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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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dem Mi Zahl geminderten Volk darum niemals erstarb. Schon das nächste
Jahrhundert sah die friderizianische Zeit und den neuen literarischen Frühling,
den Ruhm von Lessing, Schiller, Goethe und Kant. Man darf also doch an¬
nehmen, daß die Deutschösterreicher durch den Krieg der dreißig Jahre noch
mehr gelitten haben als die übrigen Deutschen. Sie sind so gut wie kon¬
fessionell ungeteilt, und doch lebt unter ihnen eine fast krankhafte Scheu vor
klerikaler Reaktion, die man anderswo nicht kennt. Oberflächliche Beobachter
wollen sie auf die "Konkordatswirtschaft" des vorigen Jahrhunderts zurück¬
führen. Sie irren, dergleichen vergißt sich leicht, aber die Sache liegt tiefer.
Noch nach beinahe drei Jahrhunderten liegt in der Seele der Deutschöster¬
reicher und der auch immer hnssitischer Anwandlungen verdächtigen Tschechen
die dunkle Erinnerung, daß ihrem Volke einmal ein schweres Unrecht, das
bitterste Weh, das nur zu denken ist, zugefügt worden ist, und zwar von einer
Macht, deren Gebete sie heute eifrig und gläubig mitsprechen. Während jede
andre Nation ihre liberalen und entgegenstehenden Parteiunterschiede vergißt, sobald
es sich um die Stellung gegenüber andern Nationen handelt, stehn besonders
die Deutschösterreicher immer in zwei getrennten Lagern. Es bedarf nur einer
leisen Berührung der geheimen Saite ihres Gemüts durch die Presse, die gar
keinen nationalen Frieden will, weil sie nicht deutsch ist, und sofort stehn sich
Deutschliberale und Deutschklerikale wieder feindlich gegenüber, obgleich sie eines
Gl -- aubens sind.")




Eindrücke bei der Ausbildung von Regierungs-
reserendaren
p. von Hedemann von

! le Ausbildung der Referendare in den Präsidialgeschäften ist schon
darum schwierig, weil sie nur wenig Monate in einem und dem¬
selben Geschäftszweige beschäftigt, nur so kurze Zeit el" und
demselben Dezernenten anvertraut sind. Zuerst müssen sie ein¬
mal die Schwierigkeit der neuen Geschäftsformen überwinden
lernen! die Hauptaufgabe dabei ist, zu verhüten, daß sie sich -- das be¬
quemste ist es ja -- einfach dem Kanzleistile hingeben, von dessen Blüten sie
sich allenthalben umduftet fühlen, den sie in allen den alten Akten immer
wiederfinden, deren eifriges Studium man ihnen, im ganzen gewiß mit Recht,
so warm empfohlen hat. Nichts schwieriger, als sich die geistige Freiheit eines
eignen Gebrauchs seiner deutschen Sprache trotzdem zu bewahren. Der.Kanzlei¬
stil ist nichts als das Ringen mit dein Ausdruck, den eine im Schreiben un¬
beholfne Zeit fiir schwierig wiederzugebende Dinge niemals recht zu finden ver¬
mochte; man sieht ordentlich, wie der Schreiber die Anstünde, die gegen den



") Als Qucllenmnterial sind benutzt worden: A. Gindely, Geschichte des Dreißigjährigen
Kriegs (Leipzig, G, FreMg), A. Huber, Geschichte Österreichs, ö Bünde (Gotha, F. A. Perthes).
Lindrücke bei der Ausbildung on>» Regicrimgsreferendaren

dem Mi Zahl geminderten Volk darum niemals erstarb. Schon das nächste
Jahrhundert sah die friderizianische Zeit und den neuen literarischen Frühling,
den Ruhm von Lessing, Schiller, Goethe und Kant. Man darf also doch an¬
nehmen, daß die Deutschösterreicher durch den Krieg der dreißig Jahre noch
mehr gelitten haben als die übrigen Deutschen. Sie sind so gut wie kon¬
fessionell ungeteilt, und doch lebt unter ihnen eine fast krankhafte Scheu vor
klerikaler Reaktion, die man anderswo nicht kennt. Oberflächliche Beobachter
wollen sie auf die „Konkordatswirtschaft" des vorigen Jahrhunderts zurück¬
führen. Sie irren, dergleichen vergißt sich leicht, aber die Sache liegt tiefer.
Noch nach beinahe drei Jahrhunderten liegt in der Seele der Deutschöster¬
reicher und der auch immer hnssitischer Anwandlungen verdächtigen Tschechen
die dunkle Erinnerung, daß ihrem Volke einmal ein schweres Unrecht, das
bitterste Weh, das nur zu denken ist, zugefügt worden ist, und zwar von einer
Macht, deren Gebete sie heute eifrig und gläubig mitsprechen. Während jede
andre Nation ihre liberalen und entgegenstehenden Parteiunterschiede vergißt, sobald
es sich um die Stellung gegenüber andern Nationen handelt, stehn besonders
die Deutschösterreicher immer in zwei getrennten Lagern. Es bedarf nur einer
leisen Berührung der geheimen Saite ihres Gemüts durch die Presse, die gar
keinen nationalen Frieden will, weil sie nicht deutsch ist, und sofort stehn sich
Deutschliberale und Deutschklerikale wieder feindlich gegenüber, obgleich sie eines
Gl — aubens sind.")




Eindrücke bei der Ausbildung von Regierungs-
reserendaren
p. von Hedemann von

! le Ausbildung der Referendare in den Präsidialgeschäften ist schon
darum schwierig, weil sie nur wenig Monate in einem und dem¬
selben Geschäftszweige beschäftigt, nur so kurze Zeit el» und
demselben Dezernenten anvertraut sind. Zuerst müssen sie ein¬
mal die Schwierigkeit der neuen Geschäftsformen überwinden
lernen! die Hauptaufgabe dabei ist, zu verhüten, daß sie sich — das be¬
quemste ist es ja — einfach dem Kanzleistile hingeben, von dessen Blüten sie
sich allenthalben umduftet fühlen, den sie in allen den alten Akten immer
wiederfinden, deren eifriges Studium man ihnen, im ganzen gewiß mit Recht,
so warm empfohlen hat. Nichts schwieriger, als sich die geistige Freiheit eines
eignen Gebrauchs seiner deutschen Sprache trotzdem zu bewahren. Der.Kanzlei¬
stil ist nichts als das Ringen mit dein Ausdruck, den eine im Schreiben un¬
beholfne Zeit fiir schwierig wiederzugebende Dinge niemals recht zu finden ver¬
mochte; man sieht ordentlich, wie der Schreiber die Anstünde, die gegen den



") Als Qucllenmnterial sind benutzt worden: A. Gindely, Geschichte des Dreißigjährigen
Kriegs (Leipzig, G, FreMg), A. Huber, Geschichte Österreichs, ö Bünde (Gotha, F. A. Perthes).
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/262>, abgerufen am 03.05.2024.