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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

korrekt ist er freilich. Aber wenn die katholische Kirche in der neuen Zeit fortleben
will, muß sie, bis ihr die innere anpassende Umbildung gelungen sein wird, vor¬
läufig wenigstens auf die öffentliche Geltendmachung mancher ihrer Dogmen ver¬
zichten. Wenn die protestantische Mehrheit Preußens weiß, daß ihr in den katho¬
lischen Schulen die Daseinsberechtigung abgesprochen, daß sie als von der Wahrheit
abgefallne Sekte und der große Organisator ihres Kirchenwesens als Häresicirch,
schlechter Charakter und verkommner Lump charakterisiert wird, dann darf sie
katholische Schulen und katholischen Religionsunterricht im Staate nicht mehr dulden;
und was in dem beinahe rein katholischen Frankreich möglich gewesen ist, das wird
doch wohl, wenn ein klugerer Feldzugsplan zugrunde gelegt wird als im ersten
Kulturkampf, auch in dem größtenteils protestantischen Preußen möglich sein. Für
die Unterstützung, die Denifle der Opposition gegen ein konservativ-klerikales Schul¬
gesetz leistet, wird diese ihm hoffentlich eine Dankadresse überreichen. Die konfessionelle
Differenzierung ist bei uns wieder einmal so weit gediehen, daß sich aller innere
Zusammenhang zu lösen droht, und die entgegengesetzten Pole als kaum noch zu über¬
bietende Fanatismen in eine Spannung geraten sind, in der sie nicht lange ver¬
harren können. Der Evangelische Bund mit dem von Hoensbroech geführten Frei-
schärlerkorps auf der einen, Denifle, Korum, Benzler, Keppler und ein Teil der
kleinen Zentrumspresse auf der andern Seite stehen bereit, statt der Worte Gewalt¬
maßregeln zu ergreifen. Einander zu bekehren, diesen Zweck kann doch ihre Polemik
nicht verfolgen; Beleidigungen rufen Beleidigungen hervor, der Gegensatz vertieft,
die Spannung verstärkt sich, und Lösung ist zuletzt nur auf dem Wege physischer
Gewalt denkbar, wobei man ja nicht gleich an Mord und Brand zu denken braucht,
sondern zunächst nur an eine Gesetzgebung der Mehrheit ab irato. Und bei dieser
Aussicht dürfte den Katholiken, so weit sie nicht vom Fanatismus verblendet sind,
nicht gerade wohl zumute sein. Denn sie sind nicht bloß in Preußen, sondern auf
dem Erdenrund die physisch, moralisch und geistig schwächere Partei, weil, wenn
es zu einem Entscheidungskampfe kommt, die gläubigen Protestanten die auch im
Schoße des Katholizismus reichlich vertretene ungläubige Intelligenz und das russisch¬
griechische Schisma auf ihrer Seite haben. Denifle schilt seine katholischen Gegner
einseitig gebildete Historiker ohne gründliche philosophische Bildung. Er soll es sich
gesagt sein lassen, daß eine von der Geschichte, das ist von der lebendigen Wirklichkeit
losgelöste Philosophie nur scholastische Verschrobenheit ist und den Namen Philosophie
nicht verdient, und daß er selbst, obwohl Historiker von Fach, des historischen Sinns,
des Wirklichkeitssinns verlustig gegangen ist, weil er sich in das Gefängnis der
^ formalen Logik der Scholastiker hat einsperren lassen.


Schriften zur Gesellschaftswissenschaft und Volkswirtschaftslehre.

In Bern, im Verlag Encyklopädie, erscheint seit 1902 ein Handwörterbuch der
schweizerischen Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, herausgegeben von
Dr. ^ur. N. Reichesberg, Professor an der Universität Bern. Der in den Zentral¬
alpen und auf ihrem nördlichen AbHange angesiedelte deutsche Stamm hat unter
eigentümlichen Naturbedingungen ein so eigentümliches politisches, soziales und wirt¬
schaftliches Leben entwickelt, daß dieses schon durch seine Eigentümlichkeit anzieht,
und jede gute Beschreibung von ihm, und manche solche finden wir hier, uns an¬
genehm ist. Im ersten Bande dieser Encyklopädie zum Beispiel wird jeder zuerst
den Artikel Alpwirtschaft aufschlagen und sich nicht enttäuscht finden, denn er wird
über den Betrieb dieses idyllischen Zweiges der Landwirtschaft gründlich belehrt.
Den Futterbedarf einer Kuh für die auf neunzig Tage angenommene Sommerzeit
nennt man ein Kuhrecht, und die 1108000 Hektar Alpen- und Weideland der
Schweiz nun ergeben ungefähr 400000 Kuhrechte, machen also einen sehr ansehn¬
lichen Teil der schweizerischen Volkswirtschaft aus. Weiden und Wälder bleiben
am längsten Gegenstand gemeinsamer Nutzung; so dürfen wir uns nicht Wundern,
daß die Allmenden in der Schweiz auch heute noch beträchtlich sind; im Kanton
Bern allein wird ihr Wert auf hundert Millionen Franken geschätzt. Aus der


