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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Betrachtungen zur Narinevorlage für

!M rechten Zeit kommt sie, die Forderung zur Ergänzung des
Flottengesetzes von 1900; freilich wird sie manchem Vaterlands¬
freunde viel zu bescheiden erscheinen, weil sie in engen, bestimmten
Grenzen gehalten ist. Aber in dieser weisen Beschränkung liegt
l auch ein großer Vorzug: die Forderung ist ohne Schwierigkeiten,
ohne "Opfer" sehr gut durchführbar. Ein arbeitsfrohes Volk, wie das deutsche,
kann die Kosten der vermehrten Flottenrüstung, die ihm den Frieden sichern
sollen, hundertfach leichter tragen als die Verluste in einem unglücklichen
Kriege, der die Seegeltung und den Seehandel Deutschlands vernichten würde.
Feinde und Freunde des Vaterlandes haben im Laufe des letzten Jahrzehnts
das ihrige dazu beigetragen, den schwerfälligen deutschen Michel von der Un-
entbehrlichkeit einer kriegstüchtigen, kräftigen Flotte zu überzeugen. Die neue
Mariuevorlage wird also zweifellos größerm Verständnis bei Hoch und Niedrig
im Binnenlande begegnen; das ist ein Segen und läßt schon jetzt darauf
schließen, daß die Behandlung der Vorlage auch im Reichstage weniger
schwierig als früher sein wird. Der Durchschnittsdeutsche ist denn doch
gerecht genug, wenigstens sich selber zu sagen, daß er früher recht kurzsichtig
war, als er sich vermaß, die "uferlosen" Flottenpläne als Marinesport zu
bekritteln. Der bittre Ernst der Flottenvorlage leuchtet heute schon manchem
einfachen Manne im Volke ein, wenn er es auch ans Furcht vor der Partei-
tyrannis nicht öffentlich auszusprechen wagt. Haben doch sogar gut nationale
Parteimänner noch im vorigen Jahrzehnt gegen die Flottenforderungen ge¬
stimmt, einfach weil sie nichts von der Bedeutung der Flottenfrage verstanden.
Gut Ding will Weile haben -- das gilt eben leider auch für die Flotten¬
frage; aber was der Deutsche einmal für gut befunden hat, daran hat er
bisher immer zäh und treu festgehalten; das ist ja der Unterschied zwischen
der gediegnen und freilich auch schwerfälligen deutschen Art im Gegensatz zu
den romanischen Völkern, die wichtige Dinge schneller begreifen, dafür aber
nicht mit gleicher Treue daran festhalten. Die glücklichen Engländer mit ihrer
Mischung aus keltisch-romanischem und angelsächsischem Blute sind auch darin
vom Schicksal begünstigter als wir, ihre rasche Entschlußfähigkeit ist mit er-


