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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Zu Friedrich Ratzels Gedächtnis

Jenseits, vollziehend gedacht werden soll oder zeitlich verlaufend, sodaß das ur¬
sprüngliche Nichts, die Geburt des Sohnes in der Weltschöpfung und in den
Seelen und die Rückkehr der Kreaturen in Gott und dessen dadurch bereichertes
Dasein in drei Zeitabschnitte auseinanderfallen.

(Schluß folgt)




Zu Friedrich Ratzels Gedächtnis
Rud. Unkel i von n Teipzig

!M Montag, dem 1. August schloß Friedrich Ratzel seine Vor¬
lesungen und reiste mit dem Nachtschnellznge über München nach
seinem Sommerhitze in Ammerland am Starnberger See. Ich hatte
einen jüngern Freund zu demselben Zuge zu begleiten und traf
!am Bahnhof mit Ratzel zusammen. Da ich etliche Tage später
ebenfalls nach Oberbayern zu gehn beabsichtigte, bildete der früher schon von
Ratzel geäußerte, jetzt wieder aufgenommne Gedanke einer Zusammenkunft am
dritten Orte unsern letzten Gesprächsstoff.

Am Mittwoch, dem 10. August früh ereilte mich die schon am Dienstag
Abend cmfgegebne telegraphische Anzeige seines plötzlichen Todes, verbunden
mit der dringenden Bitte, sein Begräbnis zu halten. Ratzel hatte seit einiger
Zeit an Herzzufällen gelitten; ein Herzschlag hatte bei einem Abendgang am
See seinem Leben ein Ende gemacht. So fand man ihn. etwas abseits vom
Wege, schon entseelt neben einem Baumstamm liegen. Am Donnerstag Abend
um 52/2 Uhr haben wir ihn zur Ruhe gebettet.

Von Leipzig und München waren etliche Freunde und Schüler herbei¬
geeilt, einige hatte die Nachricht in den Sommerfrischen am Starnberger See
oder sonstwo so erreicht, daß sie erscheinen konnten. Der Leipziger Prorektor
und eine Deputation der Studentenschaft vertraten unsre Universität. Im
ganzen waren wir ein stattliches und erlesenes Häuflein: Angehörige. Ver¬
wandte, Freunde und Verehrer, teilnehmende Sommergäste und ein Teil der
ansässigen Bevölkerung, der Veteranenverein an der Spitze.

Ammerland selbst, wo sich Ratzel vor einigen Jahren einen malerischen
Sommersitz unmittelbar am See erworben hatte, hat keinen Friedhof. Es
gehört zu dem eine starke halbe Stunde landeinwärts auf der Kammhöhe
zwischen dem Starnberger See und dem Jsartal liegenden (katholischen) Pfarr¬
dorfe Münsing. Das hoch und nach beiden Seiten frei daliegende Dorf
gewährt einen prächtigen Rundblick, hinunter nach dem See und hinüber nach
den Alpen.

Hier haben wir Ratzel an einem sonnigen Spätnachmittag im Glanz der
scheidenden Abendsonne zur Erde gebettet.

Die nachfolgende Rede will aus Ort, Zeit und Stimmung heraus ver¬
standen sein. Sie war keineswegs für den Druck bestimmt. Nachdem ich am


Zu Friedrich Ratzels Gedächtnis

Jenseits, vollziehend gedacht werden soll oder zeitlich verlaufend, sodaß das ur¬
sprüngliche Nichts, die Geburt des Sohnes in der Weltschöpfung und in den
Seelen und die Rückkehr der Kreaturen in Gott und dessen dadurch bereichertes
Dasein in drei Zeitabschnitte auseinanderfallen.

(Schluß folgt)




Zu Friedrich Ratzels Gedächtnis
Rud. Unkel i von n Teipzig

!M Montag, dem 1. August schloß Friedrich Ratzel seine Vor¬
lesungen und reiste mit dem Nachtschnellznge über München nach
seinem Sommerhitze in Ammerland am Starnberger See. Ich hatte
einen jüngern Freund zu demselben Zuge zu begleiten und traf
!am Bahnhof mit Ratzel zusammen. Da ich etliche Tage später
ebenfalls nach Oberbayern zu gehn beabsichtigte, bildete der früher schon von
Ratzel geäußerte, jetzt wieder aufgenommne Gedanke einer Zusammenkunft am
dritten Orte unsern letzten Gesprächsstoff.

Am Mittwoch, dem 10. August früh ereilte mich die schon am Dienstag
Abend cmfgegebne telegraphische Anzeige seines plötzlichen Todes, verbunden
mit der dringenden Bitte, sein Begräbnis zu halten. Ratzel hatte seit einiger
Zeit an Herzzufällen gelitten; ein Herzschlag hatte bei einem Abendgang am
See seinem Leben ein Ende gemacht. So fand man ihn. etwas abseits vom
Wege, schon entseelt neben einem Baumstamm liegen. Am Donnerstag Abend
um 52/2 Uhr haben wir ihn zur Ruhe gebettet.