Maßgebliches und Unmaßgebliches

korrekt ist er freilich. Aber wenn die katholische Kirche in der neuen Zeit fortleben
will, muß sie, bis ihr die innere anpassende Umbildung gelungen sein wird, vor¬
läufig wenigstens auf die öffentliche Geltendmachung mancher ihrer Dogmen ver¬
zichten. Wenn die protestantische Mehrheit Preußens weiß, daß ihr in den katho¬
lischen Schulen die Daseinsberechtigung abgesprochen, daß sie als von der Wahrheit
abgefallne Sekte und der große Organisator ihres Kirchenwesens als Häresicirch,
schlechter Charakter und verkommner Lump charakterisiert wird, dann darf sie
katholische Schulen und katholischen Religionsunterricht im Staate nicht mehr dulden;
und was in dem beinahe rein katholischen Frankreich möglich gewesen ist, das wird
doch wohl, wenn ein klugerer Feldzugsplan zugrunde gelegt wird als im ersten
Kulturkampf, auch in dem größtenteils protestantischen Preußen möglich sein. Für
die Unterstützung, die Denifle der Opposition gegen ein konservativ-klerikales Schul¬
gesetz leistet, wird diese ihm hoffentlich eine Dankadresse überreichen. Die konfessionelle
Differenzierung ist bei uns wieder einmal so weit gediehen, daß sich aller innere
Zusammenhang zu lösen droht, und die entgegengesetzten Pole als kaum noch zu über¬
bietende Fanatismen in eine Spannung geraten sind, in der sie nicht lange ver¬
harren können. Der Evangelische Bund mit dem von Hoensbroech geführten Frei-
schärlerkorps auf der einen, Denifle, Korum, Benzler, Keppler und ein Teil der
kleinen Zentrumspresse auf der andern Seite stehen bereit, statt der Worte Gewalt¬
maßregeln zu ergreifen. Einander zu bekehren, diesen Zweck kann doch ihre Polemik
nicht verfolgen; Beleidigungen rufen Beleidigungen hervor, der Gegensatz vertieft,
die Spannung verstärkt sich, und Lösung ist zuletzt nur auf dem Wege physischer
Gewalt denkbar, wobei man ja nicht gleich an Mord und Brand zu denken braucht,
sondern zunächst nur an eine Gesetzgebung der Mehrheit ab irato. Und bei dieser
Aussicht dürfte den Katholiken, so weit sie nicht vom Fanatismus verblendet sind,
nicht gerade wohl zumute sein. Denn sie sind nicht bloß in Preußen, sondern auf
dem Erdenrund die physisch, moralisch und geistig schwächere Partei, weil, wenn
es zu einem Entscheidungskampfe kommt, die gläubigen Protestanten die auch im
Schoße des Katholizismus reichlich vertretene ungläubige Intelligenz und das russisch¬
griechische Schisma auf ihrer Seite haben. Denifle schilt seine katholischen Gegner
einseitig gebildete Historiker ohne gründliche philosophische Bildung. Er soll es sich
gesagt sein lassen, daß eine von der Geschichte, das ist von der lebendigen Wirklichkeit
losgelöste Philosophie nur scholastische Verschrobenheit ist und den Namen Philosophie
nicht verdient, und daß er selbst, obwohl Historiker von Fach, des historischen Sinns,
des Wirklichkeitssinns verlustig gegangen ist, weil er sich in das Gefängnis der
^ formalen Logik der Scholastiker hat einsperren lassen.


Schriften zur Gesellschaftswissenschaft und Volkswirtschaftslehre.

In Bern, im Verlag Encyklopädie, erscheint seit 1902 ein Handwörterbuch der
schweizerischen Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, herausgegeben von
Dr. ^ur. N. Reichesberg, Professor an der Universität Bern. Der in den Zentral¬
alpen und auf ihrem nördlichen AbHange angesiedelte deutsche Stamm hat unter
eigentümlichen Naturbedingungen ein so eigentümliches politisches, soziales und wirt¬
schaftliches Leben entwickelt, daß dieses schon durch seine Eigentümlichkeit anzieht,
und jede gute Beschreibung von ihm, und manche solche finden wir hier, uns an¬
genehm ist. Im ersten Bande dieser Encyklopädie zum Beispiel wird jeder zuerst
den Artikel Alpwirtschaft aufschlagen und sich nicht enttäuscht finden, denn er wird
über den Betrieb dieses idyllischen Zweiges der Landwirtschaft gründlich belehrt.
Den Futterbedarf einer Kuh für die auf neunzig Tage angenommene Sommerzeit
nennt man ein Kuhrecht, und die 1108000 Hektar Alpen- und Weideland der
Schweiz nun ergeben ungefähr 400000 Kuhrechte, machen also einen sehr ansehn¬
lichen Teil der schweizerischen Volkswirtschaft aus. Weiden und Wälder bleiben
am längsten Gegenstand gemeinsamer Nutzung; so dürfen wir uns nicht Wundern,
daß die Allmenden in der Schweiz auch heute noch beträchtlich sind; im Kanton
Bern allein wird ihr Wert auf hundert Millionen Franken geschätzt. Aus der