Grenzboten IV 1905 74


Betrachtungen zur Narinevorlage für

!M rechten Zeit kommt sie, die Forderung zur Ergänzung des
Flottengesetzes von 1900; freilich wird sie manchem Vaterlands¬
freunde viel zu bescheiden erscheinen, weil sie in engen, bestimmten
Grenzen gehalten ist. Aber in dieser weisen Beschränkung liegt
l auch ein großer Vorzug: die Forderung ist ohne Schwierigkeiten,
ohne „Opfer" sehr gut durchführbar. Ein arbeitsfrohes Volk, wie das deutsche,
kann die Kosten der vermehrten Flottenrüstung, die ihm den Frieden sichern
sollen, hundertfach leichter tragen als die Verluste in einem unglücklichen
Kriege, der die Seegeltung und den Seehandel Deutschlands vernichten würde.
Feinde und Freunde des Vaterlandes haben im Laufe des letzten Jahrzehnts
das ihrige dazu beigetragen, den schwerfälligen deutschen Michel von der Un-
entbehrlichkeit einer kriegstüchtigen, kräftigen Flotte zu überzeugen. Die neue
Mariuevorlage wird also zweifellos größerm Verständnis bei Hoch und Niedrig
im Binnenlande begegnen; das ist ein Segen und läßt schon jetzt darauf
schließen, daß die Behandlung der Vorlage auch im Reichstage weniger
schwierig als früher sein wird. Der Durchschnittsdeutsche ist denn doch
gerecht genug, wenigstens sich selber zu sagen, daß er früher recht kurzsichtig
war, als er sich vermaß, die „uferlosen" Flottenpläne als Marinesport zu
bekritteln. Der bittre Ernst der Flottenvorlage leuchtet heute schon manchem
einfachen Manne im Volke ein, wenn er es auch ans Furcht vor der Partei-
tyrannis nicht öffentlich auszusprechen wagt. Haben doch sogar gut nationale
Parteimänner noch im vorigen Jahrzehnt gegen die Flottenforderungen ge¬
stimmt, einfach weil sie nichts von der Bedeutung der Flottenfrage verstanden.
Gut Ding will Weile haben — das gilt eben leider auch für die Flotten¬
frage; aber was der Deutsche einmal für gut befunden hat, daran hat er
bisher immer zäh und treu festgehalten; das ist ja der Unterschied zwischen
der gediegnen und freilich auch schwerfälligen deutschen Art im Gegensatz zu
den romanischen Völkern, die wichtige Dinge schneller begreifen, dafür aber
nicht mit gleicher Treue daran festhalten. Die glücklichen Engländer mit ihrer
Mischung aus keltisch-romanischem und angelsächsischem Blute sind auch darin
vom Schicksal begünstigter als wir, ihre rasche Entschlußfähigkeit ist mit er-


Grenzboten IV 1905 74
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[0575] [Abbildung] Betrachtungen zur Narinevorlage für !M rechten Zeit kommt sie, die Forderung zur Ergänzung des Flottengesetzes von 1900; freilich wird sie manchem Vaterlands¬ freunde viel zu bescheiden erscheinen, weil sie in engen, bestimmten Grenzen gehalten ist. Aber in dieser weisen Beschränkung liegt l auch ein großer Vorzug: die Forderung ist ohne Schwierigkeiten, ohne „Opfer" sehr gut durchführbar. Ein arbeitsfrohes Volk, wie das deutsche, kann die Kosten der vermehrten Flottenrüstung, die ihm den Frieden sichern sollen, hundertfach leichter tragen als die Verluste in einem unglücklichen Kriege, der die Seegeltung und den Seehandel Deutschlands vernichten würde. Feinde und Freunde des Vaterlandes haben im Laufe des letzten Jahrzehnts das ihrige dazu beigetragen, den schwerfälligen deutschen Michel von der Un- entbehrlichkeit einer kriegstüchtigen, kräftigen Flotte zu überzeugen. Die neue Mariuevorlage wird also zweifellos größerm Verständnis bei Hoch und Niedrig im Binnenlande begegnen; das ist ein Segen und läßt schon jetzt darauf schließen, daß die Behandlung der Vorlage auch im Reichstage weniger schwierig als früher sein wird. Der Durchschnittsdeutsche ist denn doch gerecht genug, wenigstens sich selber zu sagen, daß er früher recht kurzsichtig war, als er sich vermaß, die „uferlosen" Flottenpläne als Marinesport zu bekritteln. Der bittre Ernst der Flottenvorlage leuchtet heute schon manchem einfachen Manne im Volke ein, wenn er es auch ans Furcht vor der Partei- tyrannis nicht öffentlich auszusprechen wagt. Haben doch sogar gut nationale Parteimänner noch im vorigen Jahrzehnt gegen die Flottenforderungen ge¬ stimmt, einfach weil sie nichts von der Bedeutung der Flottenfrage verstanden. Gut Ding will Weile haben — das gilt eben leider auch für die Flotten¬ frage; aber was der Deutsche einmal für gut befunden hat, daran hat er bisher immer zäh und treu festgehalten; das ist ja der Unterschied zwischen der gediegnen und freilich auch schwerfälligen deutschen Art im Gegensatz zu den romanischen Völkern, die wichtige Dinge schneller begreifen, dafür aber nicht mit gleicher Treue daran festhalten. Die glücklichen Engländer mit ihrer Mischung aus keltisch-romanischem und angelsächsischem Blute sind auch darin vom Schicksal begünstigter als wir, ihre rasche Entschlußfähigkeit ist mit er- Grenzboten IV 1905 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/575>, abgerufen am 07.05.2024.