren so vielgelesenen und vielgeschmcihtcn Autors berichtete. Ein so erbitterter
Federkrieg wie damals wird es nun zwar nicht werden, denn das Urteil über
D'Annunzio hat sich inzwischen geklärt, und die neue Tragödie bietet auch nicht
so viel Angriffspunkte wie der Roman II Movo mit seiner naiven, an Größen¬
wahn grenzenden Selbstbespieglung. Ein Rückblick aus das ungestüme Hinund¬
herwogen der widersprechendsten Meinungen wirkt jetzt eher erheiternd. "Flau¬
bert hat nie gelebt für diesen Barbaren mit (!) der letzten Kultur," bemerkte
damals der Erfinder des moderner Lapidarstils mehr "schneidig" als klar; wo¬
gegen eine sehr belesene "Lady Doktor" den Dichter als Schüler Flauberts kenn¬
zeichnete. Andre Rezensenten ließen an D'Annunzio und seiner Kunst überhaupt
kein gutes Haar. Kraftworte wie "Seichtheit des Charakters," "schwacher
Geist," "flache Seele," "langfingeriger Genius," "ästhetischer Handwerksbetrieb"
sind noch Kosenamen in dem üppigen Wortschatz der D'Annunzio feindlichen
Kritik.

Gerade diese Widersprüche bei seinen Beurteilern, die auch im Vaterlande des
Dichters jedes einzelne neue Werk begleiten, sind der Maßstab für D'Annunzios
Bedeutung. Seine Schöpferkraft wurzelt in der Volksseele der italischen Stämme.
Er ist ein exklusiver Romane, der trotz der ihm so häufig vorgeworfnen Ent¬
lehnung seiner Vorbilder aus den Dichtungen andrer Nationen keinen fremden
Bestandteil in seine Werke aufnehmen kann, ohne ihn in charakteristischer Weise




Die Dramen Gabriele D'Annunzios

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M^z>in neues Drama von D'Annunzio! Nach längerm Schweigen,
das nur durch einen Band formvollendeter Poesien unterbrochen
worden ist, beschenkt der gefeierte Italiener seine Landsleute und
den weit großem Kreis seiner internationalen Verehrer mit einer
! neuen Tragödie. Zwar ist es nicht die von der italienischen
Presse seit langem angekündigte Fortsetzung des Malatestacyklus; der blutbe¬
fleckte Schatten Sigismondos und die bleiche Gestalt Parisinas konnten sich
noch nicht in D'Annunzios schöpferischer Phantasie zu lebensvollen Wieder-
erstehn durchringen. I^a kiAla 61 lorio ist eine Hirtentragödie, worin uns
der Verfasser in die archaischen Verhältnisse eines entlegnen Abruzzendorfes
führt. Die Zeit ist nicht genau bezeichnet, doch deuten die wilden Sitten und
die Altertümlichkeit einzelner Sprachwendungen auf eine Periode hin, die um
viele Jahrhunderte zurückliegt.

Der deutsche Journalismus ist viel zu feinfühlig für das Interesse des
großen Publikums, als daß er nicht sofort über ein neues Werk des vor zwei
Jahren so vielgelesenen und vielgeschmcihtcn Autors berichtete. Ein so erbitterter
Federkrieg wie damals wird es nun zwar nicht werden, denn das Urteil über
D'Annunzio hat sich inzwischen geklärt, und die neue Tragödie bietet auch nicht
so viel Angriffspunkte wie der Roman II Movo mit seiner naiven, an Größen¬
wahn grenzenden Selbstbespieglung. Ein Rückblick aus das ungestüme Hinund¬
herwogen der widersprechendsten Meinungen wirkt jetzt eher erheiternd. „Flau¬
bert hat nie gelebt für diesen Barbaren mit (!) der letzten Kultur," bemerkte
damals der Erfinder des moderner Lapidarstils mehr „schneidig" als klar; wo¬
gegen eine sehr belesene „Lady Doktor" den Dichter als Schüler Flauberts kenn¬
zeichnete. Andre Rezensenten ließen an D'Annunzio und seiner Kunst überhaupt
kein gutes Haar. Kraftworte wie „Seichtheit des Charakters," „schwacher
Geist," „flache Seele," „langfingeriger Genius," „ästhetischer Handwerksbetrieb"
sind noch Kosenamen in dem üppigen Wortschatz der D'Annunzio feindlichen
Kritik.

Gerade diese Widersprüche bei seinen Beurteilern, die auch im Vaterlande des
Dichters jedes einzelne neue Werk begleiten, sind der Maßstab für D'Annunzios
Bedeutung. Seine Schöpferkraft wurzelt in der Volksseele der italischen Stämme.
Er ist ein exklusiver Romane, der trotz der ihm so häufig vorgeworfnen Ent¬
lehnung seiner Vorbilder aus den Dichtungen andrer Nationen keinen fremden
Bestandteil in seine Werke aufnehmen kann, ohne ihn in charakteristischer Weise


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/34>, abgerufen am 28.04.2024.