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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Die Bedeutung der Presse für die Kultur

Behauptung, daß die Zugeständnisse an die Ungarn schon die Einheit der Armee
durchbrochen hätten, das; überhaupt die Krone zu viel nachgegeben habe und
schließlich doch alles bewilligen werde. Jede sorgsame Betonung der Krone, daß
sie in keinem Falle gesonnen sei, die verfassungsmäßigen Rechte der Ungarn
anzutasten, wird als Nachgiebigkeit und Zurückweichen von dem vorher betonten
Standpunkt hingestellt, und auf diese Weise hat es das Zusammenwirken der
mit verteilten Rollen arbeitenden Vudapester und Wiener Blätter binnen zwei
Jahren dahin gebracht, daß die Deutschösterreicher der Armeefrage nahezu
teilnahmlos gegenüberstehn und auch in diesem Falle den für ihre nationale
Stellung so wichtigen Anschluß an die Krone versäumen. Auch weitere Kreise
werden durch die einseitige Darstellungsweise der Presse so lange im Irrtum
erhalten und zu einer schiefen Beurteilung der Sachlage verleitet, bis schließlich
wieder einmal ein den Zeitungsschilderun gen geradezu widersprechendes Ereignis
alle Welt darüber belehrt, daß die Sache trotzdem noch auf dem alten Flecke
steht. Aber auch dann hat die findige Presse wieder rasch eine Erklärung und
spricht von Unbeständigkeit der Politik durch Einflüsse schlechter Ratgeber und
der "Kamarilla." Schluß folgt)




Die Bedeutung der Presse für die Kultur
vortrag, gehalten in der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung in Lerlin
am Hugo Jacobi von

as Thema, das mir für den heutigen Abend gestellt worden ist,
gehört zu denen, die ihre Erläuterung -- ihre Auslegung, wenn
ich so sagen darf -- in sich selbst tragen. Die "kulturelle Be¬
deutung der Presse" -- so hatte das Thema gelautet -- ist jedem
denkenden Menschen ohne weiteres klar; ihm genügt, eine unsrer
größern Zeitungen aufzuschlagen. Es kann sich deshalb heute weniger darum
handeln, die Tatsache dieser Bedeutung zu erweisen, als vielmehr um einen
Versuch, in knappen Nahmen ein Bild ihrer Wirkungen und der dabei in
Betracht kommenden Beziehungen und Einflüsse zu formen. Es wird sich das am
besten an der Hand eines Überblicks über die geschichtliche Entwicklung der Presse
nach vorheriger Feststellung des Begriffs Presse tun lassen; denn wenn wir die
Bedeutung selbst ohne weiteres als Tatsache haben anerkennen müssen, bedarf
die Feststellung ihres Begriffs keiner weitläufigen Erörterung: "kulturelle Be¬
deutung" ist gestaltender Einfluß auf das gesamte Kulturleben in seiner fort¬
schreitenden Entwicklung.

Wenngleich der Begriff "Presse" eigentlich alles umfaßt, was aus der
Buchdruckerpresse an Schriften hervorgeht, so entspricht es doch dem Sinne
unsers Themas, diese Betrachtung auf das zu beschränken, was wir im jetzigen
Sprachgebrauch unter Presse versteh": Zeitungen und Zeitschriften, zunächst die
Tagespresse. Denn sie ist es, die das Kulturleben aller zivilisierten Völker


Die Bedeutung der Presse für die Kultur

Behauptung, daß die Zugeständnisse an die Ungarn schon die Einheit der Armee
durchbrochen hätten, das; überhaupt die Krone zu viel nachgegeben habe und
schließlich doch alles bewilligen werde. Jede sorgsame Betonung der Krone, daß
sie in keinem Falle gesonnen sei, die verfassungsmäßigen Rechte der Ungarn
anzutasten, wird als Nachgiebigkeit und Zurückweichen von dem vorher betonten
Standpunkt hingestellt, und auf diese Weise hat es das Zusammenwirken der
mit verteilten Rollen arbeitenden Vudapester und Wiener Blätter binnen zwei
Jahren dahin gebracht, daß die Deutschösterreicher der Armeefrage nahezu
teilnahmlos gegenüberstehn und auch in diesem Falle den für ihre nationale
Stellung so wichtigen Anschluß an die Krone versäumen. Auch weitere Kreise
werden durch die einseitige Darstellungsweise der Presse so lange im Irrtum
erhalten und zu einer schiefen Beurteilung der Sachlage verleitet, bis schließlich
wieder einmal ein den Zeitungsschilderun gen geradezu widersprechendes Ereignis
alle Welt darüber belehrt, daß die Sache trotzdem noch auf dem alten Flecke
steht. Aber auch dann hat die findige Presse wieder rasch eine Erklärung und
spricht von Unbeständigkeit der Politik durch Einflüsse schlechter Ratgeber und
der „Kamarilla." Schluß folgt)




