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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Universitätsfragen in Rußland

das Ideal, das dem Leben entgegengestellt wird, und zu dem flüchtend wir Er-
quickung, Befreiung, Seligkeit finden sollen, doch eben nur ein Schatten ist, ein
wesenloser Schein. Kann dessen Beschauung beglücken? Freilich soll es nicht
beim müßigen Schauen bleiben; vom Schauen begeistert, soll, das Tote bildend
zu beseelen, tatenvoll der Genius entbrennen. Aber das von Natur beseelte
Gebilde, der Mensch einschließlich des Künstlers, bleibt hienieden unvollkommen
und trotz allem rastlosen Schaffen unbefriedigt, nud der zum Olymp empor¬
steigende Herakles überzeugt uns nicht; der ist doch selbst bloß ein poetisches
Bild, eine schattenhafte Gestalt. Gewiß ist es unmoralisch, das Gute um des
Lohnes, und nur um des Lohnes willen, sei es auch ein ewiger, zu tun, und
muß darum die Rücksicht auf das Jenseits von der höchsten Moral (wie oft
jedoch sind wir schon froh, eine ziemlich niedrige anzutreffen) ausgeschlossen
werden. Aber unsre Vernunft gibt sich nicht damit zufrieden, daß das Ideal
ewig nur ein wesenloser Schein bleiben oder es höchstens in toter Farbe und
in Marmor zu einem einigermaßen wesenhaften Dnsein bringen soll. Sie fordert,
daß es sich dereinst im lebendigen Material verwirkliche, im Menschen, was
hienieden nicht möglich ist. Und dort erst kann auch der Spieltrieb seine volle
Befriedigung finden, auf eine Weise, von der wir keine Vorstellung haben, die
aber der christliche Glaube als ewige Anschauung der höchsten Vollkommenheit,
also, wiederum Schillers Philosophie bestätigend, als Befriedigung des ästhe¬
tischen Triebes bezeichnet, der damit für den höchsten erklärt wird. Als ein
Spiel stellt, ganz im Sinne Schillers, eins der schönsten und merkwürdigsten
Kapitel der Bibel, das Leben des vollkommensten und darum freiesten Wesens
dar, der göttlichen Weisheit, mit der niemand anders gemeint ist als Gott selbst.
"Als er die Himmel bereitete, nach genauem Gesetz einen Kreis zog um die
Tiefen, als er dem Meer seine Grenze setzte, den Wassern ein Gesetz gab, ihre
Grenzen nicht zu überschreiten, da er die Gründe der Erde legte: da war ich
bei ihm als Ordncriu, und spielte vor ihm allezeit, und spielte auf dem Erd¬
kreis, und meine Lust ist, bei den Menschenkindern zu sein." Nur dann kann
uns der schöne Schein befriedigen, wenn er uns als das Abbild der höchsten
Realität und als die Verheißung ihres dereinstigen Besitzes gilt.




Universitätssragen in Rußland
(Schluß)

unen widern Mangel der heutigen russischen Universität muß
man in der wirklichen Zusammensetzung des Lehrkörpers, in
seiner Ergänzung und in der materiell nicht gesicherten Lage
! der Professoren suchen. Man sollte meinen, daß jede Universität
I das ernsteste Interesse habe, hervorragende Lehrer heranzuziehn,
weil man durch solche nur freiwillige Hörer an den Lehrstuhl fesselt --
unfreie kann man freilich zwingen, zu hören, wen man will- In Rußland istH^MTV


Universitätsfragen in Rußland

das Ideal, das dem Leben entgegengestellt wird, und zu dem flüchtend wir Er-
quickung, Befreiung, Seligkeit finden sollen, doch eben nur ein Schatten ist, ein
wesenloser Schein. Kann dessen Beschauung beglücken? Freilich soll es nicht
beim müßigen Schauen bleiben; vom Schauen begeistert, soll, das Tote bildend
zu beseelen, tatenvoll der Genius entbrennen. Aber das von Natur beseelte
Gebilde, der Mensch einschließlich des Künstlers, bleibt hienieden unvollkommen
und trotz allem rastlosen Schaffen unbefriedigt, nud der zum Olymp empor¬
steigende Herakles überzeugt uns nicht; der ist doch selbst bloß ein poetisches
Bild, eine schattenhafte Gestalt. Gewiß ist es unmoralisch, das Gute um des
Lohnes, und nur um des Lohnes willen, sei es auch ein ewiger, zu tun, und
muß darum die Rücksicht auf das Jenseits von der höchsten Moral (wie oft
jedoch sind wir schon froh, eine ziemlich niedrige anzutreffen) ausgeschlossen
werden. Aber unsre Vernunft gibt sich nicht damit zufrieden, daß das Ideal
ewig nur ein wesenloser Schein bleiben oder es höchstens in toter Farbe und
in Marmor zu einem einigermaßen wesenhaften Dnsein bringen soll. Sie fordert,
daß es sich dereinst im lebendigen Material verwirkliche, im Menschen, was
hienieden nicht möglich ist. Und dort erst kann auch der Spieltrieb seine volle
Befriedigung finden, auf eine Weise, von der wir keine Vorstellung haben, die
aber der christliche Glaube als ewige Anschauung der höchsten Vollkommenheit,
also, wiederum Schillers Philosophie bestätigend, als Befriedigung des ästhe¬
tischen Triebes bezeichnet, der damit für den höchsten erklärt wird. Als ein
Spiel stellt, ganz im Sinne Schillers, eins der schönsten und merkwürdigsten
Kapitel der Bibel, das Leben des vollkommensten und darum freiesten Wesens
dar, der göttlichen Weisheit, mit der niemand anders gemeint ist als Gott selbst.
„Als er die Himmel bereitete, nach genauem Gesetz einen Kreis zog um die
Tiefen, als er dem Meer seine Grenze setzte, den Wassern ein Gesetz gab, ihre
Grenzen nicht zu überschreiten, da er die Gründe der Erde legte: da war ich
bei ihm als Ordncriu, und spielte vor ihm allezeit, und spielte auf dem Erd¬
kreis, und meine Lust ist, bei den Menschenkindern zu sein." Nur dann kann
uns der schöne Schein befriedigen, wenn er uns als das Abbild der höchsten
Realität und als die Verheißung ihres dereinstigen Besitzes gilt.




