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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Elsaß - Lothringische Verfassungsfragen

meer diesem Titel veröffentlicht die Kreuzzeitung einen Stra߬
burger Brief, zu dem sie selbst bemerkt, daß sie gegen die darin
enthaltenen staatsrechtlichen Ideen schwere Bedenken hege, den
darin gemachten Vorschlag aber immerhin für bedeutsam genug
erachte, ihn zur Kenntnis ihrer Leser zu bringen.

Seit längerer Zeit ist von Elsaß-Lothringen aus eine eigentümliche Agi¬
tation ausgegangen, die äußerlich die vermeintliche Gleichstellung des Landes
mit den "übrigen deutscheu Bundesstaaten" zum Ziele nimmt, tatsächlich aber
doch nur auf eine Hebung der Stellung des Statthalters hinauskommt. Die
Gleichstellung Elsaß-Lothringens mit den "übrigen" Bundesstaaten, wie sie
dem -lourrml as Lotmar zufolge demnächst auch von den elsaß-lothringischen
Abgeordneten im Reichstage beantragt werden soll, und die zunächst auf die
Ausschließung vou Bundesrat und Reichstag von der Laudesgesetzgebung zielt,
ist eine keineswegs auf dem dortigen Boden erwachsne Idee. Sie wurzelt in
dem Bedürfnis nicht der Bevölkerung, sondern eines Teils des Beamtentums,
nicht von Berlin aus regiert zu werden und das Berliner Dreinreden aus der
Regierung und der Verwaltung des Landes möglichst auszuschließen. Schon
zu der Zeit des Oberpräsidenten Möller beherrschte der Gedanke "Los von
Berlin!" die maßgebenden Straßburger Kreise, es konnte selbstverständlich nicht
schwer fallen, hierfür eine Anzahl der politischen Stimmtrüger des Landes zu
erwärmen. Im Jahre 1877 hatte der Vorschlag, den damaligen Kronprinzen
mit der Statthalterschaft des Landes zu betrauen, bekanntlich ziemlich feste
Formen angenommen. Von Straßburg aus lag dieser Idee ebenfalls die
Erwägung zugrunde, in dem Kronprinzen dem allmächtigen Reichskanzler und
dem Berliner Reichskanzleramt einen nachhaltigen Riegel vorzuschieben; Bis-
marck wiederum suchte nach einem Ausweg, um die Verantwortlichkeit für die
Interim der elsaß-lothringischen Verwaltung loszuwerden. Wie die Verhält¬
nisse zwischen Straßburg und Berlin damals lagen, hat er selbst in einer
Reichstagsrede drastisch geschildert, als er die Straßburger und die Berliner
Behörden mit zwei Lokomotiven verglich, die aufeinander losfahren. Daneben
beschäftigte Bismarck der weitere Gedanke, dein Kronprinzen, dem bei seinen,
Lebensalter der Müßiggang und die Einslußlosigkeit, zu denen er sich ver¬
urteilt sah, unerträglich geworden waren, einen Wirkungskreis zu schaffen, in
dem er sich "fern von Berlin" in verhältnismäßiger Selbständigkeit betätigen
könnte. Auch die Beziehungen des Kronprinzen zu seinem Vater spielten
dabei eine Rolle. Daß Bismarck dabei nicht ganz ohne innere Bedenken war,
ergibt sich aus seinein Schriftwechsel mit dem Kronprinzen aus dem Jahre 1876




Elsaß - Lothringische Verfassungsfragen

meer diesem Titel veröffentlicht die Kreuzzeitung einen Stra߬
burger Brief, zu dem sie selbst bemerkt, daß sie gegen die darin
enthaltenen staatsrechtlichen Ideen schwere Bedenken hege, den
darin gemachten Vorschlag aber immerhin für bedeutsam genug
erachte, ihn zur Kenntnis ihrer Leser zu bringen.

Seit längerer Zeit ist von Elsaß-Lothringen aus eine eigentümliche Agi¬
tation ausgegangen, die äußerlich die vermeintliche Gleichstellung des Landes
mit den „übrigen deutscheu Bundesstaaten" zum Ziele nimmt, tatsächlich aber
doch nur auf eine Hebung der Stellung des Statthalters hinauskommt. Die
Gleichstellung Elsaß-Lothringens mit den „übrigen" Bundesstaaten, wie sie
dem -lourrml as Lotmar zufolge demnächst auch von den elsaß-lothringischen
Abgeordneten im Reichstage beantragt werden soll, und die zunächst auf die
Ausschließung vou Bundesrat und Reichstag von der Laudesgesetzgebung zielt,
ist eine keineswegs auf dem dortigen Boden erwachsne Idee. Sie wurzelt in
dem Bedürfnis nicht der Bevölkerung, sondern eines Teils des Beamtentums,
nicht von Berlin aus regiert zu werden und das Berliner Dreinreden aus der
Regierung und der Verwaltung des Landes möglichst auszuschließen. Schon
zu der Zeit des Oberpräsidenten Möller beherrschte der Gedanke „Los von
Berlin!" die maßgebenden Straßburger Kreise, es konnte selbstverständlich nicht
schwer fallen, hierfür eine Anzahl der politischen Stimmtrüger des Landes zu
erwärmen. Im Jahre 1877 hatte der Vorschlag, den damaligen Kronprinzen
mit der Statthalterschaft des Landes zu betrauen, bekanntlich ziemlich feste
Formen angenommen. Von Straßburg aus lag dieser Idee ebenfalls die
Erwägung zugrunde, in dem Kronprinzen dem allmächtigen Reichskanzler und
dem Berliner Reichskanzleramt einen nachhaltigen Riegel vorzuschieben; Bis-
marck wiederum suchte nach einem Ausweg, um die Verantwortlichkeit für die
Interim der elsaß-lothringischen Verwaltung loszuwerden. Wie die Verhält¬
nisse zwischen Straßburg und Berlin damals lagen, hat er selbst in einer
Reichstagsrede drastisch geschildert, als er die Straßburger und die Berliner
Behörden mit zwei Lokomotiven verglich, die aufeinander losfahren. Daneben
beschäftigte Bismarck der weitere Gedanke, dein Kronprinzen, dem bei seinen,
Lebensalter der Müßiggang und die Einslußlosigkeit, zu denen er sich ver¬
urteilt sah, unerträglich geworden waren, einen Wirkungskreis zu schaffen, in
dem er sich „fern von Berlin" in verhältnismäßiger Selbständigkeit betätigen
könnte. Auch die Beziehungen des Kronprinzen zu seinem Vater spielten
dabei eine Rolle. Daß Bismarck dabei nicht ganz ohne innere Bedenken war,
ergibt sich aus seinein Schriftwechsel mit dem Kronprinzen aus dem Jahre 1876


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/15>, abgerufen am 07.05.2024.