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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Die italienische Renaissance eine germanische Schöpfung

Die Wände des Kerkers und der sonstigen Räume der Kustodie im
Kvrnhcmse zu Weimar wurden bald darauf niedergelegt. Auch in den Ge¬
bäuden des Kammergnts zu Oldisleben ist der dortige Kerker nicht mehr nach¬
zuweisen. Dafür lebt die Erinnerung an das qualvolle Eude des Herzogs im
Munde der Bevölkerung fort. Freilich hat sich dabei das Geschichtliche fast
ganz verloren. Aus dem wehrhaften Kriegsmann ist -- trotz den vom Super¬
intendenten Eckart empfohlnen vorbeugenden Maßnahmen -- ein scheues Ge¬
spenst geworden, das in der Umgebung des Koruhauses in der Gestalt eines
grauen, buckligen Zwergs während der Dämmerung umgeht und besonders
denen erscheint, deren Ende herannaht. Noch jetzt wollen ältere Frauen den
"löschpapierneu Prinzen," wie er wegen seiner Farbe genannt wird> nicht nur
gesehen, sondern sogar mit ihm gesprochen haben.

Herzog Johann Friedrich der Sechste ist der Letzte seines Namens im
Sachsen - Ernestinischeu Hause. Wie die Namen besonders glücklicher Fürsten
von den Nachkommen mit Vorliebe wieder gewählt werden, so scheut man sich
vor der Wahl der Namen besonders unglücklicher Fürsten. Zu diesen gehörten
die sechs Träger des Namens Johann Friedrich im Hause Sachsen von Johann
Friedrich dem Großmütigeu an, der in der Schlacht bei Mühlberg die Kur¬
würde und seine Freiheit verlor, bis zu Johann Friedrich dem Sechsten, der
uns als der unglücklichste von allen erscheinen muß.




Die italienische Renaissance eine germanische
Schöpfung

udwig Woltmann, der Herausgeber der Politisch-anthropo¬
logischen Revue und Verfasser einer politischen Anthropologie,
hat deu Plan einer anthropologischen Kulturgeschichte entworfen,
die das, was bei Gobineau und Chamberlciin als kühne In¬
tuition erscheint, auf die solide Grundlage der exakten Wissen¬
schaft stellen und nachweisen soll, daß "der Gehalt eines Volkes an blonder
Nasse seinen Kulturwert bestimmt." Diesen Plan führt er -- nur skizzenhaft,
wie er sagt -- für Italien aus in dem Buche: Die Germanen und die Re¬
naissance in Italien. Mit mehr als hundert Bildnissen berühmter Italiener.
(Thüringische Verlags anstatt, Leipzig, 1905.) "Italien ist das geeignetste
Objekt für eine solche Untersuchung. Seine soziale und seine geistige Geschichte
ist gründlich erforscht, und kein Volk Europas ist in seiner anthropologischen
Struktur so genau bekannt wie das italienische. Nirgends finden wir auch
so zahlreiche und vortreffliche ikonographische Hilfsmittel, und nirgends eine
so umfangreiche und ausgezeichnete genealogische und biographische Literatur."
Die Renaissance ist nach ihm nicht eine Wiederbelebung der antiken Kultur,
obwohl natürlich die von dieser ansgegcmgnen Anregungen nicht geleugnet


Die italienische Renaissance eine germanische Schöpfung

Die Wände des Kerkers und der sonstigen Räume der Kustodie im
Kvrnhcmse zu Weimar wurden bald darauf niedergelegt. Auch in den Ge¬
bäuden des Kammergnts zu Oldisleben ist der dortige Kerker nicht mehr nach¬
zuweisen. Dafür lebt die Erinnerung an das qualvolle Eude des Herzogs im
Munde der Bevölkerung fort. Freilich hat sich dabei das Geschichtliche fast
ganz verloren. Aus dem wehrhaften Kriegsmann ist — trotz den vom Super¬
intendenten Eckart empfohlnen vorbeugenden Maßnahmen — ein scheues Ge¬
spenst geworden, das in der Umgebung des Koruhauses in der Gestalt eines
grauen, buckligen Zwergs während der Dämmerung umgeht und besonders
denen erscheint, deren Ende herannaht. Noch jetzt wollen ältere Frauen den
„löschpapierneu Prinzen," wie er wegen seiner Farbe genannt wird> nicht nur
gesehen, sondern sogar mit ihm gesprochen haben.

Herzog Johann Friedrich der Sechste ist der Letzte seines Namens im
Sachsen - Ernestinischeu Hause. Wie die Namen besonders glücklicher Fürsten
von den Nachkommen mit Vorliebe wieder gewählt werden, so scheut man sich
vor der Wahl der Namen besonders unglücklicher Fürsten. Zu diesen gehörten
die sechs Träger des Namens Johann Friedrich im Hause Sachsen von Johann
Friedrich dem Großmütigeu an, der in der Schlacht bei Mühlberg die Kur¬
würde und seine Freiheit verlor, bis zu Johann Friedrich dem Sechsten, der
uns als der unglücklichste von allen erscheinen muß.




