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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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jeden Abend todmüde zu Velt geht, wenn auch nicht immer, so doch für ge¬
wöhnlich ganz gut möglich.

Aber es mag trotzdem noch genug Unheil geschehen, das natürlich nicht
ermittelt und nicht statistisch gemessen werden kann. Die Kirchenobern sind
dafür verantwortlich, und wenn sie ein Gewissen haben, so werden sie die Ab¬
schaffung des Zölibntzwangs, die jetzt noch nicht gewagt werden kann, wenigstens
für die Zukunft ins Auge fassen, Sie dürfen sich nicht damit herausreden, daß
ja die Kandidaten vor Empfang der Weihen ermahnt werden, zu prüfen, ob
sie sich deu Anforderungen des Priesterberufs gewachsen fühlen, und daß ihnen
die Hölle, die dem unwürdigen Priester droht, mit den schrecklichsten Farben
ausgemalt wird. Unschuldige enthusiastische Jünglinge von zweiundzwanzig und
dreiundzwanzig Jahren -- es gibt noch solche -- kennen sich selbst und die
Menschennatur noch nicht, und die sie schon kennen, aber der lockenden Ver¬
sorgung wegen nicht zurücktreten wollen, beschwichtigen ihre Skrupel; es wird
schon gehn, sagen sie sich, dann gehts aber nicht. Die Aufhebung des Zwangs¬
zölibats ist ohne Verletzung eines Dogmas möglich, denn die heidnisch-jüdisch-
manichäischen Anschauungen, die ihm zugrunde liegen, sind nicht dogmatisicrt
worden, und die römische Kirche laßt sich die Priesterehe der unierten Griechen
gefallen. Allerdings hat auch die morgenlündische Kirche den schwer zu ent¬
wurzelnden Volksanschauungen die Konzession machen müssen, daß sie die
Verehelichung nach empfangner Priesterweihe nicht erlaubt und nur Mouche zu
Bischöfen weiht. Kindliche Völker wollen nun einmal sichtbare und greifbare
Götter und geweihte, in irgendeiner Weise dem profanen Verkehr entrückte
Diener dieser Götter. ^- .^ (Schluß folgt)




Die Tage von (Lhamvigny und Villiers
2

ir hatten uns in dem Nayon, der uns zur Beobachtung und ein¬
tretendenfalls zur Verteidigung anvertraut worden war, häuslich
eingerichtet, und es war, soweit ich urteilen kaun, in dem Ab¬
schnitt Sevran, zu dem das etwas höher und weiter zurück liegende
Villepinte als Vuen Retiro für die zeitweilig nicht zum Vor¬
postendienst herangezognen Abteilungen gehörte, außerordentlich gemütlich. Man
erfährt freilich nicht immer, was die Mannschaften in solchen Fällen aus¬
zusetzen haben, und was deren Wohlbefinden im Wege steht, aber wenn es Ver¬
anlassung zu erustrer Klage gibt, hört man doch sehr bald davon, und auch
das häufige Visitieren der Quartiere ist, wenn man die Augen offen hat und
das Vertrauen der Leute genießt, das rechte Mittel, sich einen Begriff zu
machen, wie die Sachen stehn. Auch Sevran war von den Einwohnern fast
völlig verlassen, und die Beaufsichtigung der zurückgebliebnen Rudern der Be¬
völkerung verursachte wenig Mühe. Zweierlei beschäftigte uns -- vom Dienst


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jeden Abend todmüde zu Velt geht, wenn auch nicht immer, so doch für ge¬
wöhnlich ganz gut möglich.

Aber es mag trotzdem noch genug Unheil geschehen, das natürlich nicht
ermittelt und nicht statistisch gemessen werden kann. Die Kirchenobern sind
dafür verantwortlich, und wenn sie ein Gewissen haben, so werden sie die Ab¬
schaffung des Zölibntzwangs, die jetzt noch nicht gewagt werden kann, wenigstens
für die Zukunft ins Auge fassen, Sie dürfen sich nicht damit herausreden, daß
ja die Kandidaten vor Empfang der Weihen ermahnt werden, zu prüfen, ob
sie sich deu Anforderungen des Priesterberufs gewachsen fühlen, und daß ihnen
die Hölle, die dem unwürdigen Priester droht, mit den schrecklichsten Farben
ausgemalt wird. Unschuldige enthusiastische Jünglinge von zweiundzwanzig und
dreiundzwanzig Jahren — es gibt noch solche — kennen sich selbst und die
Menschennatur noch nicht, und die sie schon kennen, aber der lockenden Ver¬
sorgung wegen nicht zurücktreten wollen, beschwichtigen ihre Skrupel; es wird
schon gehn, sagen sie sich, dann gehts aber nicht. Die Aufhebung des Zwangs¬
zölibats ist ohne Verletzung eines Dogmas möglich, denn die heidnisch-jüdisch-
manichäischen Anschauungen, die ihm zugrunde liegen, sind nicht dogmatisicrt
worden, und die römische Kirche laßt sich die Priesterehe der unierten Griechen
gefallen. Allerdings hat auch die morgenlündische Kirche den schwer zu ent¬
wurzelnden Volksanschauungen die Konzession machen müssen, daß sie die
Verehelichung nach empfangner Priesterweihe nicht erlaubt und nur Mouche zu
Bischöfen weiht. Kindliche Völker wollen nun einmal sichtbare und greifbare
Götter und geweihte, in irgendeiner Weise dem profanen Verkehr entrückte
Diener dieser Götter. ^- .^ (Schluß folgt)




