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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr.

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Die Bedeutung der Presse fiir die Kultur

aller, die sich auf eine Revolution in Ungarn freuten, zunichte geworden, denn
ohne Volksmassen auf den Straßen läßt sich so etwas nicht in Szene setzen.
Außerdem macht sich auch heutzutage eine Revolution nicht so leicht wie vor
fünfzig Jahren, und übrigens ist die Armee zuverlässig. Das Volk in seiner
Masse hat kein Verständnis für die Herrschaftsträume der adlichen und der
bürgerlichen Oligarchie, die sich aller Vorteile der an der Staatskrippe sitzenden
Parteien erfreut, es will auch von der ungarischen Kommandosprache nichts
wissen. Die von der herrschenden Partei ausgesvrochne Steuerverweigerung
ist ein Schlag ins Wasser. Das seit den sechziger Jahren bekannte usw
Ä-ioälliiK -- "wir steuern nicht" hat in der Gegenwart seine Wirkung ver¬
loren, da vier Fünftel der Steuern auf indirekten Wege eingehoben werden,
und das fehlende Fünftel gerade den vom Staate unterstützten Industrien und
den zahlreichen Abgeordneten, die die Diäten nicht missen können, abgehn
würde. Man braucht unter diesen Umstünde" den in einigen Komitaten in
Szene gesetzten passiven Widerstand nicht zu tragisch zu nehmen. Das
Ministerium Fejervary hat eine Reihe von Reformen in Aussicht gestellt, die
der Masse des Volks nicht gleichgiltig sein können. Es ist darum für die
herrschende Klasse Zeit, einzulenken, wenn sie überhaupt das Staatsruder wieder
ergreifen will. Es ist möglich, daß sich der Konflikt, ähnlich wie in Preußen,
jahrelang hinzieht, wahrscheinlicher ist aber, daß er bald einen theatralischen
-y- Abschluß findet.




Die Bedeutung der Presse für die Kultur
(Schluß)

!le ziemlich weitverbreitete Annahme, daß die überwiegende Be¬
nutzung des Telegraphen in der Herstellung des Inhalts der
I Zeitung den Stil verschlechtert, was ja im Kulturinteresse sicherlich
zu bedauern ist, wird kaum einem begründeten Widerspruch be¬
gegnen. Denn diese Verschlechterung ist eine notwendige Folge
des ziemlich jähen Übergangs von dem verhältnismäßig unbeschränkten Wort¬
reichtum des gründlichen geschriebnen Zeitungsartikels zu der Notwendigkeit
der Wortersparnis des telegraphischen Dienstes. Diese Notwendigkeit wird
aber mit der Zeit neue Stilisten erziehn, die es lernen, mit wenig Worten
auszukommen, was ja auch ein Segen sein kann. Schlimmer ist der Ein¬
fluß der Telegraphenagenturbureaus, weil sie durch willkürliche Wortbildungen
im Interesse der Geldersparnis die Sprache verstümmeln und verschlechtern.
Hierher gehören u. a. die Ausdrücke "der Attentäter" und "das Kaiserhoch,"
von denen sich besonders der erste wie ein häßlicher Flecken auf dem har¬
monischen Gewände unsrer Sprache ausnimmt. Man hat den Eindruck, daß
er auf der Straße geboren und dann ungeachtet der ihm anhaftenden Roheit
und Unwissenschaftlich^ durch Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit oder durch
beides in die gute Gesellschaft des deutschen Sprachschatzes gekommen ist. Leider


Die Bedeutung der Presse fiir die Kultur

aller, die sich auf eine Revolution in Ungarn freuten, zunichte geworden, denn
ohne Volksmassen auf den Straßen läßt sich so etwas nicht in Szene setzen.
Außerdem macht sich auch heutzutage eine Revolution nicht so leicht wie vor
fünfzig Jahren, und übrigens ist die Armee zuverlässig. Das Volk in seiner
Masse hat kein Verständnis für die Herrschaftsträume der adlichen und der
bürgerlichen Oligarchie, die sich aller Vorteile der an der Staatskrippe sitzenden
Parteien erfreut, es will auch von der ungarischen Kommandosprache nichts
wissen. Die von der herrschenden Partei ausgesvrochne Steuerverweigerung
ist ein Schlag ins Wasser. Das seit den sechziger Jahren bekannte usw
Ä-ioälliiK — „wir steuern nicht" hat in der Gegenwart seine Wirkung ver¬
loren, da vier Fünftel der Steuern auf indirekten Wege eingehoben werden,
und das fehlende Fünftel gerade den vom Staate unterstützten Industrien und
den zahlreichen Abgeordneten, die die Diäten nicht missen können, abgehn
würde. Man braucht unter diesen Umstünde» den in einigen Komitaten in
Szene gesetzten passiven Widerstand nicht zu tragisch zu nehmen. Das
Ministerium Fejervary hat eine Reihe von Reformen in Aussicht gestellt, die
der Masse des Volks nicht gleichgiltig sein können. Es ist darum für die
herrschende Klasse Zeit, einzulenken, wenn sie überhaupt das Staatsruder wieder
ergreifen will. Es ist möglich, daß sich der Konflikt, ähnlich wie in Preußen,
jahrelang hinzieht, wahrscheinlicher ist aber, daß er bald einen theatralischen
-y- Abschluß findet.




