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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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gehenden Notlage erstreckt. Neben dieser vor allem die Kranken selbst und ihre
möglichste Isolierung betreffenden Fürsorge wurde auch für die der Ansteckungs¬
gefahr ausgesetzten Angehörigen, insbesondre fiir die Kinder, in der Weise ge¬
sorgt, daß an skrofulöse erkrankte sowie nach Disposition und häuslichen
Verhältnissen besonders gefährdete Kinder auf das Land und an die See, ein
offner Tuberkulose erkrankte Kinder in Salzuflen oder im Bremer Kinderkranken¬
haus untergebracht und im übrigen nach Möglichkeit von andern Kindern zu
isolieren versucht wurden. Man sieht, fast alle Zweige der Dispensaire-Wirk-
samkeit, mit Ausnahme der ärztlichen Behandlung, sind schon von der Bremer
Fürsorgestelle aufgenommen worden, und das alles mit einem verhältnismäßig
geringen Kostenaufwand.

Möchten diese Beispiele dazu dienen, auch in den vielen andern Stüdteu
unsers großen Vaterlandes, in denen bisher auf diesem Gebiete noch nichts ge¬
schehen oder doch eine planmäßige Zentralisation der verschiednen schon in der
häuslichen Krankenfürsorge wirkenden, jedoch meist jeglicher Fühlung zueinander
entbehrenden Vereine, Krankenkassen usw. noch nicht erfolgt ist, das Verständnis
für die hervorragende Bedeutung der "Fürsvrgestellen" im Kampfe gegen die
schlimmste und verheerendste aller Volkskrankheiten, die Tuberkulose, zu fördern
I- und zur Gründung solcher Stellen anzuregen!




H. (L. Andersen
von Sophus Bciilditz

>ein Leben ist ein schönes Märchen, so reich und glücklich -- so
beginnt H. C. Andersen seine berühmte Lebensschilderung, und ein
bezeichnenderes Wort konnte er Wohl kaum finden; denn wenn
sich je ein Dichter auf fast märchenhafte Weise durchgekämpft hat
Ivon dem armen, zerzausten Vogel zu dem gefeierten singenden
Schwan, vor dem sich alle beugten, so ist es wohl er.

Andre große Dichter, daheim und im Auslande, sind vor ihm in kleinen
Verhältnissen geboren worden und haben Armut und Widerwärtigkeiten erduldet,
aber keiner von ihnen hat seine Kindheit unter so verzweifelten Verhältnissen
verlebt wie er, keiner hat sich mit einer Energie wie der seinen aus der Volks¬
tiefe emporgearbeitet und ist so hoch gestiegen.

Ein armer Schuster, den seine elende Stellung quält, und der sich be¬
ständig wegsehnt, weg aus der Armut der Häuslichkeit und den häuslichen
Banden, das ist der Vater.

Eine Frau, älter als der Mann und mit einer Vergangenheit, von der
sich bedrückt zu fühlen sie freilich zu unentwickelt und zuletzt auch zu stumpf
ist, ein armes Wurm, das den Versuchungen jeglicher Art unterliegt und weder
dem Manne noch dem Kinde eine Stütze sein kann -- das ist die Mutter.


L, Andersen

gehenden Notlage erstreckt. Neben dieser vor allem die Kranken selbst und ihre
möglichste Isolierung betreffenden Fürsorge wurde auch für die der Ansteckungs¬
gefahr ausgesetzten Angehörigen, insbesondre fiir die Kinder, in der Weise ge¬
sorgt, daß an skrofulöse erkrankte sowie nach Disposition und häuslichen
Verhältnissen besonders gefährdete Kinder auf das Land und an die See, ein
offner Tuberkulose erkrankte Kinder in Salzuflen oder im Bremer Kinderkranken¬
haus untergebracht und im übrigen nach Möglichkeit von andern Kindern zu
isolieren versucht wurden. Man sieht, fast alle Zweige der Dispensaire-Wirk-
samkeit, mit Ausnahme der ärztlichen Behandlung, sind schon von der Bremer
Fürsorgestelle aufgenommen worden, und das alles mit einem verhältnismäßig
geringen Kostenaufwand.

Möchten diese Beispiele dazu dienen, auch in den vielen andern Stüdteu
unsers großen Vaterlandes, in denen bisher auf diesem Gebiete noch nichts ge¬
schehen oder doch eine planmäßige Zentralisation der verschiednen schon in der
häuslichen Krankenfürsorge wirkenden, jedoch meist jeglicher Fühlung zueinander
entbehrenden Vereine, Krankenkassen usw. noch nicht erfolgt ist, das Verständnis
für die hervorragende Bedeutung der „Fürsvrgestellen" im Kampfe gegen die
schlimmste und verheerendste aller Volkskrankheiten, die Tuberkulose, zu fördern
I- und zur Gründung solcher Stellen anzuregen!