Die Tage von (Lhamvigny und Villiers
2

ir hatten uns in dem Nayon, der uns zur Beobachtung und ein¬
tretendenfalls zur Verteidigung anvertraut worden war, häuslich
eingerichtet, und es war, soweit ich urteilen kaun, in dem Ab¬
schnitt Sevran, zu dem das etwas höher und weiter zurück liegende
Villepinte als Vuen Retiro für die zeitweilig nicht zum Vor¬
postendienst herangezognen Abteilungen gehörte, außerordentlich gemütlich. Man
erfährt freilich nicht immer, was die Mannschaften in solchen Fällen aus¬
zusetzen haben, und was deren Wohlbefinden im Wege steht, aber wenn es Ver¬
anlassung zu erustrer Klage gibt, hört man doch sehr bald davon, und auch
das häufige Visitieren der Quartiere ist, wenn man die Augen offen hat und
das Vertrauen der Leute genießt, das rechte Mittel, sich einen Begriff zu
machen, wie die Sachen stehn. Auch Sevran war von den Einwohnern fast
völlig verlassen, und die Beaufsichtigung der zurückgebliebnen Rudern der Be¬
völkerung verursachte wenig Mühe. Zweierlei beschäftigte uns — vom Dienst


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[0438] Sie Tage von <Lhc»npigny und villicrs jeden Abend todmüde zu Velt geht, wenn auch nicht immer, so doch für ge¬ wöhnlich ganz gut möglich. Aber es mag trotzdem noch genug Unheil geschehen, das natürlich nicht ermittelt und nicht statistisch gemessen werden kann. Die Kirchenobern sind dafür verantwortlich, und wenn sie ein Gewissen haben, so werden sie die Ab¬ schaffung des Zölibntzwangs, die jetzt noch nicht gewagt werden kann, wenigstens für die Zukunft ins Auge fassen, Sie dürfen sich nicht damit herausreden, daß ja die Kandidaten vor Empfang der Weihen ermahnt werden, zu prüfen, ob sie sich deu Anforderungen des Priesterberufs gewachsen fühlen, und daß ihnen die Hölle, die dem unwürdigen Priester droht, mit den schrecklichsten Farben ausgemalt wird. Unschuldige enthusiastische Jünglinge von zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Jahren — es gibt noch solche — kennen sich selbst und die Menschennatur noch nicht, und die sie schon kennen, aber der lockenden Ver¬ sorgung wegen nicht zurücktreten wollen, beschwichtigen ihre Skrupel; es wird schon gehn, sagen sie sich, dann gehts aber nicht. Die Aufhebung des Zwangs¬ zölibats ist ohne Verletzung eines Dogmas möglich, denn die heidnisch-jüdisch- manichäischen Anschauungen, die ihm zugrunde liegen, sind nicht dogmatisicrt worden, und die römische Kirche laßt sich die Priesterehe der unierten Griechen gefallen. Allerdings hat auch die morgenlündische Kirche den schwer zu ent¬ wurzelnden Volksanschauungen die Konzession machen müssen, daß sie die Verehelichung nach empfangner Priesterweihe nicht erlaubt und nur Mouche zu Bischöfen weiht. Kindliche Völker wollen nun einmal sichtbare und greifbare Götter und geweihte, in irgendeiner Weise dem profanen Verkehr entrückte Diener dieser Götter. ^- .^ (Schluß folgt) Die Tage von (Lhamvigny und Villiers 2 ir hatten uns in dem Nayon, der uns zur Beobachtung und ein¬ tretendenfalls zur Verteidigung anvertraut worden war, häuslich eingerichtet, und es war, soweit ich urteilen kaun, in dem Ab¬ schnitt Sevran, zu dem das etwas höher und weiter zurück liegende Villepinte als Vuen Retiro für die zeitweilig nicht zum Vor¬ postendienst herangezognen Abteilungen gehörte, außerordentlich gemütlich. Man erfährt freilich nicht immer, was die Mannschaften in solchen Fällen aus¬ zusetzen haben, und was deren Wohlbefinden im Wege steht, aber wenn es Ver¬ anlassung zu erustrer Klage gibt, hört man doch sehr bald davon, und auch das häufige Visitieren der Quartiere ist, wenn man die Augen offen hat und das Vertrauen der Leute genießt, das rechte Mittel, sich einen Begriff zu machen, wie die Sachen stehn. Auch Sevran war von den Einwohnern fast völlig verlassen, und die Beaufsichtigung der zurückgebliebnen Rudern der Be¬ völkerung verursachte wenig Mühe. Zweierlei beschäftigte uns — vom Dienst

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/438>, abgerufen am 07.05.2024.