Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gräfin Susanns

zwar unlauter" Zwecken entsprossener, mit manchem ausländischen Flittcrwerke ver¬
brämter, in seinem Innersten aber echt und kräftig gebliebner Zweig unsrer deutschen
Volkssprache.




Gräfin ^usanna
Henry Harland von (Fortsetzung)
10

RHWLle Schatten fielen lang, als Anthony und Adrian zusammen dem
alten Schloß zuschlenderten.

Nun, Freund Ehrlich, begann Adrian, du hast sie ja jetzt ge¬
troffen, nun sprich dich aus und sag mir offen, wie sie dir gefällt.

Sie scheint ganz nett zu sein, erwiderte Anthony gelassen.

Ganz nett? rief Adrian in verächtlich mitleidigem Ton. Mein
lieber Ungeschickt, laß dir sagen, daß sie ganz einfach die entzückendste Person ihres
Geschlechts ist. Sie ist im Verhältnis zu andern Frauen das, was ein gewisser
jemand -- nun, ich will keine Namen nennen --, den ich bei Namen nennen könnte,
im Verhältnis zu andern Männern ist. Und mit solchen Augen -- he? Haben
die Glanz? Sind die scharf? Sind die ehrlich? Sind die klug?

Ich nehme als erwiesen an, daß sie mit ihnen sehen kann.

Mit ihnen sehen! höhnte Adrian. Ich will dir sagen, was sie mit ihnen tut:
sie kann um die Ecke damit sehen. Und dann diese entzückenden Ohren! Hast du ihre
Ohren bemerkt?

Ich habe bemerkt, daß sie nicht ohne Ohren ist.

Nicht ohne Ohren! Ihre Ohren sind wie Lilien und Rosen! Nicht ohne
Ohren, sagt er. Ich wette drei Groschen, daß der Mensch auch noch bestreitet,
daß sie gescheit ist!

Sie scheint mir hinlänglich klug zu sein.

Klug! schnaubte Adrian und machte einen Luftsprung, der seine Verachtung
für die Unzulänglichkeit dieses Ausdrucks dartun sollte. Klug ist nicht das rechte
Wort für sie. Und dann, mit all ihren Jahren, ist sie nicht noch so jung? Sie
haucht den frischen, erfrischenden Duft einer unverdorbnen Seele aus!

Ja, sie ist jung -- für ihre Jahre, gab Anthony zu. Sag mal, weißt du
eigentlich, woher sie kommt?

Ob ich das weiß? Ich denke wohl, daß ich das weiß! Vor mir hat sie
kein Geheimnis. Sie stammt aus einer Westmorelcmdfamilie, aber sie lebt in
Kensington. Sie ist Eigentümerin eines der hübschen alten Häuser am Kensington-
platz. Numero Neunundneunzig Kensingtonplatz. Und wenn ich wieder in die
Stadt komme, darf ich nicht daran denken, in einen Gasthof zu gehn, sondern soll
direkt nach Numero Neunundneunzig fahren, wo sie mich mit tausend Freuden
empfangen wird. So lohnt es sich manchmal doch, liebenswürdig zu sein,
siehst du.

Ich sehe! sagte Anthony.

Du siehst? Den Kuckuck siehst du! Was siehst du denn? fragte Adrian und
seine blauen Augen weit auf, als ob er auch etwas sehen wollte.riß

Daß du von Miß Scmdus plapperst, sagte Anthony.

Adrian blieb stehn und streckte seine Arme flehend gen Himmel.

Ich flehe zu allen Chören der Cherubim und Seraphim! rief er;
sie an, ihr Singen einen Augenblick einzustellen und hier Zeuge zu sein.ich flehe
Er sieht,


Gräfin Susanns

zwar unlauter» Zwecken entsprossener, mit manchem ausländischen Flittcrwerke ver¬
brämter, in seinem Innersten aber echt und kräftig gebliebner Zweig unsrer deutschen
Volkssprache.




Gräfin ^usanna
Henry Harland von (Fortsetzung)
10

RHWLle Schatten fielen lang, als Anthony und Adrian zusammen dem
alten Schloß zuschlenderten.

Nun, Freund Ehrlich, begann Adrian, du hast sie ja jetzt ge¬
troffen, nun sprich dich aus und sag mir offen, wie sie dir gefällt.

Sie scheint ganz nett zu sein, erwiderte Anthony gelassen.

Ganz nett? rief Adrian in verächtlich mitleidigem Ton. Mein
lieber Ungeschickt, laß dir sagen, daß sie ganz einfach die entzückendste Person ihres
Geschlechts ist. Sie ist im Verhältnis zu andern Frauen das, was ein gewisser
jemand — nun, ich will keine Namen nennen —, den ich bei Namen nennen könnte,
im Verhältnis zu andern Männern ist. Und mit solchen Augen — he? Haben
die Glanz? Sind die scharf? Sind die ehrlich? Sind die klug?

Ich nehme als erwiesen an, daß sie mit ihnen sehen kann.

Mit ihnen sehen! höhnte Adrian. Ich will dir sagen, was sie mit ihnen tut:
sie kann um die Ecke damit sehen. Und dann diese entzückenden Ohren! Hast du ihre
Ohren bemerkt?

