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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Die Kamorra Neapels
Paul Baumgarten von

lie Freisprechung des frühern Abgeordneten Commendatvre Raffaelle
Palizzolo eins Palermo von der Anklage der Urheberschaft bei dem
Morde des Großgrundbesitzers Emmanuele Notarbartolv hat in
Palermo, ja fast in ganz Sizilien eine Bewegung gezeitigt, wie
! man sie sich abstoßender nicht denken kann. Wenn Palizzolo nicht
in einer Umgebung gelebt hätte, die ihn, man mochte fast sagen, notwendiger¬
weise in den Verdacht der Urheberschaft hat bringen müssen, wenn dieser Mann
nicht allgemein als Haupt und Beschützer aller schlechten Subjekte Palermos
und der Umgegend bekannt gewesen, wenn er nicht von eben diesen Leuten offen
als Führer anerkannt worden wäre, so hätte er nicht in diesen Verdacht kommen
können. Wie verwickelt die Sachlage war, ersieht man daraus, daß der Spruch
der Geschwornen in Bologna auf Schuldig lautete, während bei der zweiten
Verhandlung in Florenz die Geschwornen nicht die volle Überzeugung seiner
Schuld haben gewinnen können, und sie ihn deswegen mitsamt seinen Genossen
-- einem Feldhüter und einem Bahnbeamten -- freigesprochen haben.

Für jeden Unbefangnen ergibt sich aus der einfachen Prüfung der Tat¬
sachen, daß wir es hier mit einem Manne von höchst zweifelhafter sittlicher
Führung zu tun haben, den weite Kreise für vollauf fähig hielten und heute
noch halten, der Urheber des Mordes am Commendatore Notarbartolv zu sein.
Weil die Beweiskette seiner Schuld in Florenz nicht eng genng geschlossen werdeu
kaun, wird Palizzolo freigesprochen. Auf die Nachricht hiervon gerät ganz
Palermo in eine wahre Naserei von Jubel und Frende, und man feiert Palizzolo
als einen Helden, einen Märtyrer, ein unerreichtes Beispiel von Menschengröße,
als den vornehmsten und hervorragendsten aller Sizilianer. Ein Dampfer wurde
gemietet, der den großen Mann in Neapel abholen mußte, das Fest der Ma¬
donna del Carmine sollte verlegt werden, damit er daran teilnehmen könnte,
Sammlungen wurden für ihn veranstaltet, in allen vier Wahlkreisen Palermos
will man ihn demnächst zum Abgeordneten wählen, um zu protestieren!

An diesen Tatsachen kann man die Macht der geheimen Verbrechergesell¬
schaft, Maffia genannt, ablesen, die in Sizilien fast unumschränkt herrscht.
Palizzolo war das anerkannte Haupt der Masslose des ganzen Bezirks von
Palermo, und deshalb wurden die unerhörtesten Anstrengungen gemacht, damit
Raffaelle Palizzolo freigesprochen würde. Diese Vemühnngen sind von Erfolg
gekrönt gewesen, es wird jedoch wohl für immer verborgen bleiben, welche Mittel
angewandt worden sind, dieses Ergebnis zu zeitigen.

Weil die Maffia Siziliens jüngern Ursprungs zu sein scheint als die Ka-
morra im Neapolitanischen, weil sie mit schärfer ausgebildeten Abschreckungs-




Die Kamorra Neapels
Paul Baumgarten von

lie Freisprechung des frühern Abgeordneten Commendatvre Raffaelle
Palizzolo eins Palermo von der Anklage der Urheberschaft bei dem
Morde des Großgrundbesitzers Emmanuele Notarbartolv hat in
Palermo, ja fast in ganz Sizilien eine Bewegung gezeitigt, wie
! man sie sich abstoßender nicht denken kann. Wenn Palizzolo nicht
in einer Umgebung gelebt hätte, die ihn, man mochte fast sagen, notwendiger¬
weise in den Verdacht der Urheberschaft hat bringen müssen, wenn dieser Mann
nicht allgemein als Haupt und Beschützer aller schlechten Subjekte Palermos
und der Umgegend bekannt gewesen, wenn er nicht von eben diesen Leuten offen
als Führer anerkannt worden wäre, so hätte er nicht in diesen Verdacht kommen
können. Wie verwickelt die Sachlage war, ersieht man daraus, daß der Spruch
der Geschwornen in Bologna auf Schuldig lautete, während bei der zweiten
Verhandlung in Florenz die Geschwornen nicht die volle Überzeugung seiner
Schuld haben gewinnen können, und sie ihn deswegen mitsamt seinen Genossen
— einem Feldhüter und einem Bahnbeamten — freigesprochen haben.

Für jeden Unbefangnen ergibt sich aus der einfachen Prüfung der Tat¬
sachen, daß wir es hier mit einem Manne von höchst zweifelhafter sittlicher
Führung zu tun haben, den weite Kreise für vollauf fähig hielten und heute
noch halten, der Urheber des Mordes am Commendatore Notarbartolv zu sein.
Weil die Beweiskette seiner Schuld in Florenz nicht eng genng geschlossen werdeu
kaun, wird Palizzolo freigesprochen. Auf die Nachricht hiervon gerät ganz
Palermo in eine wahre Naserei von Jubel und Frende, und man feiert Palizzolo
als einen Helden, einen Märtyrer, ein unerreichtes Beispiel von Menschengröße,
als den vornehmsten und hervorragendsten aller Sizilianer. Ein Dampfer wurde
gemietet, der den großen Mann in Neapel abholen mußte, das Fest der Ma¬
donna del Carmine sollte verlegt werden, damit er daran teilnehmen könnte,
Sammlungen wurden für ihn veranstaltet, in allen vier Wahlkreisen Palermos
will man ihn demnächst zum Abgeordneten wählen, um zu protestieren!

An diesen Tatsachen kann man die Macht der geheimen Verbrechergesell¬
schaft, Maffia genannt, ablesen, die in Sizilien fast unumschränkt herrscht.
Palizzolo war das anerkannte Haupt der Masslose des ganzen Bezirks von
Palermo, und deshalb wurden die unerhörtesten Anstrengungen gemacht, damit
Raffaelle Palizzolo freigesprochen würde. Diese Vemühnngen sind von Erfolg
gekrönt gewesen, es wird jedoch wohl für immer verborgen bleiben, welche Mittel
angewandt worden sind, dieses Ergebnis zu zeitigen.

Weil die Maffia Siziliens jüngern Ursprungs zu sein scheint als die Ka-
morra im Neapolitanischen, weil sie mit schärfer ausgebildeten Abschreckungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/577>, abgerufen am 28.04.2024.