Die Bedeutung der Presse für die Kultur
vortrag, gehalten in der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung in Lerlin
am Hugo Jacobi von

as Thema, das mir für den heutigen Abend gestellt worden ist,
gehört zu denen, die ihre Erläuterung — ihre Auslegung, wenn
ich so sagen darf — in sich selbst tragen. Die „kulturelle Be¬
deutung der Presse" — so hatte das Thema gelautet — ist jedem
denkenden Menschen ohne weiteres klar; ihm genügt, eine unsrer
größern Zeitungen aufzuschlagen. Es kann sich deshalb heute weniger darum
handeln, die Tatsache dieser Bedeutung zu erweisen, als vielmehr um einen
Versuch, in knappen Nahmen ein Bild ihrer Wirkungen und der dabei in
Betracht kommenden Beziehungen und Einflüsse zu formen. Es wird sich das am
besten an der Hand eines Überblicks über die geschichtliche Entwicklung der Presse
nach vorheriger Feststellung des Begriffs Presse tun lassen; denn wenn wir die
Bedeutung selbst ohne weiteres als Tatsache haben anerkennen müssen, bedarf
die Feststellung ihres Begriffs keiner weitläufigen Erörterung: „kulturelle Be¬
deutung" ist gestaltender Einfluß auf das gesamte Kulturleben in seiner fort¬
schreitenden Entwicklung.

Wenngleich der Begriff „Presse" eigentlich alles umfaßt, was aus der
Buchdruckerpresse an Schriften hervorgeht, so entspricht es doch dem Sinne
unsers Themas, diese Betrachtung auf das zu beschränken, was wir im jetzigen
Sprachgebrauch unter Presse versteh»: Zeitungen und Zeitschriften, zunächst die
Tagespresse. Denn sie ist es, die das Kulturleben aller zivilisierten Völker


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[0642] Die Bedeutung der Presse für die Kultur Behauptung, daß die Zugeständnisse an die Ungarn schon die Einheit der Armee durchbrochen hätten, das; überhaupt die Krone zu viel nachgegeben habe und schließlich doch alles bewilligen werde. Jede sorgsame Betonung der Krone, daß sie in keinem Falle gesonnen sei, die verfassungsmäßigen Rechte der Ungarn anzutasten, wird als Nachgiebigkeit und Zurückweichen von dem vorher betonten Standpunkt hingestellt, und auf diese Weise hat es das Zusammenwirken der mit verteilten Rollen arbeitenden Vudapester und Wiener Blätter binnen zwei Jahren dahin gebracht, daß die Deutschösterreicher der Armeefrage nahezu teilnahmlos gegenüberstehn und auch in diesem Falle den für ihre nationale Stellung so wichtigen Anschluß an die Krone versäumen. Auch weitere Kreise werden durch die einseitige Darstellungsweise der Presse so lange im Irrtum erhalten und zu einer schiefen Beurteilung der Sachlage verleitet, bis schließlich wieder einmal ein den Zeitungsschilderun gen geradezu widersprechendes Ereignis alle Welt darüber belehrt, daß die Sache trotzdem noch auf dem alten Flecke steht. Aber auch dann hat die findige Presse wieder rasch eine Erklärung und spricht von Unbeständigkeit der Politik durch Einflüsse schlechter Ratgeber und der „Kamarilla." Schluß folgt) Die Bedeutung der Presse für die Kultur vortrag, gehalten in der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung in Lerlin am Hugo Jacobi von as Thema, das mir für den heutigen Abend gestellt worden ist, gehört zu denen, die ihre Erläuterung — ihre Auslegung, wenn ich so sagen darf — in sich selbst tragen. Die „kulturelle Be¬ deutung der Presse" — so hatte das Thema gelautet — ist jedem denkenden Menschen ohne weiteres klar; ihm genügt, eine unsrer größern Zeitungen aufzuschlagen. Es kann sich deshalb heute weniger darum handeln, die Tatsache dieser Bedeutung zu erweisen, als vielmehr um einen Versuch, in knappen Nahmen ein Bild ihrer Wirkungen und der dabei in Betracht kommenden Beziehungen und Einflüsse zu formen. Es wird sich das am besten an der Hand eines Überblicks über die geschichtliche Entwicklung der Presse nach vorheriger Feststellung des Begriffs Presse tun lassen; denn wenn wir die Bedeutung selbst ohne weiteres als Tatsache haben anerkennen müssen, bedarf die Feststellung ihres Begriffs keiner weitläufigen Erörterung: „kulturelle Be¬ deutung" ist gestaltender Einfluß auf das gesamte Kulturleben in seiner fort¬ schreitenden Entwicklung. Wenngleich der Begriff „Presse" eigentlich alles umfaßt, was aus der Buchdruckerpresse an Schriften hervorgeht, so entspricht es doch dem Sinne unsers Themas, diese Betrachtung auf das zu beschränken, was wir im jetzigen Sprachgebrauch unter Presse versteh»: Zeitungen und Zeitschriften, zunächst die Tagespresse. Denn sie ist es, die das Kulturleben aller zivilisierten Völker

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/642>, abgerufen am 08.05.2024.