Ich habe bemerkt, daß sie nicht ohne Ohren ist.

Nicht ohne Ohren! Ihre Ohren sind wie Lilien und Rosen! Nicht ohne
Ohren, sagt er. Ich wette drei Groschen, daß der Mensch auch noch bestreitet,
daß sie gescheit ist!

Sie scheint mir hinlänglich klug zu sein.

Klug! schnaubte Adrian und machte einen Luftsprung, der seine Verachtung
für die Unzulänglichkeit dieses Ausdrucks dartun sollte. Klug ist nicht das rechte
Wort für sie. Und dann, mit all ihren Jahren, ist sie nicht noch so jung? Sie
haucht den frischen, erfrischenden Duft einer unverdorbnen Seele aus!

Ja, sie ist jung — für ihre Jahre, gab Anthony zu. Sag mal, weißt du
eigentlich, woher sie kommt?

Ob ich das weiß? Ich denke wohl, daß ich das weiß! Vor mir hat sie
kein Geheimnis. Sie stammt aus einer Westmorelcmdfamilie, aber sie lebt in
Kensington. Sie ist Eigentümerin eines der hübschen alten Häuser am Kensington-
platz. Numero Neunundneunzig Kensingtonplatz. Und wenn ich wieder in die
Stadt komme, darf ich nicht daran denken, in einen Gasthof zu gehn, sondern soll
direkt nach Numero Neunundneunzig fahren, wo sie mich mit tausend Freuden
empfangen wird. So lohnt es sich manchmal doch, liebenswürdig zu sein,
siehst du.

Ich sehe! sagte Anthony.

Du siehst? Den Kuckuck siehst du! Was siehst du denn? fragte Adrian und
seine blauen Augen weit auf, als ob er auch etwas sehen wollte.riß

Daß du von Miß Scmdus plapperst, sagte Anthony.

Adrian blieb stehn und streckte seine Arme flehend gen Himmel.

