Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
weltliche Musik im alten Leipzig

ein kurzes formelhaftes Zwiegespräch zwischen ihm und dein Viertelsmeistcr,
und auf die Frage, warum er diese Versammlung beantragt habe, erfolgt die
Antwort: "Meister, das Herz hat mich getrieben, in dieses Haus zu kommen,
um Euch zu fragen, ob in der vslla sooistü. rikurmak^ ein Platz wäre, den
ich ausfüllen könnte, wenn dadurch weder Ihr noch diese meine Obern gestört
werden." Nach einer ablehnenden Antwort des Viertelsmeisters sagt der
Postulcmt die weitere Formel: "Meister, ich verstehe, daß die Gesellschaft mich
für untauglich hält, da sie nicht weiß, wie ich gesinnt bin; aber wenn Ihr, die
Sekretäre und die vier Vorgesetzten mir die hohe Ehre verschafft, zu dieser
Kolla sovistz. i-jfm'eng.t>3. zu gehören, so werde ich Euch beweisen, daß ich allein
ur mich imstande bin, der gesamten Rotte der Quästur den Weg zu verlegen."
Daraufhin wird dem Postulauteu bedeutet, daß seine Fähigkeiten überzeugend
nachgewiesen seien, und er küßt darauf dem Meister und den Rechtssitzenden,
dann wiederum dem Meister und den Linkssitzenden die Hand. Gefragt, warum
er dem Meister zweimal die Hand geküßt habe, bemerkt er: "Ich habe Euch
zweimal geküßt, weil Ihr zwei Stimmen habt, eine uach rechts und eine nach
links; und Ihr seid ein Mann von hoher Ehre, von der Gesellschaft ausge¬
wählt, Recht zu geben, wein es zukommt, und Unrecht zu geben dem, der
es verdient." Der Postulcmt darf dann die in Strafe liegenden Mitglieder
der untersten Stufe der Gesellschaft losbitten, was gewährt wird, und dann
sagt der Meister mit großer Feierlichkeit: "Von diesem Augenblick an gehört
Ihr zur Klasse der FiovaiioUi onorM (wörtlich: geehrten Jünglinge) und seid
aufgenommen in die untere Gesellschaft der Demut. Unsre hotta sooists, ritur-
niatÄ legt Euch Jünglingen auf: 1. euch gegenseitig zu lieben; 2. demütig
und ergeben gegenüber den Alten und den Vorgesetzten zu sein; 3. Friedens¬
stifter zu sein, wenn nnter den Genossen Streit entsteht; 4. die Steuern für
die Kamorristen zu erheben, ohne etwas zu unterschlagen; 5. niemand zu
offenbaren, was in der Gesellschaft vorgeht. Wer diesem Gesetze zuwiderhandelt,
wird nicht nur aus der schönen Gesellschaft ausgestoßen, sondern kann auch,
gemäß der Schwere der Schuld, zum Tode verurteilt werden." Nach einigen
weitern formelhaften Redensarten wird der neugebackne ssiovanotw onoinw
(Schluß folgt) entlassen.




Weltliche Musik im alten Leipzig
(Schluß)

! s läßt sich aus Maugel an Quellen nicht mehr nachweisen, welchen
! Anteil Leipzig an einer der eigentümlichsten Schöpfungen des
spätern europäischen Mittelalters, an der Entwicklung mehrstimmiger
Musik bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gehabt hat.
Genug, daß das mehrstimmige, besonders das drei- und das vier¬
stimmige Lied des fünfzehnten Jahrhunderts, wie es z. B. aus dem unter Loch-
heimers Namen gehenden nürnbergischen Liederbuch bekannt ist, auch in Leipzig


