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Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr.

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äußere Form hat er sich wenig gekümmert, auch uicht als Schriftsteller. Wie
seine wissenschaftlichen Werke in einem schwerfälligen Stil geschrieben sind, so
sind auch diese Denkwürdigkeiten ohne den Reiz einer gefälligen Darstellung.
Immer ist es ihm um die Sache zu tun, Nachlässigkeiten in der Form sind
nicht selten. Daß er durchaus realistisch angelegt war, hat er selbst nach¬
drücklich betont. Neben dem Aufbau seiner Wissenschaft war es ihm Bedürfnis,
unmittelbar ins Leben zu wirken, in die Bewegungen des Zeitalters tütig mit
einzugreifen. Er schrieb immer um eines Zweckes willen, um zu überzeugen,
und seine Feder, so fruchtbar wie vielseitig, ist nicht ohne Einfluß geblieben.
Seine Sozialwissenschaftlichen "Entdeckungen," wie er sie selbst nennt, haben
Widerspruch erfahren, aber sie sind ohne Zweifel ein Ferment der sozialpoli¬
tischen Entwicklung geworden. Doch auf dem politischen Boden war ihm eine
Enttäuschung nach der andern beschicken. Die Zolleinigung mit Österreich,
die Bundesreform nach großdeutschem Programm, der Ausgleich des Völker¬
streits in Österreich -- an diesen Unmöglichkeiten hat er sich vergeblich ab¬
gearbeitet. Und aus seiner politischen Vergangenheit ist ihm etwas Zwie¬
spältiges geblieben, auch als er sich ganz mit den Aufgaben des neuen Reichs
erfüllte. Sein deutscher Patriotismus ist ehrlich, überzeugt, aber man glaubt
doch die natürliche Herzenswürme zu vermissen. Dauernde Anhänglichkeit be¬
wahrt er seinen großdeutschen Freunden von vormals und den Gesinnungs¬
genossen, die er in Österreich gefunden; ihre Porträts zeichnet er mit einer
Liebe, die stark absticht von der Schroffheit und dem bittern Groll, womit er
andrer Zeitgenossen gedenkt. Schließlich hat man nicht den Eindruck, als ob
er mit wirklicher Befriedigung auf sein Leben zurückgeblickt hätte. Er kann
die Empfindlichkeit darüber kaum verbergen, daß man ihn in Wien so scmg-
und klanglos hat fallen lassen, und daß auch sein Zusammenarbeiten mit
Bismarck nur ein halber Erfolg gewesen ist. Das Bild einer stark ausge¬
prägten, aber nicht einer harmonischen, abgeklärten, glücklichen Natur tritt uns
aus diesen Aufzeichnungen entgegen.




Haxonica
von einem sächsischen Konservativen
2

er Volksstamm, der das heutige Königreich Sachsen bewohnt, ist
bekanntlich der Namenserbe eines andern deutschen Volksstammes
geworden, mit dem er weder ethnographisch zusammenfüllt noch
dieselbe Geschichte teilt. Und was noch wunderbarer ist, der Erbe
hat in diesem Falle nicht einmal den Tod des Erblassers ab¬
gewartet, sondern die Erbschaft noch bei dessen Lebzeiten angetreten. Das König¬
reich Sachsen trägt den Namen des zwischen der Elbe und der Weser seßhaften


Grenzboten IV 1904 74
Zaxonica

äußere Form hat er sich wenig gekümmert, auch uicht als Schriftsteller. Wie
seine wissenschaftlichen Werke in einem schwerfälligen Stil geschrieben sind, so
sind auch diese Denkwürdigkeiten ohne den Reiz einer gefälligen Darstellung.
Immer ist es ihm um die Sache zu tun, Nachlässigkeiten in der Form sind
nicht selten. Daß er durchaus realistisch angelegt war, hat er selbst nach¬
drücklich betont. Neben dem Aufbau seiner Wissenschaft war es ihm Bedürfnis,
unmittelbar ins Leben zu wirken, in die Bewegungen des Zeitalters tütig mit
einzugreifen. Er schrieb immer um eines Zweckes willen, um zu überzeugen,
und seine Feder, so fruchtbar wie vielseitig, ist nicht ohne Einfluß geblieben.
Seine Sozialwissenschaftlichen „Entdeckungen," wie er sie selbst nennt, haben
Widerspruch erfahren, aber sie sind ohne Zweifel ein Ferment der sozialpoli¬
tischen Entwicklung geworden. Doch auf dem politischen Boden war ihm eine
Enttäuschung nach der andern beschicken. Die Zolleinigung mit Österreich,
die Bundesreform nach großdeutschem Programm, der Ausgleich des Völker¬
streits in Österreich — an diesen Unmöglichkeiten hat er sich vergeblich ab¬
gearbeitet. Und aus seiner politischen Vergangenheit ist ihm etwas Zwie¬
spältiges geblieben, auch als er sich ganz mit den Aufgaben des neuen Reichs
erfüllte. Sein deutscher Patriotismus ist ehrlich, überzeugt, aber man glaubt
doch die natürliche Herzenswürme zu vermissen. Dauernde Anhänglichkeit be¬
wahrt er seinen großdeutschen Freunden von vormals und den Gesinnungs¬
genossen, die er in Österreich gefunden; ihre Porträts zeichnet er mit einer
Liebe, die stark absticht von der Schroffheit und dem bittern Groll, womit er
andrer Zeitgenossen gedenkt. Schließlich hat man nicht den Eindruck, als ob
er mit wirklicher Befriedigung auf sein Leben zurückgeblickt hätte. Er kann
die Empfindlichkeit darüber kaum verbergen, daß man ihn in Wien so scmg-
und klanglos hat fallen lassen, und daß auch sein Zusammenarbeiten mit
Bismarck nur ein halber Erfolg gewesen ist. Das Bild einer stark ausge¬
prägten, aber nicht einer harmonischen, abgeklärten, glücklichen Natur tritt uns
aus diesen Aufzeichnungen entgegen.