Von Leipzig und München waren etliche Freunde und Schüler herbei¬
geeilt, einige hatte die Nachricht in den Sommerfrischen am Starnberger See
oder sonstwo so erreicht, daß sie erscheinen konnten. Der Leipziger Prorektor
und eine Deputation der Studentenschaft vertraten unsre Universität. Im
ganzen waren wir ein stattliches und erlesenes Häuflein: Angehörige. Ver¬
wandte, Freunde und Verehrer, teilnehmende Sommergäste und ein Teil der
ansässigen Bevölkerung, der Veteranenverein an der Spitze.

Ammerland selbst, wo sich Ratzel vor einigen Jahren einen malerischen
Sommersitz unmittelbar am See erworben hatte, hat keinen Friedhof. Es
gehört zu dem eine starke halbe Stunde landeinwärts auf der Kammhöhe
zwischen dem Starnberger See und dem Jsartal liegenden (katholischen) Pfarr¬
dorfe Münsing. Das hoch und nach beiden Seiten frei daliegende Dorf
gewährt einen prächtigen Rundblick, hinunter nach dem See und hinüber nach
den Alpen.

Hier haben wir Ratzel an einem sonnigen Spätnachmittag im Glanz der
scheidenden Abendsonne zur Erde gebettet.

Die nachfolgende Rede will aus Ort, Zeit und Stimmung heraus ver¬
standen sein. Sie war keineswegs für den Druck bestimmt. Nachdem ich am


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[0524] Zu Friedrich Ratzels Gedächtnis Jenseits, vollziehend gedacht werden soll oder zeitlich verlaufend, sodaß das ur¬ sprüngliche Nichts, die Geburt des Sohnes in der Weltschöpfung und in den Seelen und die Rückkehr der Kreaturen in Gott und dessen dadurch bereichertes Dasein in drei Zeitabschnitte auseinanderfallen. (Schluß folgt) Zu Friedrich Ratzels Gedächtnis Rud. Unkel i von n Teipzig !M Montag, dem 1. August schloß Friedrich Ratzel seine Vor¬ lesungen und reiste mit dem Nachtschnellznge über München nach seinem Sommerhitze in Ammerland am Starnberger See. Ich hatte einen jüngern Freund zu demselben Zuge zu begleiten und traf !am Bahnhof mit Ratzel zusammen. Da ich etliche Tage später ebenfalls nach Oberbayern zu gehn beabsichtigte, bildete der früher schon von Ratzel geäußerte, jetzt wieder aufgenommne Gedanke einer Zusammenkunft am dritten Orte unsern letzten Gesprächsstoff. Am Mittwoch, dem 10. August früh ereilte mich die schon am Dienstag Abend cmfgegebne telegraphische Anzeige seines plötzlichen Todes, verbunden mit der dringenden Bitte, sein Begräbnis zu halten. Ratzel hatte seit einiger Zeit an Herzzufällen gelitten; ein Herzschlag hatte bei einem Abendgang am See seinem Leben ein Ende gemacht. So fand man ihn. etwas abseits vom Wege, schon entseelt neben einem Baumstamm liegen. Am Donnerstag Abend um 52/2 Uhr haben wir ihn zur Ruhe gebettet. Von Leipzig und München waren etliche Freunde und Schüler herbei¬ geeilt, einige hatte die Nachricht in den Sommerfrischen am Starnberger See oder sonstwo so erreicht, daß sie erscheinen konnten. Der Leipziger Prorektor und eine Deputation der Studentenschaft vertraten unsre Universität. Im ganzen waren wir ein stattliches und erlesenes Häuflein: Angehörige. Ver¬ wandte, Freunde und Verehrer, teilnehmende Sommergäste und ein Teil der ansässigen Bevölkerung, der Veteranenverein an der Spitze. Ammerland selbst, wo sich Ratzel vor einigen Jahren einen malerischen Sommersitz unmittelbar am See erworben hatte, hat keinen Friedhof. Es gehört zu dem eine starke halbe Stunde landeinwärts auf der Kammhöhe zwischen dem Starnberger See und dem Jsartal liegenden (katholischen) Pfarr¬ dorfe Münsing. Das hoch und nach beiden Seiten frei daliegende Dorf gewährt einen prächtigen Rundblick, hinunter nach dem See und hinüber nach den Alpen. Hier haben wir Ratzel an einem sonnigen Spätnachmittag im Glanz der scheidenden Abendsonne zur Erde gebettet. Die nachfolgende Rede will aus Ort, Zeit und Stimmung heraus ver¬ standen sein. Sie war keineswegs für den Druck bestimmt. Nachdem ich am

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/524>, abgerufen am 27.04.2024.