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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr.

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yeimatkunst im modernen englischen Roman

zu viel verlangt, wenn er die Kanäle ganz ohne Schnaps gebaut haben will,
aber dem Zwang und der Versuchung zum Übermaß hat allerdings der Staat
als Bauherr vorzubeugen. Wo das Übel die Gestalt einer Volkspest annimmt,
wie vor sechzig Jahren in Irland, in England, in Skandinavien, in Ober¬
schlesien und heute uoch in Galizien, in Rußland, in Frankreich, in Belgien,
da haben die Behörden gesetzliche und polizeiliche Maßregeln zu ergreifen, und
sind Menschenfreunde zu preisen, die das schwere Amt von Aposteln und
Missionaren freiwillig übernehmen; bei so verkommnem Volke kann ebenso wie
bei Berufsständen, deren verantwortungsvoller Dienst schon die kleinste An-
heiterung zu einer schweren Gefahr macht, die heroische Praxis gänzlicher Ent¬
haltung von spirituösen das einzige Rettungs- und Bewcchruugsmittel sein.
Im allgemeinen aber werden vernünftige Jugenderziehung und hygienische Be¬
lehrung durch Schule, Vereine und Presse hinreichen, das Übel in erträgliche
Grenzen einzuschränken. Es ganz zu beseitigen, dazu würde eine gründliche
Umgestaltung unsrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse gehören, auf die
freilich hingewirkt werden muß, die aber nicht binnen kurzem erzwungen werden
kann, am wenigsten durch einen Abstinenzfanatismus, der jeden Alkoholgenuß
zur Sünde stempelt und folgerichtig auch das heilige Abendmahl als einen
sündhaften Brauch verurteilen müßte. Solche Übertreibungen können keine
andre Wirkung haben, als daß sie die gute Sache lächerlich machen und in
Mißkredit bringen. Daß die bisherigen Bemühungen der Menschenfreunde,
das Leben hygienischer zu gestalte", schon Frucht getragen haben, erkennt man
an vielen Symptomen; ich rechne dazu den starken Konsum von Apfelsinen,
an denen sich auch die Arbeiterjugend labt, und die aufblühende Industrie
<L. z. alkoholfreier Obst- und Beerenweine.




Heimatkunst im modernen englischen Roman

eimatkunst! Es ist noch nicht lange her, daß die mit diesem Schlag¬
wort bezeichnete Strömung in unsrer Literatur in den Vorder¬
grund getreten ist. Erst durch den starken Erfolg des "Jörn
Abt" ist der Begriff zur Parole einer künstlerischen Richtung
geworden, die sich absichtlich in einen Gegensatz zu andern, mehr
internationalen Bestrebungen in unsrer literarischen Welt stellt.

In England ist man weniger geneigt, Dichter und Schriftsteller nach den
Eigentümlichkeiten ihres Talents in bestimmte Gruppen zu teilen. Vielleicht kommt
das daher, daß die Kunstkritik dort mehr in den Hintergrund tritt als bei uns,
oder auch daß sich die mannigfachen Wandlungen in der Geschichte des englischen
Romans in langsamen, fast unmerklichen Übergängen zu vollzieh" pflegen.

Die Heimatkunst, die Romantik der heimatlichen Erde, ist schon seit
mehreren Jahrzehnten der Mittelpunkt des Schaffens einer ganzen Reihe von
Künstlern, deren Ruf über die Grenzen des britischen Reiches hinausgedrungen


yeimatkunst im modernen englischen Roman

zu viel verlangt, wenn er die Kanäle ganz ohne Schnaps gebaut haben will,
aber dem Zwang und der Versuchung zum Übermaß hat allerdings der Staat
als Bauherr vorzubeugen. Wo das Übel die Gestalt einer Volkspest annimmt,
wie vor sechzig Jahren in Irland, in England, in Skandinavien, in Ober¬
schlesien und heute uoch in Galizien, in Rußland, in Frankreich, in Belgien,
da haben die Behörden gesetzliche und polizeiliche Maßregeln zu ergreifen, und
sind Menschenfreunde zu preisen, die das schwere Amt von Aposteln und
Missionaren freiwillig übernehmen; bei so verkommnem Volke kann ebenso wie
bei Berufsständen, deren verantwortungsvoller Dienst schon die kleinste An-
heiterung zu einer schweren Gefahr macht, die heroische Praxis gänzlicher Ent¬
haltung von spirituösen das einzige Rettungs- und Bewcchruugsmittel sein.
Im allgemeinen aber werden vernünftige Jugenderziehung und hygienische Be¬
lehrung durch Schule, Vereine und Presse hinreichen, das Übel in erträgliche
Grenzen einzuschränken. Es ganz zu beseitigen, dazu würde eine gründliche
Umgestaltung unsrer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse gehören, auf die
freilich hingewirkt werden muß, die aber nicht binnen kurzem erzwungen werden
kann, am wenigsten durch einen Abstinenzfanatismus, der jeden Alkoholgenuß
zur Sünde stempelt und folgerichtig auch das heilige Abendmahl als einen
sündhaften Brauch verurteilen müßte. Solche Übertreibungen können keine
andre Wirkung haben, als daß sie die gute Sache lächerlich machen und in
Mißkredit bringen. Daß die bisherigen Bemühungen der Menschenfreunde,
das Leben hygienischer zu gestalte», schon Frucht getragen haben, erkennt man
an vielen Symptomen; ich rechne dazu den starken Konsum von Apfelsinen,
an denen sich auch die Arbeiterjugend labt, und die aufblühende Industrie
<L. z. alkoholfreier Obst- und Beerenweine.




Heimatkunst im modernen englischen Roman

eimatkunst! Es ist noch nicht lange her, daß die mit diesem Schlag¬
wort bezeichnete Strömung in unsrer Literatur in den Vorder¬
grund getreten ist. Erst durch den starken Erfolg des „Jörn
Abt" ist der Begriff zur Parole einer künstlerischen Richtung
geworden, die sich absichtlich in einen Gegensatz zu andern, mehr
internationalen Bestrebungen in unsrer literarischen Welt stellt.

In England ist man weniger geneigt, Dichter und Schriftsteller nach den
Eigentümlichkeiten ihres Talents in bestimmte Gruppen zu teilen. Vielleicht kommt
das daher, daß die Kunstkritik dort mehr in den Hintergrund tritt als bei uns,
oder auch daß sich die mannigfachen Wandlungen in der Geschichte des englischen
Romans in langsamen, fast unmerklichen Übergängen zu vollzieh» pflegen.

Die Heimatkunst, die Romantik der heimatlichen Erde, ist schon seit
mehreren Jahrzehnten der Mittelpunkt des Schaffens einer ganzen Reihe von
Künstlern, deren Ruf über die Grenzen des britischen Reiches hinausgedrungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_294416/97>, abgerufen am 27.04.2024.