Die Bedeutung der Presse für die Kultur
(Schluß)

!le ziemlich weitverbreitete Annahme, daß die überwiegende Be¬
nutzung des Telegraphen in der Herstellung des Inhalts der
I Zeitung den Stil verschlechtert, was ja im Kulturinteresse sicherlich
zu bedauern ist, wird kaum einem begründeten Widerspruch be¬
gegnen. Denn diese Verschlechterung ist eine notwendige Folge
des ziemlich jähen Übergangs von dem verhältnismäßig unbeschränkten Wort¬
reichtum des gründlichen geschriebnen Zeitungsartikels zu der Notwendigkeit
der Wortersparnis des telegraphischen Dienstes. Diese Notwendigkeit wird
aber mit der Zeit neue Stilisten erziehn, die es lernen, mit wenig Worten
auszukommen, was ja auch ein Segen sein kann. Schlimmer ist der Ein¬
fluß der Telegraphenagenturbureaus, weil sie durch willkürliche Wortbildungen
im Interesse der Geldersparnis die Sprache verstümmeln und verschlechtern.
Hierher gehören u. a. die Ausdrücke „der Attentäter" und „das Kaiserhoch,"
von denen sich besonders der erste wie ein häßlicher Flecken auf dem har¬
monischen Gewände unsrer Sprache ausnimmt. Man hat den Eindruck, daß
er auf der Straße geboren und dann ungeachtet der ihm anhaftenden Roheit
und Unwissenschaftlich^ durch Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit oder durch
beides in die gute Gesellschaft des deutschen Sprachschatzes gekommen ist. Leider


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[0708] Die Bedeutung der Presse fiir die Kultur aller, die sich auf eine Revolution in Ungarn freuten, zunichte geworden, denn ohne Volksmassen auf den Straßen läßt sich so etwas nicht in Szene setzen. Außerdem macht sich auch heutzutage eine Revolution nicht so leicht wie vor fünfzig Jahren, und übrigens ist die Armee zuverlässig. Das Volk in seiner Masse hat kein Verständnis für die Herrschaftsträume der adlichen und der bürgerlichen Oligarchie, die sich aller Vorteile der an der Staatskrippe sitzenden Parteien erfreut, es will auch von der ungarischen Kommandosprache nichts wissen. Die von der herrschenden Partei ausgesvrochne Steuerverweigerung ist ein Schlag ins Wasser. Das seit den sechziger Jahren bekannte usw Ä-ioälliiK — „wir steuern nicht" hat in der Gegenwart seine Wirkung ver¬ loren, da vier Fünftel der Steuern auf indirekten Wege eingehoben werden, und das fehlende Fünftel gerade den vom Staate unterstützten Industrien und den zahlreichen Abgeordneten, die die Diäten nicht missen können, abgehn würde. Man braucht unter diesen Umstünde» den in einigen Komitaten in Szene gesetzten passiven Widerstand nicht zu tragisch zu nehmen. Das Ministerium Fejervary hat eine Reihe von Reformen in Aussicht gestellt, die der Masse des Volks nicht gleichgiltig sein können. Es ist darum für die herrschende Klasse Zeit, einzulenken, wenn sie überhaupt das Staatsruder wieder ergreifen will. Es ist möglich, daß sich der Konflikt, ähnlich wie in Preußen, jahrelang hinzieht, wahrscheinlicher ist aber, daß er bald einen theatralischen -y- Abschluß findet. Die Bedeutung der Presse für die Kultur (Schluß) !le ziemlich weitverbreitete Annahme, daß die überwiegende Be¬ nutzung des Telegraphen in der Herstellung des Inhalts der I Zeitung den Stil verschlechtert, was ja im Kulturinteresse sicherlich zu bedauern ist, wird kaum einem begründeten Widerspruch be¬ gegnen. Denn diese Verschlechterung ist eine notwendige Folge des ziemlich jähen Übergangs von dem verhältnismäßig unbeschränkten Wort¬ reichtum des gründlichen geschriebnen Zeitungsartikels zu der Notwendigkeit der Wortersparnis des telegraphischen Dienstes. Diese Notwendigkeit wird aber mit der Zeit neue Stilisten erziehn, die es lernen, mit wenig Worten auszukommen, was ja auch ein Segen sein kann. Schlimmer ist der Ein¬ fluß der Telegraphenagenturbureaus, weil sie durch willkürliche Wortbildungen im Interesse der Geldersparnis die Sprache verstümmeln und verschlechtern. Hierher gehören u. a. die Ausdrücke „der Attentäter" und „das Kaiserhoch," von denen sich besonders der erste wie ein häßlicher Flecken auf dem har¬ monischen Gewände unsrer Sprache ausnimmt. Man hat den Eindruck, daß er auf der Straße geboren und dann ungeachtet der ihm anhaftenden Roheit und Unwissenschaftlich^ durch Nachlässigkeit oder Bequemlichkeit oder durch beides in die gute Gesellschaft des deutschen Sprachschatzes gekommen ist. Leider

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296010/708>, abgerufen am 07.05.2024.