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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Die großen Hafenbauten an der Wesermündung

llbekannt ist das Interesse, das Goethe im höchsten Greisenalter
an der Schöpfung BremerlMens im Jahre 1830 nahm. Be¬
rührte sich doch eine solche Kulturtätigkeit ganz nahe mit dem,
was er selber den durch Erd- und Himmelswelten umhergetriebnen
Faust tun läßt, um ihm den Seelenfrieden zum Sterben zu ver¬
leihen. Der alte Hafen zu Bremerhcwen war der erste mit Schleusen abge¬
schlossene Seehafen, den Deutschland kannte. Solche Schleusenhäfen haben nur
im Gebiet von Ebbe und Flut einen Sinn. Wenn man nicht so tief ins Ufer
einschneiden kann oder will, daß die Schiffe auch bei Niedrigwasser einfahren
können, so muß man Tore vor den Eingang legen, die im Hafen das Wasser
von einem Hochwasser zum andern festhalten. Damit scheidet die ganze Ostsee
für die Anlage von Schleusenhäfen aus; ebenso die obern Teile der Flußlüufe,
denn nur wenn Ebbe und Flut im regelmäßigen Wechsel aufeinander folgen,
our man wagen, die Schiffe bis zur Wiederkehr des Hochwassers festzuhalten.
Hamburg hat noch heute keine Schleusenhüfen; es braucht sie nicht, weil der
alte Schiffsankerplatz auf dem offnen Strom sowie die neuen Kunsthäfen auch
bei Niedrigwasser genügende Tiefe haben. Auch Cuxhavens neuer Hafen ist
offen, ebenso sind es die, die neuerdings bei der Stadt Bremen erbaut worden
sind, denn hier sind Ebbe und Flut von weit geringerer Wirkung als der
durch den Zufluß von oberhalb bewirkte Wechsel des Wasserstandes. Die Häfen
von Brake, Geestemttnde, Emden sind jünger. Von einem offnen Hafen an der
untern Weser konnte gar keine Rede sein. Denn dreißig Kilometer unterhalb
Bremens verläßt das letzte hohe Ufer den Strom; von da ab windet er sich
i'n fruchtbaren Marschlande dahin, alle Ränder seines Fahrwassers sind auf
weite Strecken schlammig oder sandig; das Land muß durch hohe Deiche gegen
Überschwemmungen geschützt werden. Ein Hafen muß also den Deich durch¬
schneiden und von künstlichen Ufern umgeben werden. Je tiefer man die Sohle
legt, um so gewaltigere Ufermauern muß man bauen; man muß auch die vier
Meter Unterschied zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Wasser anrechnen,
denn bei dem tiefsten Stande sollen die Schiffe noch schwimmen, bei dem höchsten
soll das Wasser nicht überfließen. Deshalb legt man unter solchen Verhältnissen