Die italienische Renaissance eine germanische
Schöpfung

udwig Woltmann, der Herausgeber der Politisch-anthropo¬
logischen Revue und Verfasser einer politischen Anthropologie,
hat deu Plan einer anthropologischen Kulturgeschichte entworfen,
die das, was bei Gobineau und Chamberlciin als kühne In¬
tuition erscheint, auf die solide Grundlage der exakten Wissen¬
schaft stellen und nachweisen soll, daß „der Gehalt eines Volkes an blonder
Nasse seinen Kulturwert bestimmt." Diesen Plan führt er — nur skizzenhaft,
wie er sagt — für Italien aus in dem Buche: Die Germanen und die Re¬
naissance in Italien. Mit mehr als hundert Bildnissen berühmter Italiener.
(Thüringische Verlags anstatt, Leipzig, 1905.) „Italien ist das geeignetste
Objekt für eine solche Untersuchung. Seine soziale und seine geistige Geschichte
ist gründlich erforscht, und kein Volk Europas ist in seiner anthropologischen
Struktur so genau bekannt wie das italienische. Nirgends finden wir auch
so zahlreiche und vortreffliche ikonographische Hilfsmittel, und nirgends eine
so umfangreiche und ausgezeichnete genealogische und biographische Literatur."
Die Renaissance ist nach ihm nicht eine Wiederbelebung der antiken Kultur,
obwohl natürlich die von dieser ansgegcmgnen Anregungen nicht geleugnet


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[0263] Die italienische Renaissance eine germanische Schöpfung Die Wände des Kerkers und der sonstigen Räume der Kustodie im Kvrnhcmse zu Weimar wurden bald darauf niedergelegt. Auch in den Ge¬ bäuden des Kammergnts zu Oldisleben ist der dortige Kerker nicht mehr nach¬ zuweisen. Dafür lebt die Erinnerung an das qualvolle Eude des Herzogs im Munde der Bevölkerung fort. Freilich hat sich dabei das Geschichtliche fast ganz verloren. Aus dem wehrhaften Kriegsmann ist — trotz den vom Super¬ intendenten Eckart empfohlnen vorbeugenden Maßnahmen — ein scheues Ge¬ spenst geworden, das in der Umgebung des Koruhauses in der Gestalt eines grauen, buckligen Zwergs während der Dämmerung umgeht und besonders denen erscheint, deren Ende herannaht. Noch jetzt wollen ältere Frauen den „löschpapierneu Prinzen," wie er wegen seiner Farbe genannt wird> nicht nur gesehen, sondern sogar mit ihm gesprochen haben. Herzog Johann Friedrich der Sechste ist der Letzte seines Namens im Sachsen - Ernestinischeu Hause. Wie die Namen besonders glücklicher Fürsten von den Nachkommen mit Vorliebe wieder gewählt werden, so scheut man sich vor der Wahl der Namen besonders unglücklicher Fürsten. Zu diesen gehörten die sechs Träger des Namens Johann Friedrich im Hause Sachsen von Johann Friedrich dem Großmütigeu an, der in der Schlacht bei Mühlberg die Kur¬ würde und seine Freiheit verlor, bis zu Johann Friedrich dem Sechsten, der uns als der unglücklichste von allen erscheinen muß. Die italienische Renaissance eine germanische Schöpfung udwig Woltmann, der Herausgeber der Politisch-anthropo¬ logischen Revue und Verfasser einer politischen Anthropologie, hat deu Plan einer anthropologischen Kulturgeschichte entworfen, die das, was bei Gobineau und Chamberlciin als kühne In¬ tuition erscheint, auf die solide Grundlage der exakten Wissen¬ schaft stellen und nachweisen soll, daß „der Gehalt eines Volkes an blonder Nasse seinen Kulturwert bestimmt." Diesen Plan führt er — nur skizzenhaft, wie er sagt — für Italien aus in dem Buche: Die Germanen und die Re¬ naissance in Italien. Mit mehr als hundert Bildnissen berühmter Italiener. (Thüringische Verlags anstatt, Leipzig, 1905.) „Italien ist das geeignetste Objekt für eine solche Untersuchung. Seine soziale und seine geistige Geschichte ist gründlich erforscht, und kein Volk Europas ist in seiner anthropologischen Struktur so genau bekannt wie das italienische. Nirgends finden wir auch so zahlreiche und vortreffliche ikonographische Hilfsmittel, und nirgends eine so umfangreiche und ausgezeichnete genealogische und biographische Literatur." Die Renaissance ist nach ihm nicht eine Wiederbelebung der antiken Kultur, obwohl natürlich die von dieser ansgegcmgnen Anregungen nicht geleugnet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/263>, abgerufen am 07.05.2024.