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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Der Dichterphilosoph des deutschen Volkes

glauben wir in ihren Zügen denselben Ausdruck zu finde". Vielleicht ist es
erlaubt, diese bescheidne Betrachtung mit den Worten aus einem Liede der Südsee
zu schließen:


Kurt Bruchmanu


Der Dichterphilosoph des deutschen Volkes

> nsre neue poetische Nativnalliteratur ist von Anbeginn kritisch und
philosophisch gerichtet -- schreibt Kuno Fischer. Wenn wir in
diesen Tagen, wo dem am meisten philosophischen unter den
deutschen Dichtern gehuldigt wird, über das Philosophische in
! seinem Wesen und Wirken einige Betrachtungen anstellen, so sollen
diese nicht etwa eine Darstellung seiner Philosophie sein. Eine solche wäre im
Umfange eines Grenzbotcnaufsatzes nicht möglich, und seitdem wir die von
Kuno Fischer haben, ist auch keine andre mehr nötig. Wir Wollen nur daran
erinnern, daß Schillers philosophische Abhandlungen zu den Schriften gehören,
die niemals veralten können, durch keine spätere Forschung überflüssig gemacht
werden, und daß ihr Studium gerade in der heutigen Zeit ein dringendes
Bedürfnis ist -- als ein Heilmittel für mehrerlei Scelenseuchen. Zwar hat
er seine Philosophie auch in seinen Gedichten und Dramen, und in diesen weit
wirkungsvoller, verkündigt, aber das volle Verständnis dieser poetischen Predigt
geht doch nur dem auf, der ihre wissenschaftliche Begründung in den Prosa¬
schriften kennt.

Daß Schiller, nach Kuno Fischer, in der Ästhetik nicht bloß als der erste
Lehrer der türkischen Philosophie, sondern anch als ihr erster Fortbildner er¬
scheint, ist nicht so zu versteh", als ob er bloß ein Jünger Kants wäre und
ohne diesen nichts gewesen sein würde. Schiller gehörte zu deu von Gott be¬
rufnen Propheten, die von Anfang an wissen, was sie zu verkündigen haben.
Nicht von andern hat er seine Weisheit empfangen; diese andern haben ihm
nur geholfen, sie zu entfalten. Garve, die Schotten Ferguson und Adam Smith
haben ihn angeregt, Kant hat seine Anschauungen geklärt, aber diese waren
seine Originalschöpfungen oder Eingebungen. Nicht die Probleme beschäftigten
ehr, mit deren Lösung unsre heutigen Naturphilosophen den Weltmechanismus
aufzudecken und dem Schöpfer sein Geheimnis abzuringen, wo nicht ins Hand¬
werk zu pfuschen vermeinen. Schiller verspottet die MetaPhysiker in witzigen
Epigrammen und schreibt in seinem reifsten philosophischen Werke, das Ge¬
heimnis der Verbindung von Geist und Körper könne weder der Physiker noch
der MetaPhysiker erkläre". "Das Selbstbewußtsein ist da, und zugleich mit
°esse" unveränderlicher Einheit ist das Gesetz der Einheit für alles, was für
den Menschen ist, und für alles, was durch ihn werden soll, für sein Er¬
kennen "ut Handeln aufgestellt. Nncntflichbar, unvcrfälschbar, unbegreiflich
stelle" die Begriffe von Wahrheit und Recht schon im Alter der Sinnlichkeit


Der Dichterphilosoph des deutschen Volkes

glauben wir in ihren Zügen denselben Ausdruck zu finde«. Vielleicht ist es
erlaubt, diese bescheidne Betrachtung mit den Worten aus einem Liede der Südsee
zu schließen:


Kurt Bruchmanu


Der Dichterphilosoph des deutschen Volkes

> nsre neue poetische Nativnalliteratur ist von Anbeginn kritisch und
philosophisch gerichtet — schreibt Kuno Fischer. Wenn wir in
diesen Tagen, wo dem am meisten philosophischen unter den
deutschen Dichtern gehuldigt wird, über das Philosophische in
! seinem Wesen und Wirken einige Betrachtungen anstellen, so sollen
diese nicht etwa eine Darstellung seiner Philosophie sein. Eine solche wäre im
Umfange eines Grenzbotcnaufsatzes nicht möglich, und seitdem wir die von
Kuno Fischer haben, ist auch keine andre mehr nötig. Wir Wollen nur daran
erinnern, daß Schillers philosophische Abhandlungen zu den Schriften gehören,
die niemals veralten können, durch keine spätere Forschung überflüssig gemacht
werden, und daß ihr Studium gerade in der heutigen Zeit ein dringendes
Bedürfnis ist — als ein Heilmittel für mehrerlei Scelenseuchen. Zwar hat
er seine Philosophie auch in seinen Gedichten und Dramen, und in diesen weit
wirkungsvoller, verkündigt, aber das volle Verständnis dieser poetischen Predigt
geht doch nur dem auf, der ihre wissenschaftliche Begründung in den Prosa¬
schriften kennt.