Grenzboten IV 190S 30


Die großen Hafenbauten an der Wesermündung

llbekannt ist das Interesse, das Goethe im höchsten Greisenalter
an der Schöpfung BremerlMens im Jahre 1830 nahm. Be¬
rührte sich doch eine solche Kulturtätigkeit ganz nahe mit dem,
was er selber den durch Erd- und Himmelswelten umhergetriebnen
Faust tun läßt, um ihm den Seelenfrieden zum Sterben zu ver¬
leihen. Der alte Hafen zu Bremerhcwen war der erste mit Schleusen abge¬
schlossene Seehafen, den Deutschland kannte. Solche Schleusenhäfen haben nur
im Gebiet von Ebbe und Flut einen Sinn. Wenn man nicht so tief ins Ufer
einschneiden kann oder will, daß die Schiffe auch bei Niedrigwasser einfahren
können, so muß man Tore vor den Eingang legen, die im Hafen das Wasser
von einem Hochwasser zum andern festhalten. Damit scheidet die ganze Ostsee
für die Anlage von Schleusenhäfen aus; ebenso die obern Teile der Flußlüufe,
denn nur wenn Ebbe und Flut im regelmäßigen Wechsel aufeinander folgen,
our man wagen, die Schiffe bis zur Wiederkehr des Hochwassers festzuhalten.
Hamburg hat noch heute keine Schleusenhüfen; es braucht sie nicht, weil der
alte Schiffsankerplatz auf dem offnen Strom sowie die neuen Kunsthäfen auch
bei Niedrigwasser genügende Tiefe haben. Auch Cuxhavens neuer Hafen ist
offen, ebenso sind es die, die neuerdings bei der Stadt Bremen erbaut worden
sind, denn hier sind Ebbe und Flut von weit geringerer Wirkung als der
durch den Zufluß von oberhalb bewirkte Wechsel des Wasserstandes. Die Häfen
von Brake, Geestemttnde, Emden sind jünger. Von einem offnen Hafen an der
untern Weser konnte gar keine Rede sein. Denn dreißig Kilometer unterhalb
Bremens verläßt das letzte hohe Ufer den Strom; von da ab windet er sich
i'n fruchtbaren Marschlande dahin, alle Ränder seines Fahrwassers sind auf
weite Strecken schlammig oder sandig; das Land muß durch hohe Deiche gegen
Überschwemmungen geschützt werden. Ein Hafen muß also den Deich durch¬
schneiden und von künstlichen Ufern umgeben werden. Je tiefer man die Sohle
legt, um so gewaltigere Ufermauern muß man bauen; man muß auch die vier
Meter Unterschied zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Wasser anrechnen,
denn bei dem tiefsten Stande sollen die Schiffe noch schwimmen, bei dem höchsten
soll das Wasser nicht überfließen. Deshalb legt man unter solchen Verhältnissen


Grenzboten IV 190S 30
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[0235] [Abbildung] Die großen Hafenbauten an der Wesermündung llbekannt ist das Interesse, das Goethe im höchsten Greisenalter an der Schöpfung BremerlMens im Jahre 1830 nahm. Be¬ rührte sich doch eine solche Kulturtätigkeit ganz nahe mit dem, was er selber den durch Erd- und Himmelswelten umhergetriebnen Faust tun läßt, um ihm den Seelenfrieden zum Sterben zu ver¬ leihen. Der alte Hafen zu Bremerhcwen war der erste mit Schleusen abge¬ schlossene Seehafen, den Deutschland kannte. Solche Schleusenhäfen haben nur im Gebiet von Ebbe und Flut einen Sinn. Wenn man nicht so tief ins Ufer einschneiden kann oder will, daß die Schiffe auch bei Niedrigwasser einfahren können, so muß man Tore vor den Eingang legen, die im Hafen das Wasser von einem Hochwasser zum andern festhalten. Damit scheidet die ganze Ostsee für die Anlage von Schleusenhäfen aus; ebenso die obern Teile der Flußlüufe, denn nur wenn Ebbe und Flut im regelmäßigen Wechsel aufeinander folgen, our man wagen, die Schiffe bis zur Wiederkehr des Hochwassers festzuhalten. Hamburg hat noch heute keine Schleusenhüfen; es braucht sie nicht, weil der alte Schiffsankerplatz auf dem offnen Strom sowie die neuen Kunsthäfen auch bei Niedrigwasser genügende Tiefe haben. Auch Cuxhavens neuer Hafen ist offen, ebenso sind es die, die neuerdings bei der Stadt Bremen erbaut worden sind, denn hier sind Ebbe und Flut von weit geringerer Wirkung als der durch den Zufluß von oberhalb bewirkte Wechsel des Wasserstandes. Die Häfen von Brake, Geestemttnde, Emden sind jünger. Von einem offnen Hafen an der untern Weser konnte gar keine Rede sein. Denn dreißig Kilometer unterhalb Bremens verläßt das letzte hohe Ufer den Strom; von da ab windet er sich i'n fruchtbaren Marschlande dahin, alle Ränder seines Fahrwassers sind auf weite Strecken schlammig oder sandig; das Land muß durch hohe Deiche gegen Überschwemmungen geschützt werden. Ein Hafen muß also den Deich durch¬ schneiden und von künstlichen Ufern umgeben werden. Je tiefer man die Sohle legt, um so gewaltigere Ufermauern muß man bauen; man muß auch die vier Meter Unterschied zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Wasser anrechnen, denn bei dem tiefsten Stande sollen die Schiffe noch schwimmen, bei dem höchsten soll das Wasser nicht überfließen. Deshalb legt man unter solchen Verhältnissen Grenzboten IV 190S 30

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/235>, abgerufen am 08.05.2024.