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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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Der oberösterreichische Bauernaufstand

le hoch man auch den Einfluß der Reformation auf geistigem Ge¬
biete für das deutsche Volk anschlagen muß, politisch hat sie ihm
keinen Gewinn gebracht. Sie hat einen Riß durch alle Verhält¬
nisse gemacht, der sich bis auf den heutigen Tag noch nicht hat
heilen lassen. Ein Teil der deutschen Nation, die Deutschöster-
reicher, stehn außerhalb des neuen Deutschen Reichs mit einer nichtdeutschen
Übermacht im Kampfe, den sie nicht zu führen verstehn, weil ihnen die Führer-
eigenschaften fehlen, und sie bloß den Weg der Verteidigung und der Oppo¬
sition kennen; im Reiche selbst wirkt die Glaubensspaltnng weiter als unver-
siegliche Quelle der Parteiverbitterung. Die belebende Wirkung, die der
protestantische Geist auf das deutsche Volk ausgeübt hat, hatte sich in gewal¬
tigen Fortschritten im sechzehnten Jahrhundert gezeigt, Deutschland bot beim
Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges den Aublick eines gedeihenden und
blühenden Landes voll regen geistigen Lebens, das auch die geringen Reste
der katholisch gebliebner Bevölkerung umfaßte. Das unselige Geschick, daß
Deutschland ein Wahlreich war, verhinderte, daß die neue erfrischende Strömung
zum Wohle des Ganzen ausgenutzt wurde, sie wandte sich vielmehr gegen die
eignen Volksgenossen. Ein Verhängnis war es, daß in entscheidender Stunde
ein Fremder zum Kaiser erkoren wurde, der zwar der mächtigste Monarch der
Welt war, aber kein Verständnis für eine Erhebung im Volke hatte, wie sie
größer seit der Stauferzeit nicht dagewesen war. Fremde Söldnerscharen tragen
infolgedessen dazu bei, den Brudermord zu vergrößern und vorläufige Entschei¬
dungen zu bewirken, die jedoch nie endgiltig werden konnten, weil die Mehr¬
heit der Bevölkerung widerstand. Nicht einmal ein dreißigjähriger Krieg brachte
eine, sondern endete wegen allgemeiner Erschöpfung. Aber Kraft, Wohlstand
und Sitte des deutschen Volkes waren gebrochen, das Reich wurde ein leeres
GeHänse ohne lebenskräftigen innern Kern, aus ihm war eine neue feste Grund¬
lage für die österreichische Monarchie hervorgewachsen. Es würde ein müßiges
Gedankenspiel sein, die möglichen Folgen für den Fall auszuklügeln, daß im
ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts ein Deutscher zum Kaiser gewühlt
worden wäre, der die Bewegung seines Volkes zu leiten verstanden hätte. Un¬
streitig ist wohl nur eins: Rom würde sich gehütet haben, mit einem kirchcn-
reformatorisch gesinnten Deutschen Reiche zu brechen, und die Kirchenspaltung
mit allen Folgen wäre vermutlich unterblieben. Nachdem der deutsche Kampf
einmal ausgebrochen war, blieb der Kirche freilich nichts andres übrig, als sich
für den Teil zu entscheiden, der ihr am nächsten stand. Das Schicksal des ent¬
völkerten Deutschen Reichs war trostlos, zwei Jahrhunderte bot es das Schlacht¬
feld dar, auf dem andre Völker ihre Kämpfe auftrugen, bei denen Deutsche in




Der oberösterreichische Bauernaufstand

le hoch man auch den Einfluß der Reformation auf geistigem Ge¬
biete für das deutsche Volk anschlagen muß, politisch hat sie ihm
keinen Gewinn gebracht. Sie hat einen Riß durch alle Verhält¬
nisse gemacht, der sich bis auf den heutigen Tag noch nicht hat
heilen lassen. Ein Teil der deutschen Nation, die Deutschöster-
reicher, stehn außerhalb des neuen Deutschen Reichs mit einer nichtdeutschen
Übermacht im Kampfe, den sie nicht zu führen verstehn, weil ihnen die Führer-
eigenschaften fehlen, und sie bloß den Weg der Verteidigung und der Oppo¬
sition kennen; im Reiche selbst wirkt die Glaubensspaltnng weiter als unver-
siegliche Quelle der Parteiverbitterung. Die belebende Wirkung, die der
protestantische Geist auf das deutsche Volk ausgeübt hat, hatte sich in gewal¬
tigen Fortschritten im sechzehnten Jahrhundert gezeigt, Deutschland bot beim
Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges den Aublick eines gedeihenden und
blühenden Landes voll regen geistigen Lebens, das auch die geringen Reste
der katholisch gebliebner Bevölkerung umfaßte. Das unselige Geschick, daß
Deutschland ein Wahlreich war, verhinderte, daß die neue erfrischende Strömung
zum Wohle des Ganzen ausgenutzt wurde, sie wandte sich vielmehr gegen die
eignen Volksgenossen. Ein Verhängnis war es, daß in entscheidender Stunde
ein Fremder zum Kaiser erkoren wurde, der zwar der mächtigste Monarch der
Welt war, aber kein Verständnis für eine Erhebung im Volke hatte, wie sie
größer seit der Stauferzeit nicht dagewesen war. Fremde Söldnerscharen tragen
infolgedessen dazu bei, den Brudermord zu vergrößern und vorläufige Entschei¬
dungen zu bewirken, die jedoch nie endgiltig werden konnten, weil die Mehr¬
heit der Bevölkerung widerstand. Nicht einmal ein dreißigjähriger Krieg brachte
eine, sondern endete wegen allgemeiner Erschöpfung. Aber Kraft, Wohlstand
und Sitte des deutschen Volkes waren gebrochen, das Reich wurde ein leeres
GeHänse ohne lebenskräftigen innern Kern, aus ihm war eine neue feste Grund¬
lage für die österreichische Monarchie hervorgewachsen. Es würde ein müßiges
Gedankenspiel sein, die möglichen Folgen für den Fall auszuklügeln, daß im
ersten Viertel des sechzehnten Jahrhunderts ein Deutscher zum Kaiser gewühlt
worden wäre, der die Bewegung seines Volkes zu leiten verstanden hätte. Un¬
streitig ist wohl nur eins: Rom würde sich gehütet haben, mit einem kirchcn-
reformatorisch gesinnten Deutschen Reiche zu brechen, und die Kirchenspaltung
mit allen Folgen wäre vermutlich unterblieben. Nachdem der deutsche Kampf
einmal ausgebrochen war, blieb der Kirche freilich nichts andres übrig, als sich
für den Teil zu entscheiden, der ihr am nächsten stand. Das Schicksal des ent¬
völkerten Deutschen Reichs war trostlos, zwei Jahrhunderte bot es das Schlacht¬
feld dar, auf dem andre Völker ihre Kämpfe auftrugen, bei denen Deutsche in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/198>, abgerufen am 03.05.2024.