H. (L. Andersen
von Sophus Bciilditz

>ein Leben ist ein schönes Märchen, so reich und glücklich — so
beginnt H. C. Andersen seine berühmte Lebensschilderung, und ein
bezeichnenderes Wort konnte er Wohl kaum finden; denn wenn
sich je ein Dichter auf fast märchenhafte Weise durchgekämpft hat
Ivon dem armen, zerzausten Vogel zu dem gefeierten singenden
Schwan, vor dem sich alle beugten, so ist es wohl er.

Andre große Dichter, daheim und im Auslande, sind vor ihm in kleinen
Verhältnissen geboren worden und haben Armut und Widerwärtigkeiten erduldet,
aber keiner von ihnen hat seine Kindheit unter so verzweifelten Verhältnissen
verlebt wie er, keiner hat sich mit einer Energie wie der seinen aus der Volks¬
tiefe emporgearbeitet und ist so hoch gestiegen.

Ein armer Schuster, den seine elende Stellung quält, und der sich be¬
ständig wegsehnt, weg aus der Armut der Häuslichkeit und den häuslichen
Banden, das ist der Vater.

Eine Frau, älter als der Mann und mit einer Vergangenheit, von der
sich bedrückt zu fühlen sie freilich zu unentwickelt und zuletzt auch zu stumpf
ist, ein armes Wurm, das den Versuchungen jeglicher Art unterliegt und weder
dem Manne noch dem Kinde eine Stütze sein kann — das ist die Mutter.


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[0031] L, Andersen gehenden Notlage erstreckt. Neben dieser vor allem die Kranken selbst und ihre möglichste Isolierung betreffenden Fürsorge wurde auch für die der Ansteckungs¬ gefahr ausgesetzten Angehörigen, insbesondre fiir die Kinder, in der Weise ge¬ sorgt, daß an skrofulöse erkrankte sowie nach Disposition und häuslichen Verhältnissen besonders gefährdete Kinder auf das Land und an die See, ein offner Tuberkulose erkrankte Kinder in Salzuflen oder im Bremer Kinderkranken¬ haus untergebracht und im übrigen nach Möglichkeit von andern Kindern zu isolieren versucht wurden. Man sieht, fast alle Zweige der Dispensaire-Wirk- samkeit, mit Ausnahme der ärztlichen Behandlung, sind schon von der Bremer Fürsorgestelle aufgenommen worden, und das alles mit einem verhältnismäßig geringen Kostenaufwand. Möchten diese Beispiele dazu dienen, auch in den vielen andern Stüdteu unsers großen Vaterlandes, in denen bisher auf diesem Gebiete noch nichts ge¬ schehen oder doch eine planmäßige Zentralisation der verschiednen schon in der häuslichen Krankenfürsorge wirkenden, jedoch meist jeglicher Fühlung zueinander entbehrenden Vereine, Krankenkassen usw. noch nicht erfolgt ist, das Verständnis für die hervorragende Bedeutung der „Fürsvrgestellen" im Kampfe gegen die schlimmste und verheerendste aller Volkskrankheiten, die Tuberkulose, zu fördern I- und zur Gründung solcher Stellen anzuregen! H. (L. Andersen von Sophus Bciilditz >ein Leben ist ein schönes Märchen, so reich und glücklich — so beginnt H. C. Andersen seine berühmte Lebensschilderung, und ein bezeichnenderes Wort konnte er Wohl kaum finden; denn wenn sich je ein Dichter auf fast märchenhafte Weise durchgekämpft hat Ivon dem armen, zerzausten Vogel zu dem gefeierten singenden Schwan, vor dem sich alle beugten, so ist es wohl er. Andre große Dichter, daheim und im Auslande, sind vor ihm in kleinen Verhältnissen geboren worden und haben Armut und Widerwärtigkeiten erduldet, aber keiner von ihnen hat seine Kindheit unter so verzweifelten Verhältnissen verlebt wie er, keiner hat sich mit einer Energie wie der seinen aus der Volks¬ tiefe emporgearbeitet und ist so hoch gestiegen. Ein armer Schuster, den seine elende Stellung quält, und der sich be¬ ständig wegsehnt, weg aus der Armut der Häuslichkeit und den häuslichen Banden, das ist der Vater. Eine Frau, älter als der Mann und mit einer Vergangenheit, von der sich bedrückt zu fühlen sie freilich zu unentwickelt und zuletzt auch zu stumpf ist, ein armes Wurm, das den Versuchungen jeglicher Art unterliegt und weder dem Manne noch dem Kinde eine Stütze sein kann — das ist die Mutter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/31>, abgerufen am 07.05.2024.