Daß Schiller, nach Kuno Fischer, in der Ästhetik nicht bloß als der erste
Lehrer der türkischen Philosophie, sondern anch als ihr erster Fortbildner er¬
scheint, ist nicht so zu versteh«, als ob er bloß ein Jünger Kants wäre und
ohne diesen nichts gewesen sein würde. Schiller gehörte zu deu von Gott be¬
rufnen Propheten, die von Anfang an wissen, was sie zu verkündigen haben.
Nicht von andern hat er seine Weisheit empfangen; diese andern haben ihm
nur geholfen, sie zu entfalten. Garve, die Schotten Ferguson und Adam Smith
haben ihn angeregt, Kant hat seine Anschauungen geklärt, aber diese waren
seine Originalschöpfungen oder Eingebungen. Nicht die Probleme beschäftigten
ehr, mit deren Lösung unsre heutigen Naturphilosophen den Weltmechanismus
aufzudecken und dem Schöpfer sein Geheimnis abzuringen, wo nicht ins Hand¬
werk zu pfuschen vermeinen. Schiller verspottet die MetaPhysiker in witzigen
Epigrammen und schreibt in seinem reifsten philosophischen Werke, das Ge¬
heimnis der Verbindung von Geist und Körper könne weder der Physiker noch
der MetaPhysiker erkläre». „Das Selbstbewußtsein ist da, und zugleich mit
°esse» unveränderlicher Einheit ist das Gesetz der Einheit für alles, was für
den Menschen ist, und für alles, was durch ihn werden soll, für sein Er¬
kennen «ut Handeln aufgestellt. Nncntflichbar, unvcrfälschbar, unbegreiflich
stelle« die Begriffe von Wahrheit und Recht schon im Alter der Sinnlichkeit


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[0247] Der Dichterphilosoph des deutschen Volkes glauben wir in ihren Zügen denselben Ausdruck zu finde«. Vielleicht ist es erlaubt, diese bescheidne Betrachtung mit den Worten aus einem Liede der Südsee zu schließen: Kurt Bruchmanu Der Dichterphilosoph des deutschen Volkes > nsre neue poetische Nativnalliteratur ist von Anbeginn kritisch und philosophisch gerichtet — schreibt Kuno Fischer. Wenn wir in diesen Tagen, wo dem am meisten philosophischen unter den deutschen Dichtern gehuldigt wird, über das Philosophische in ! seinem Wesen und Wirken einige Betrachtungen anstellen, so sollen diese nicht etwa eine Darstellung seiner Philosophie sein. Eine solche wäre im Umfange eines Grenzbotcnaufsatzes nicht möglich, und seitdem wir die von Kuno Fischer haben, ist auch keine andre mehr nötig. Wir Wollen nur daran erinnern, daß Schillers philosophische Abhandlungen zu den Schriften gehören, die niemals veralten können, durch keine spätere Forschung überflüssig gemacht werden, und daß ihr Studium gerade in der heutigen Zeit ein dringendes Bedürfnis ist — als ein Heilmittel für mehrerlei Scelenseuchen. Zwar hat er seine Philosophie auch in seinen Gedichten und Dramen, und in diesen weit wirkungsvoller, verkündigt, aber das volle Verständnis dieser poetischen Predigt geht doch nur dem auf, der ihre wissenschaftliche Begründung in den Prosa¬ schriften kennt. Daß Schiller, nach Kuno Fischer, in der Ästhetik nicht bloß als der erste Lehrer der türkischen Philosophie, sondern anch als ihr erster Fortbildner er¬ scheint, ist nicht so zu versteh«, als ob er bloß ein Jünger Kants wäre und ohne diesen nichts gewesen sein würde. Schiller gehörte zu deu von Gott be¬ rufnen Propheten, die von Anfang an wissen, was sie zu verkündigen haben. Nicht von andern hat er seine Weisheit empfangen; diese andern haben ihm nur geholfen, sie zu entfalten. Garve, die Schotten Ferguson und Adam Smith haben ihn angeregt, Kant hat seine Anschauungen geklärt, aber diese waren seine Originalschöpfungen oder Eingebungen. Nicht die Probleme beschäftigten ehr, mit deren Lösung unsre heutigen Naturphilosophen den Weltmechanismus aufzudecken und dem Schöpfer sein Geheimnis abzuringen, wo nicht ins Hand¬ werk zu pfuschen vermeinen. Schiller verspottet die MetaPhysiker in witzigen Epigrammen und schreibt in seinem reifsten philosophischen Werke, das Ge¬ heimnis der Verbindung von Geist und Körper könne weder der Physiker noch der MetaPhysiker erkläre». „Das Selbstbewußtsein ist da, und zugleich mit °esse» unveränderlicher Einheit ist das Gesetz der Einheit für alles, was für den Menschen ist, und für alles, was durch ihn werden soll, für sein Er¬ kennen «ut Handeln aufgestellt. Nncntflichbar, unvcrfälschbar, unbegreiflich stelle« die Begriffe von Wahrheit und Recht schon im Alter der Sinnlichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/247>, abgerufen am 07.05.2024.