weltliche Musik im alten Leipzig

ein kurzes formelhaftes Zwiegespräch zwischen ihm und dein Viertelsmeistcr,
und auf die Frage, warum er diese Versammlung beantragt habe, erfolgt die
Antwort: „Meister, das Herz hat mich getrieben, in dieses Haus zu kommen,
um Euch zu fragen, ob in der vslla sooistü. rikurmak^ ein Platz wäre, den
ich ausfüllen könnte, wenn dadurch weder Ihr noch diese meine Obern gestört
werden." Nach einer ablehnenden Antwort des Viertelsmeisters sagt der
Postulcmt die weitere Formel: „Meister, ich verstehe, daß die Gesellschaft mich
für untauglich hält, da sie nicht weiß, wie ich gesinnt bin; aber wenn Ihr, die
Sekretäre und die vier Vorgesetzten mir die hohe Ehre verschafft, zu dieser
Kolla sovistz. i-jfm'eng.t>3. zu gehören, so werde ich Euch beweisen, daß ich allein
ur mich imstande bin, der gesamten Rotte der Quästur den Weg zu verlegen."
Daraufhin wird dem Postulauteu bedeutet, daß seine Fähigkeiten überzeugend
nachgewiesen seien, und er küßt darauf dem Meister und den Rechtssitzenden,
dann wiederum dem Meister und den Linkssitzenden die Hand. Gefragt, warum
er dem Meister zweimal die Hand geküßt habe, bemerkt er: „Ich habe Euch
zweimal geküßt, weil Ihr zwei Stimmen habt, eine uach rechts und eine nach
links; und Ihr seid ein Mann von hoher Ehre, von der Gesellschaft ausge¬
wählt, Recht zu geben, wein es zukommt, und Unrecht zu geben dem, der
es verdient." Der Postulcmt darf dann die in Strafe liegenden Mitglieder
der untersten Stufe der Gesellschaft losbitten, was gewährt wird, und dann
sagt der Meister mit großer Feierlichkeit: „Von diesem Augenblick an gehört
Ihr zur Klasse der FiovaiioUi onorM (wörtlich: geehrten Jünglinge) und seid
aufgenommen in die untere Gesellschaft der Demut. Unsre hotta sooists, ritur-
niatÄ legt Euch Jünglingen auf: 1. euch gegenseitig zu lieben; 2. demütig
und ergeben gegenüber den Alten und den Vorgesetzten zu sein; 3. Friedens¬
stifter zu sein, wenn nnter den Genossen Streit entsteht; 4. die Steuern für
die Kamorristen zu erheben, ohne etwas zu unterschlagen; 5. niemand zu
offenbaren, was in der Gesellschaft vorgeht. Wer diesem Gesetze zuwiderhandelt,
wird nicht nur aus der schönen Gesellschaft ausgestoßen, sondern kann auch,
gemäß der Schwere der Schuld, zum Tode verurteilt werden." Nach einigen
weitern formelhaften Redensarten wird der neugebackne ssiovanotw onoinw
(Schluß folgt) entlassen.




Weltliche Musik im alten Leipzig
(Schluß)