Haxonica
von einem sächsischen Konservativen
2

er Volksstamm, der das heutige Königreich Sachsen bewohnt, ist
bekanntlich der Namenserbe eines andern deutschen Volksstammes
geworden, mit dem er weder ethnographisch zusammenfüllt noch
dieselbe Geschichte teilt. Und was noch wunderbarer ist, der Erbe
hat in diesem Falle nicht einmal den Tod des Erblassers ab¬
gewartet, sondern die Erbschaft noch bei dessen Lebzeiten angetreten. Das König¬
reich Sachsen trägt den Namen des zwischen der Elbe und der Weser seßhaften


Grenzboten IV 1904 74
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[0547] Zaxonica äußere Form hat er sich wenig gekümmert, auch uicht als Schriftsteller. Wie seine wissenschaftlichen Werke in einem schwerfälligen Stil geschrieben sind, so sind auch diese Denkwürdigkeiten ohne den Reiz einer gefälligen Darstellung. Immer ist es ihm um die Sache zu tun, Nachlässigkeiten in der Form sind nicht selten. Daß er durchaus realistisch angelegt war, hat er selbst nach¬ drücklich betont. Neben dem Aufbau seiner Wissenschaft war es ihm Bedürfnis, unmittelbar ins Leben zu wirken, in die Bewegungen des Zeitalters tütig mit einzugreifen. Er schrieb immer um eines Zweckes willen, um zu überzeugen, und seine Feder, so fruchtbar wie vielseitig, ist nicht ohne Einfluß geblieben. Seine Sozialwissenschaftlichen „Entdeckungen," wie er sie selbst nennt, haben Widerspruch erfahren, aber sie sind ohne Zweifel ein Ferment der sozialpoli¬ tischen Entwicklung geworden. Doch auf dem politischen Boden war ihm eine Enttäuschung nach der andern beschicken. Die Zolleinigung mit Österreich, die Bundesreform nach großdeutschem Programm, der Ausgleich des Völker¬ streits in Österreich — an diesen Unmöglichkeiten hat er sich vergeblich ab¬ gearbeitet. Und aus seiner politischen Vergangenheit ist ihm etwas Zwie¬ spältiges geblieben, auch als er sich ganz mit den Aufgaben des neuen Reichs erfüllte. Sein deutscher Patriotismus ist ehrlich, überzeugt, aber man glaubt doch die natürliche Herzenswürme zu vermissen. Dauernde Anhänglichkeit be¬ wahrt er seinen großdeutschen Freunden von vormals und den Gesinnungs¬ genossen, die er in Österreich gefunden; ihre Porträts zeichnet er mit einer Liebe, die stark absticht von der Schroffheit und dem bittern Groll, womit er andrer Zeitgenossen gedenkt. Schließlich hat man nicht den Eindruck, als ob er mit wirklicher Befriedigung auf sein Leben zurückgeblickt hätte. Er kann die Empfindlichkeit darüber kaum verbergen, daß man ihn in Wien so scmg- und klanglos hat fallen lassen, und daß auch sein Zusammenarbeiten mit Bismarck nur ein halber Erfolg gewesen ist. Das Bild einer stark ausge¬ prägten, aber nicht einer harmonischen, abgeklärten, glücklichen Natur tritt uns aus diesen Aufzeichnungen entgegen. Haxonica von einem sächsischen Konservativen 2 er Volksstamm, der das heutige Königreich Sachsen bewohnt, ist bekanntlich der Namenserbe eines andern deutschen Volksstammes geworden, mit dem er weder ethnographisch zusammenfüllt noch dieselbe Geschichte teilt. Und was noch wunderbarer ist, der Erbe hat in diesem Falle nicht einmal den Tod des Erblassers ab¬ gewartet, sondern die Erbschaft noch bei dessen Lebzeiten angetreten. Das König¬ reich Sachsen trägt den Namen des zwischen der Elbe und der Weser seßhaften Grenzboten IV 1904 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 63, 1904, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341879_295218/547>, abgerufen am 03.05.2024.