Ich flehe zu allen Chören der Cherubim und Seraphim! rief er;
sie an, ihr Singen einen Augenblick einzustellen und hier Zeuge zu sein.ich flehe
Er sieht,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/294957"/>
          <fw type="header" place="top"> Gräfin Susanns</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2351" prev="#ID_2350"> zwar unlauter» Zwecken entsprossener, mit manchem ausländischen Flittcrwerke ver¬<lb/>
brämter, in seinem Innersten aber echt und kräftig gebliebner Zweig unsrer deutschen<lb/>
Volkssprache.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Gräfin ^usanna<lb/><note type="byline"> Henry Harland</note> von (Fortsetzung)</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 10</head><lb/>
            <p xml:id="ID_2352"> RHWLle Schatten fielen lang, als Anthony und Adrian zusammen dem<lb/>
alten Schloß zuschlenderten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2353"> Nun, Freund Ehrlich, begann Adrian, du hast sie ja jetzt ge¬<lb/>
troffen, nun sprich dich aus und sag mir offen, wie sie dir gefällt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2354"> Sie scheint ganz nett zu sein, erwiderte Anthony gelassen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2355"> Ganz nett? rief Adrian in verächtlich mitleidigem Ton. Mein<lb/>
lieber Ungeschickt, laß dir sagen, daß sie ganz einfach die entzückendste Person ihres<lb/>
Geschlechts ist.  Sie ist im Verhältnis zu andern Frauen das, was ein gewisser<lb/>
jemand &#x2014; nun, ich will keine Namen nennen &#x2014;, den ich bei Namen nennen könnte,<lb/>
im Verhältnis zu andern Männern ist.  Und mit solchen Augen &#x2014; he? Haben<lb/>
die Glanz?  Sind die scharf?  Sind die ehrlich?  Sind die klug?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2356"> Ich nehme als erwiesen an, daß sie mit ihnen sehen kann.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2357"> Mit ihnen sehen! höhnte Adrian. Ich will dir sagen, was sie mit ihnen tut:<lb/>
sie kann um die Ecke damit sehen. Und dann diese entzückenden Ohren! Hast du ihre<lb/>
Ohren bemerkt?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2358"> Ich habe bemerkt, daß sie nicht ohne Ohren ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2359"> Nicht ohne Ohren! Ihre Ohren sind wie Lilien und Rosen! Nicht ohne<lb/>
Ohren, sagt er. Ich wette drei Groschen, daß der Mensch auch noch bestreitet,<lb/>
daß sie gescheit ist!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2360"> Sie scheint mir hinlänglich klug zu sein.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2361"> Klug! schnaubte Adrian und machte einen Luftsprung, der seine Verachtung<lb/>
für die Unzulänglichkeit dieses Ausdrucks dartun sollte. Klug ist nicht das rechte<lb/>
Wort für sie. Und dann, mit all ihren Jahren, ist sie nicht noch so jung? Sie<lb/>
haucht den frischen, erfrischenden Duft einer unverdorbnen Seele aus!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2362"> Ja, sie ist jung &#x2014; für ihre Jahre, gab Anthony zu. Sag mal, weißt du<lb/>
eigentlich, woher sie kommt?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2363"> Ob ich das weiß? Ich denke wohl, daß ich das weiß! Vor mir hat sie<lb/>
kein Geheimnis. Sie stammt aus einer Westmorelcmdfamilie, aber sie lebt in<lb/>
Kensington. Sie ist Eigentümerin eines der hübschen alten Häuser am Kensington-<lb/>
platz. Numero Neunundneunzig Kensingtonplatz. Und wenn ich wieder in die<lb/>
Stadt komme, darf ich nicht daran denken, in einen Gasthof zu gehn, sondern soll<lb/>
direkt nach Numero Neunundneunzig fahren, wo sie mich mit tausend Freuden<lb/>
empfangen wird. So lohnt es sich manchmal doch, liebenswürdig zu sein,<lb/>
siehst du.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2364"> Ich sehe! sagte Anthony.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2365"> Du siehst? Den Kuckuck siehst du! Was siehst du denn? fragte Adrian und<lb/>
seine blauen Augen weit auf, als ob er auch etwas sehen wollte.riß</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2366"> Daß du von Miß Scmdus plapperst, sagte Anthony.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2367"> Adrian blieb stehn und streckte seine Arme flehend gen Himmel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2368" next="#ID_2369"> Ich flehe zu allen Chören der Cherubim und Seraphim! rief er;<lb/>
sie an, ihr Singen einen Augenblick einzustellen und hier Zeuge zu sein.ich flehe<lb/>
Er sieht,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0540] Gräfin Susanns zwar unlauter» Zwecken entsprossener, mit manchem ausländischen Flittcrwerke ver¬ brämter, in seinem Innersten aber echt und kräftig gebliebner Zweig unsrer deutschen Volkssprache. Gräfin ^usanna Henry Harland von (Fortsetzung) 10 RHWLle Schatten fielen lang, als Anthony und Adrian zusammen dem alten Schloß zuschlenderten. Nun, Freund Ehrlich, begann Adrian, du hast sie ja jetzt ge¬ troffen, nun sprich dich aus und sag mir offen, wie sie dir gefällt. Sie scheint ganz nett zu sein, erwiderte Anthony gelassen. Ganz nett? rief Adrian in verächtlich mitleidigem Ton. Mein lieber Ungeschickt, laß dir sagen, daß sie ganz einfach die entzückendste Person ihres Geschlechts ist. Sie ist im Verhältnis zu andern Frauen das, was ein gewisser jemand — nun, ich will keine Namen nennen —, den ich bei Namen nennen könnte, im Verhältnis zu andern Männern ist. Und mit solchen Augen — he? Haben die Glanz? Sind die scharf? Sind die ehrlich? Sind die klug? Ich nehme als erwiesen an, daß sie mit ihnen sehen kann. Mit ihnen sehen! höhnte Adrian. Ich will dir sagen, was sie mit ihnen tut: sie kann um die Ecke damit sehen. Und dann diese entzückenden Ohren! Hast du ihre Ohren bemerkt? Ich habe bemerkt, daß sie nicht ohne Ohren ist. Nicht ohne Ohren! Ihre Ohren sind wie Lilien und Rosen! Nicht ohne Ohren, sagt er. Ich wette drei Groschen, daß der Mensch auch noch bestreitet, daß sie gescheit ist! Sie scheint mir hinlänglich klug zu sein. Klug! schnaubte Adrian und machte einen Luftsprung, der seine Verachtung für die Unzulänglichkeit dieses Ausdrucks dartun sollte. Klug ist nicht das rechte Wort für sie. Und dann, mit all ihren Jahren, ist sie nicht noch so jung? Sie haucht den frischen, erfrischenden Duft einer unverdorbnen Seele aus! Ja, sie ist jung — für ihre Jahre, gab Anthony zu. Sag mal, weißt du eigentlich, woher sie kommt? Ob ich das weiß? Ich denke wohl, daß ich das weiß! Vor mir hat sie kein Geheimnis. Sie stammt aus einer Westmorelcmdfamilie, aber sie lebt in Kensington. Sie ist Eigentümerin eines der hübschen alten Häuser am Kensington- platz. Numero Neunundneunzig Kensingtonplatz. Und wenn ich wieder in die Stadt komme, darf ich nicht daran denken, in einen Gasthof zu gehn, sondern soll direkt nach Numero Neunundneunzig fahren, wo sie mich mit tausend Freuden empfangen wird. So lohnt es sich manchmal doch, liebenswürdig zu sein, siehst du. Ich sehe! sagte Anthony. Du siehst? Den Kuckuck siehst du! Was siehst du denn? fragte Adrian und seine blauen Augen weit auf, als ob er auch etwas sehen wollte.riß Daß du von Miß Scmdus plapperst, sagte Anthony. Adrian blieb stehn und streckte seine Arme flehend gen Himmel. Ich flehe zu allen Chören der Cherubim und Seraphim! rief er; sie an, ihr Singen einen Augenblick einzustellen und hier Zeuge zu sein.ich flehe Er sieht,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/540
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/540>, abgerufen am 27.04.2024.