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[0489] Maßgebliches und Unmaßgebliches korrekt ist er freilich. Aber wenn die katholische Kirche in der neuen Zeit fortleben will, muß sie, bis ihr die innere anpassende Umbildung gelungen sein wird, vor¬ läufig wenigstens auf die öffentliche Geltendmachung mancher ihrer Dogmen ver¬ zichten. Wenn die protestantische Mehrheit Preußens weiß, daß ihr in den katho¬ lischen Schulen die Daseinsberechtigung abgesprochen, daß sie als von der Wahrheit abgefallne Sekte und der große Organisator ihres Kirchenwesens als Häresicirch, schlechter Charakter und verkommner Lump charakterisiert wird, dann darf sie katholische Schulen und katholischen Religionsunterricht im Staate nicht mehr dulden; und was in dem beinahe rein katholischen Frankreich möglich gewesen ist, das wird doch wohl, wenn ein klugerer Feldzugsplan zugrunde gelegt wird als im ersten Kulturkampf, auch in dem größtenteils protestantischen Preußen möglich sein. Für die Unterstützung, die Denifle der Opposition gegen ein konservativ-klerikales Schul¬ gesetz leistet, wird diese ihm hoffentlich eine Dankadresse überreichen. Die konfessionelle Differenzierung ist bei uns wieder einmal so weit gediehen, daß sich aller innere Zusammenhang zu lösen droht, und die entgegengesetzten Pole als kaum noch zu über¬ bietende Fanatismen in eine Spannung geraten sind, in der sie nicht lange ver¬ harren können. Der Evangelische Bund mit dem von Hoensbroech geführten Frei- schärlerkorps auf der einen, Denifle, Korum, Benzler, Keppler und ein Teil der kleinen Zentrumspresse auf der andern Seite stehen bereit, statt der Worte Gewalt¬ maßregeln zu ergreifen. Einander zu bekehren, diesen Zweck kann doch ihre Polemik nicht verfolgen; Beleidigungen rufen Beleidigungen hervor, der Gegensatz vertieft, die Spannung verstärkt sich, und Lösung ist zuletzt nur auf dem Wege physischer Gewalt denkbar, wobei man ja nicht gleich an Mord und Brand zu denken braucht, sondern zunächst nur an eine Gesetzgebung der Mehrheit ab irato. Und bei dieser Aussicht dürfte den Katholiken, so weit sie nicht vom Fanatismus verblendet sind, nicht gerade wohl zumute sein. Denn sie sind nicht bloß in Preußen, sondern auf dem Erdenrund die physisch, moralisch und geistig schwächere Partei, weil, wenn es zu einem Entscheidungskampfe kommt, die gläubigen Protestanten die auch im Schoße des Katholizismus reichlich vertretene ungläubige Intelligenz und das russisch¬ griechische Schisma auf ihrer Seite haben. Denifle schilt seine katholischen Gegner einseitig gebildete Historiker ohne gründliche philosophische Bildung. Er soll es sich gesagt sein lassen, daß eine von der Geschichte, das ist von der lebendigen Wirklichkeit losgelöste Philosophie nur scholastische Verschrobenheit ist und den Namen Philosophie nicht verdient, und daß er selbst, obwohl Historiker von Fach, des historischen Sinns, des Wirklichkeitssinns verlustig gegangen ist, weil er sich in das Gefängnis der ^ formalen Logik der Scholastiker hat einsperren lassen. Schriften zur Gesellschaftswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. In Bern, im Verlag Encyklopädie, erscheint seit 1902 ein Handwörterbuch der schweizerischen Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, herausgegeben von Dr. ^ur. N. Reichesberg, Professor an der Universität Bern. Der in den Zentral¬ alpen und auf ihrem nördlichen AbHange angesiedelte deutsche Stamm hat unter eigentümlichen Naturbedingungen ein so eigentümliches politisches, soziales und wirt¬ schaftliches Leben entwickelt, daß dieses schon durch seine Eigentümlichkeit anzieht, und jede gute Beschreibung von ihm, und manche solche finden wir hier, uns an¬ genehm ist. Im ersten Bande dieser Encyklopädie zum Beispiel wird jeder zuerst den Artikel Alpwirtschaft aufschlagen und sich nicht enttäuscht finden, denn er wird über den Betrieb dieses idyllischen Zweiges der Landwirtschaft gründlich belehrt. Den Futterbedarf einer Kuh für die auf neunzig Tage angenommene Sommerzeit nennt man ein Kuhrecht, und die 1108000 Hektar Alpen- und Weideland der Schweiz nun ergeben ungefähr 400000 Kuhrechte, machen also einen sehr ansehn¬ lichen Teil der schweizerischen Volkswirtschaft aus. Weiden und Wälder bleiben am längsten Gegenstand gemeinsamer Nutzung; so dürfen wir uns nicht Wundern, daß die Allmenden in der Schweiz auch heute noch beträchtlich sind; im Kanton Bern allein wird ihr Wert auf hundert Millionen Franken geschätzt. Aus der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/489>, abgerufen am 27.04.2024.