! s läßt sich aus Maugel an Quellen nicht mehr nachweisen, welchen
! Anteil Leipzig an einer der eigentümlichsten Schöpfungen des
spätern europäischen Mittelalters, an der Entwicklung mehrstimmiger
Musik bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gehabt hat.
Genug, daß das mehrstimmige, besonders das drei- und das vier¬
stimmige Lied des fünfzehnten Jahrhunderts, wie es z. B. aus dem unter Loch-
heimers Namen gehenden nürnbergischen Liederbuch bekannt ist, auch in Leipzig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0583" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/295000"/>
          <fw type="header" place="top"> weltliche Musik im alten Leipzig</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2627" prev="#ID_2626"> ein kurzes formelhaftes Zwiegespräch zwischen ihm und dein Viertelsmeistcr,<lb/>
und auf die Frage, warum er diese Versammlung beantragt habe, erfolgt die<lb/>
Antwort: &#x201E;Meister, das Herz hat mich getrieben, in dieses Haus zu kommen,<lb/>
um Euch zu fragen, ob in der vslla sooistü. rikurmak^ ein Platz wäre, den<lb/>
ich ausfüllen könnte, wenn dadurch weder Ihr noch diese meine Obern gestört<lb/>
werden." Nach einer ablehnenden Antwort des Viertelsmeisters sagt der<lb/>
Postulcmt die weitere Formel: &#x201E;Meister, ich verstehe, daß die Gesellschaft mich<lb/>
für untauglich hält, da sie nicht weiß, wie ich gesinnt bin; aber wenn Ihr, die<lb/>
Sekretäre und die vier Vorgesetzten mir die hohe Ehre verschafft, zu dieser<lb/>
Kolla sovistz. i-jfm'eng.t&gt;3. zu gehören, so werde ich Euch beweisen, daß ich allein<lb/>
ur mich imstande bin, der gesamten Rotte der Quästur den Weg zu verlegen."<lb/>
Daraufhin wird dem Postulauteu bedeutet, daß seine Fähigkeiten überzeugend<lb/>
nachgewiesen seien, und er küßt darauf dem Meister und den Rechtssitzenden,<lb/>
dann wiederum dem Meister und den Linkssitzenden die Hand. Gefragt, warum<lb/>
er dem Meister zweimal die Hand geküßt habe, bemerkt er: &#x201E;Ich habe Euch<lb/>
zweimal geküßt, weil Ihr zwei Stimmen habt, eine uach rechts und eine nach<lb/>
links; und Ihr seid ein Mann von hoher Ehre, von der Gesellschaft ausge¬<lb/>
wählt, Recht zu geben, wein es zukommt, und Unrecht zu geben dem, der<lb/>
es verdient." Der Postulcmt darf dann die in Strafe liegenden Mitglieder<lb/>
der untersten Stufe der Gesellschaft losbitten, was gewährt wird, und dann<lb/>
sagt der Meister mit großer Feierlichkeit: &#x201E;Von diesem Augenblick an gehört<lb/>
Ihr zur Klasse der FiovaiioUi onorM (wörtlich: geehrten Jünglinge) und seid<lb/>
aufgenommen in die untere Gesellschaft der Demut. Unsre hotta sooists, ritur-<lb/>
niatÄ legt Euch Jünglingen auf: 1. euch gegenseitig zu lieben; 2. demütig<lb/>
und ergeben gegenüber den Alten und den Vorgesetzten zu sein; 3. Friedens¬<lb/>
stifter zu sein, wenn nnter den Genossen Streit entsteht; 4. die Steuern für<lb/>
die Kamorristen zu erheben, ohne etwas zu unterschlagen; 5. niemand zu<lb/>
offenbaren, was in der Gesellschaft vorgeht. Wer diesem Gesetze zuwiderhandelt,<lb/>
wird nicht nur aus der schönen Gesellschaft ausgestoßen, sondern kann auch,<lb/>
gemäß der Schwere der Schuld, zum Tode verurteilt werden." Nach einigen<lb/>
weitern formelhaften Redensarten wird der neugebackne ssiovanotw onoinw<lb/>
(Schluß folgt) entlassen. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Weltliche Musik im alten Leipzig<lb/>
(Schluß) </head><lb/>
          <p xml:id="ID_2628" next="#ID_2629"> ! s läßt sich aus Maugel an Quellen nicht mehr nachweisen, welchen<lb/>
! Anteil Leipzig an einer der eigentümlichsten Schöpfungen des<lb/>
spätern europäischen Mittelalters, an der Entwicklung mehrstimmiger<lb/>
Musik bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gehabt hat.<lb/>
Genug, daß das mehrstimmige, besonders das drei- und das vier¬<lb/>
stimmige Lied des fünfzehnten Jahrhunderts, wie es z. B. aus dem unter Loch-<lb/>
heimers Namen gehenden nürnbergischen Liederbuch bekannt ist, auch in Leipzig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0583] weltliche Musik im alten Leipzig ein kurzes formelhaftes Zwiegespräch zwischen ihm und dein Viertelsmeistcr, und auf die Frage, warum er diese Versammlung beantragt habe, erfolgt die Antwort: „Meister, das Herz hat mich getrieben, in dieses Haus zu kommen, um Euch zu fragen, ob in der vslla sooistü. rikurmak^ ein Platz wäre, den ich ausfüllen könnte, wenn dadurch weder Ihr noch diese meine Obern gestört werden." Nach einer ablehnenden Antwort des Viertelsmeisters sagt der Postulcmt die weitere Formel: „Meister, ich verstehe, daß die Gesellschaft mich für untauglich hält, da sie nicht weiß, wie ich gesinnt bin; aber wenn Ihr, die Sekretäre und die vier Vorgesetzten mir die hohe Ehre verschafft, zu dieser Kolla sovistz. i-jfm'eng.t>3. zu gehören, so werde ich Euch beweisen, daß ich allein ur mich imstande bin, der gesamten Rotte der Quästur den Weg zu verlegen." Daraufhin wird dem Postulauteu bedeutet, daß seine Fähigkeiten überzeugend nachgewiesen seien, und er küßt darauf dem Meister und den Rechtssitzenden, dann wiederum dem Meister und den Linkssitzenden die Hand. Gefragt, warum er dem Meister zweimal die Hand geküßt habe, bemerkt er: „Ich habe Euch zweimal geküßt, weil Ihr zwei Stimmen habt, eine uach rechts und eine nach links; und Ihr seid ein Mann von hoher Ehre, von der Gesellschaft ausge¬ wählt, Recht zu geben, wein es zukommt, und Unrecht zu geben dem, der es verdient." Der Postulcmt darf dann die in Strafe liegenden Mitglieder der untersten Stufe der Gesellschaft losbitten, was gewährt wird, und dann sagt der Meister mit großer Feierlichkeit: „Von diesem Augenblick an gehört Ihr zur Klasse der FiovaiioUi onorM (wörtlich: geehrten Jünglinge) und seid aufgenommen in die untere Gesellschaft der Demut. Unsre hotta sooists, ritur- niatÄ legt Euch Jünglingen auf: 1. euch gegenseitig zu lieben; 2. demütig und ergeben gegenüber den Alten und den Vorgesetzten zu sein; 3. Friedens¬ stifter zu sein, wenn nnter den Genossen Streit entsteht; 4. die Steuern für die Kamorristen zu erheben, ohne etwas zu unterschlagen; 5. niemand zu offenbaren, was in der Gesellschaft vorgeht. Wer diesem Gesetze zuwiderhandelt, wird nicht nur aus der schönen Gesellschaft ausgestoßen, sondern kann auch, gemäß der Schwere der Schuld, zum Tode verurteilt werden." Nach einigen weitern formelhaften Redensarten wird der neugebackne ssiovanotw onoinw (Schluß folgt) entlassen. Weltliche Musik im alten Leipzig (Schluß) ! s läßt sich aus Maugel an Quellen nicht mehr nachweisen, welchen ! Anteil Leipzig an einer der eigentümlichsten Schöpfungen des spätern europäischen Mittelalters, an der Entwicklung mehrstimmiger Musik bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gehabt hat. Genug, daß das mehrstimmige, besonders das drei- und das vier¬ stimmige Lied des fünfzehnten Jahrhunderts, wie es z. B. aus dem unter Loch- heimers Namen gehenden nürnbergischen Liederbuch bekannt ist, auch in Leipzig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/583
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/583>, abgerufen am 27.04.2024.