Universitätssragen in Rußland
(Schluß)

unen widern Mangel der heutigen russischen Universität muß
man in der wirklichen Zusammensetzung des Lehrkörpers, in
seiner Ergänzung und in der materiell nicht gesicherten Lage
! der Professoren suchen. Man sollte meinen, daß jede Universität
I das ernsteste Interesse habe, hervorragende Lehrer heranzuziehn,
weil man durch solche nur freiwillige Hörer an den Lehrstuhl fesselt —
unfreie kann man freilich zwingen, zu hören, wen man will- In Rußland istH^MTV


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[0257] Universitätsfragen in Rußland das Ideal, das dem Leben entgegengestellt wird, und zu dem flüchtend wir Er- quickung, Befreiung, Seligkeit finden sollen, doch eben nur ein Schatten ist, ein wesenloser Schein. Kann dessen Beschauung beglücken? Freilich soll es nicht beim müßigen Schauen bleiben; vom Schauen begeistert, soll, das Tote bildend zu beseelen, tatenvoll der Genius entbrennen. Aber das von Natur beseelte Gebilde, der Mensch einschließlich des Künstlers, bleibt hienieden unvollkommen und trotz allem rastlosen Schaffen unbefriedigt, nud der zum Olymp empor¬ steigende Herakles überzeugt uns nicht; der ist doch selbst bloß ein poetisches Bild, eine schattenhafte Gestalt. Gewiß ist es unmoralisch, das Gute um des Lohnes, und nur um des Lohnes willen, sei es auch ein ewiger, zu tun, und muß darum die Rücksicht auf das Jenseits von der höchsten Moral (wie oft jedoch sind wir schon froh, eine ziemlich niedrige anzutreffen) ausgeschlossen werden. Aber unsre Vernunft gibt sich nicht damit zufrieden, daß das Ideal ewig nur ein wesenloser Schein bleiben oder es höchstens in toter Farbe und in Marmor zu einem einigermaßen wesenhaften Dnsein bringen soll. Sie fordert, daß es sich dereinst im lebendigen Material verwirkliche, im Menschen, was hienieden nicht möglich ist. Und dort erst kann auch der Spieltrieb seine volle Befriedigung finden, auf eine Weise, von der wir keine Vorstellung haben, die aber der christliche Glaube als ewige Anschauung der höchsten Vollkommenheit, also, wiederum Schillers Philosophie bestätigend, als Befriedigung des ästhe¬ tischen Triebes bezeichnet, der damit für den höchsten erklärt wird. Als ein Spiel stellt, ganz im Sinne Schillers, eins der schönsten und merkwürdigsten Kapitel der Bibel, das Leben des vollkommensten und darum freiesten Wesens dar, der göttlichen Weisheit, mit der niemand anders gemeint ist als Gott selbst. „Als er die Himmel bereitete, nach genauem Gesetz einen Kreis zog um die Tiefen, als er dem Meer seine Grenze setzte, den Wassern ein Gesetz gab, ihre Grenzen nicht zu überschreiten, da er die Gründe der Erde legte: da war ich bei ihm als Ordncriu, und spielte vor ihm allezeit, und spielte auf dem Erd¬ kreis, und meine Lust ist, bei den Menschenkindern zu sein." Nur dann kann uns der schöne Schein befriedigen, wenn er uns als das Abbild der höchsten Realität und als die Verheißung ihres dereinstigen Besitzes gilt. Universitätssragen in Rußland (Schluß) unen widern Mangel der heutigen russischen Universität muß man in der wirklichen Zusammensetzung des Lehrkörpers, in seiner Ergänzung und in der materiell nicht gesicherten Lage ! der Professoren suchen. Man sollte meinen, daß jede Universität I das ernsteste Interesse habe, hervorragende Lehrer heranzuziehn, weil man durch solche nur freiwillige Hörer an den Lehrstuhl fesselt — unfreie kann man freilich zwingen, zu hören, wen man will- In Rußland istH^MTV

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/257>, abgerufen am 08.05.2024.