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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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Gin deutsches Oberhaus

n dem Aufsatze "Schwächen und Fiktionen des modernen Parla¬
mentarismus" in Heft 22 wurde unter anderm darauf hinge¬
wiesen, daß im Gegensatz zu allen andern konstitutionellen
Großstaaten der Erde uur das Deutsche Reich eines Oberhauses
entbehre. Der Gedanke an ein solches ist nicht neu, im Gegen¬
teil, er ist bei den Bestrebungen nach einer Neugestaltung der deutschen
Gesamtverfassung seit 1848 vielfach erörtert worden. Schon der Entwurf
der siebzehn "Vertrauensmänner," die der Deutsche Bundestag im März 1848
nach der Zahl der Stimmen im engern Rate berief, sah neben dein Volks¬
haufe ein Oberhaus vor, das aus den regierenden Fürsten und einer Anzahl
von "Reichsräten" bestehn sollte, die auf zwölf Jahre zur Hälfte von den
Einzelregierungen, zur Hälfte von den Einzellandtagen gewählt werden sollten,
also etwa eine Kombination des heutigen Bundesrath und eines eigentlichen
Oberhauses vorgestellt Hütte. Der Entwurf eines deutschen Neichsgrund-
gesetzes aus Dahlmanns Feder wurde mit diesem Vorschlage "der hohen
deutscheu Bundesversammlung als Gutachten der siebzehn Männer des öffent¬
lichen Vertrauens" am 26. April 1848 überreicht; aber die Absicht, ihn als
gemeinsame Vorlage der Bundesregierungen der zu berufenden Nationalver¬
sammlung vorzulegen, scheiterte an dem allgemeinen Widerspruch, denn für
die kühnen Gedanken Dahlmanns waren damals weder die Regierungen
noch die öffentliche Meinung noch die politischen Zustände reif, aber das
Oberhaus an sich wurde nicht verworfen, sondern nur in andrer Gestalt ge¬
wünscht.

Gegen die Vereinigung von regierenden Fürsten und Notabeln zu einem
Oberhause sprach sich zuerst der Prinzgemahl Albert von Koburg aus, indem
er neben den aus zwei Häusern zusammengesetzten Reichstag einen "Fürsten¬
tag" (Bundesrat) stellen wollte. Ähnlich urteilte der preußische Gesandte in
London, Chr. I. von Bunsen (5. Mai), der dabei an das Vorbild des nord-
amerikanischen Senats dachte. Diesen Gründen schloß sich der damals in
London verweilende Prinz Wilhelm von Preußen nach längern Unterredungen mit
Vnnscn an (an Dcchlmcmn 4. Mai); er betonte mit Recht, daß eine solche
Verbindung von Fürsten und Untertanen zu einer Körperschaft der natürlichen


Grenzboten III 1S04 1


Gin deutsches Oberhaus

n dem Aufsatze „Schwächen und Fiktionen des modernen Parla¬
mentarismus" in Heft 22 wurde unter anderm darauf hinge¬
wiesen, daß im Gegensatz zu allen andern konstitutionellen
Großstaaten der Erde uur das Deutsche Reich eines Oberhauses
entbehre. Der Gedanke an ein solches ist nicht neu, im Gegen¬
teil, er ist bei den Bestrebungen nach einer Neugestaltung der deutschen
Gesamtverfassung seit 1848 vielfach erörtert worden. Schon der Entwurf
der siebzehn „Vertrauensmänner," die der Deutsche Bundestag im März 1848
nach der Zahl der Stimmen im engern Rate berief, sah neben dein Volks¬
haufe ein Oberhaus vor, das aus den regierenden Fürsten und einer Anzahl
von „Reichsräten" bestehn sollte, die auf zwölf Jahre zur Hälfte von den
Einzelregierungen, zur Hälfte von den Einzellandtagen gewählt werden sollten,
also etwa eine Kombination des heutigen Bundesrath und eines eigentlichen
Oberhauses vorgestellt Hütte. Der Entwurf eines deutschen Neichsgrund-
gesetzes aus Dahlmanns Feder wurde mit diesem Vorschlage „der hohen
deutscheu Bundesversammlung als Gutachten der siebzehn Männer des öffent¬
lichen Vertrauens" am 26. April 1848 überreicht; aber die Absicht, ihn als
gemeinsame Vorlage der Bundesregierungen der zu berufenden Nationalver¬
sammlung vorzulegen, scheiterte an dem allgemeinen Widerspruch, denn für
die kühnen Gedanken Dahlmanns waren damals weder die Regierungen
noch die öffentliche Meinung noch die politischen Zustände reif, aber das
Oberhaus an sich wurde nicht verworfen, sondern nur in andrer Gestalt ge¬
wünscht.

Gegen die Vereinigung von regierenden Fürsten und Notabeln zu einem
Oberhause sprach sich zuerst der Prinzgemahl Albert von Koburg aus, indem
er neben den aus zwei Häusern zusammengesetzten Reichstag einen „Fürsten¬
tag" (Bundesrat) stellen wollte. Ähnlich urteilte der preußische Gesandte in
London, Chr. I. von Bunsen (5. Mai), der dabei an das Vorbild des nord-
amerikanischen Senats dachte. Diesen Gründen schloß sich der damals in
London verweilende Prinz Wilhelm von Preußen nach längern Unterredungen mit
Vnnscn an (an Dcchlmcmn 4. Mai); er betonte mit Recht, daß eine solche
Verbindung von Fürsten und Untertanen zu einer Körperschaft der natürlichen


Grenzboten III 1S04 1
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[0009] [Abbildung] Gin deutsches Oberhaus n dem Aufsatze „Schwächen und Fiktionen des modernen Parla¬ mentarismus" in Heft 22 wurde unter anderm darauf hinge¬ wiesen, daß im Gegensatz zu allen andern konstitutionellen Großstaaten der Erde uur das Deutsche Reich eines Oberhauses entbehre. Der Gedanke an ein solches ist nicht neu, im Gegen¬ teil, er ist bei den Bestrebungen nach einer Neugestaltung der deutschen Gesamtverfassung seit 1848 vielfach erörtert worden. Schon der Entwurf der siebzehn „Vertrauensmänner," die der Deutsche Bundestag im März 1848 nach der Zahl der Stimmen im engern Rate berief, sah neben dein Volks¬ haufe ein Oberhaus vor, das aus den regierenden Fürsten und einer Anzahl von „Reichsräten" bestehn sollte, die auf zwölf Jahre zur Hälfte von den Einzelregierungen, zur Hälfte von den Einzellandtagen gewählt werden sollten, also etwa eine Kombination des heutigen Bundesrath und eines eigentlichen Oberhauses vorgestellt Hütte. Der Entwurf eines deutschen Neichsgrund- gesetzes aus Dahlmanns Feder wurde mit diesem Vorschlage „der hohen deutscheu Bundesversammlung als Gutachten der siebzehn Männer des öffent¬ lichen Vertrauens" am 26. April 1848 überreicht; aber die Absicht, ihn als gemeinsame Vorlage der Bundesregierungen der zu berufenden Nationalver¬ sammlung vorzulegen, scheiterte an dem allgemeinen Widerspruch, denn für die kühnen Gedanken Dahlmanns waren damals weder die Regierungen noch die öffentliche Meinung noch die politischen Zustände reif, aber das Oberhaus an sich wurde nicht verworfen, sondern nur in andrer Gestalt ge¬ wünscht. Gegen die Vereinigung von regierenden Fürsten und Notabeln zu einem Oberhause sprach sich zuerst der Prinzgemahl Albert von Koburg aus, indem er neben den aus zwei Häusern zusammengesetzten Reichstag einen „Fürsten¬ tag" (Bundesrat) stellen wollte. Ähnlich urteilte der preußische Gesandte in London, Chr. I. von Bunsen (5. Mai), der dabei an das Vorbild des nord- amerikanischen Senats dachte. Diesen Gründen schloß sich der damals in London verweilende Prinz Wilhelm von Preußen nach längern Unterredungen mit Vnnscn an (an Dcchlmcmn 4. Mai); er betonte mit Recht, daß eine solche Verbindung von Fürsten und Untertanen zu einer Körperschaft der natürlichen Grenzboten III 1S04 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/9>, abgerufen am 27.04.2024.