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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Schulhaß und Lzeeresscheu

können. Mit den Gemeindeältesten würde er über den Leumund und die
Glaubwürdigkeit der Leute sprechen, kurz nach jeder Richtung würde er den
Fall persönlich aufzuklären haben. Jetzt, und wirklich jetzt erst, wäre er in
der Lage, sich ein einigermaßen klares Bild des Vorgangs zu machen und zu
beurteilen, wer in die Rolle des Angeklagten und des Zeugen zu versetzen sei.
Und so erst, mit der vollen Kenntnis des Geschehenen und der mitwirkenden
Personen, wäre er in der Lage, dem Gericht sachgemäß den Stoff zur Urteils¬
füllung zu unterbreiten. Es wäre hiermit die größte Schnelligkeit der Straf¬
verfolgung gewährleistet, mit der eine große Arbeitsersparnis Hand in Hand
gehn würde. Der Umstand, daß alle Ermittlungen alsbald und von geschulten
Beamten vorgenommen würden, würde endlich die Gewähr ihrer Gründlichkeit,
und soweit dies möglich wäre, der Nichtigkeit ihres Ergebnisses verbürgen.

Möchte die bevorstehende Umgestaltung des Strafprozesses uns die vor-
F. Llvers gcschlagne Vereinfachung des Ermittlungsverfahrens bringen.




^"chulhaß und Heeresscheu
von Ludwig Aemmer (Schluß)

üufzig Jahre bevor der Verfasser von "Jena oder Sedan?" als
Einjährig-Freiwilliger eines sächsischen Feldartillerieregiments die
Erfahrungen machte, die ihm die Scheu vor dem Heere einge¬
flößt haben, hat ein andrer deutscher Dichter in einem preußischen
Infanterieregiment seiner Wehrpflicht genügt. Er hatte sich um
ein akademisches Lehramt beworben und dadurch ohne jede böse Absicht die
rechte Zeit, seiner Dienstpflicht als Einjährig-Freiwilliger zu genügen, ver¬
säumt. Er wurde als "säumiger Cantonist" behandelt und vor der Erscch-
kommission, unter dem Meßapparat, als Gemeiner für den dreijährigen Dienst
vereidigt. Als er den Termin zum Eintritt infolge einer Erkrankung nicht
einhalten konnte, ordnete die Ersatztommission, obwohl ein amtsärztliches Zeugnis
seine Erkrankung bestätigte, an, daß er per Schuh zu seinem Regimente ge¬
schafft werden solle. Krank rückte er in Breslau ein, wurde vom Regimentsarzt
behandelt, bis er dienstfähig wurde, und dann im Schmuck der inzwischen vom
König wieder bewilligten schwarz-weißen Schnur gedrillt. Er "gewann reichlich
Gelegenheit, das Kleinleben der Kaserne kennen zu lernen, chargierte und sprang
im Bajonettfechten jedem Feinde verderblich umher, und merkte, daß diese Turn¬
übung für ihn von dauerndem Nutzen sein könne." Er hatte wohl einen Oberst
von Falkenhein, aber keinen Hauptmann von Wegstetten oder Güntz gefunden-
Sein Hauptmann, "ein alter Knabe, der seit dem Jahre 1813 ohne gute Aus¬
sichten für sich in Dienst stand, und als Bärbeiß übel beleumundet war," ließ
ihn, als er sich beim Exerzieren "in dem dünnen Anzug, wie er damals war,
und wie ihn der Hauptmann befahl," erkältet hatte, als Simulanten aus seiner


Schulhaß und Lzeeresscheu

können. Mit den Gemeindeältesten würde er über den Leumund und die
Glaubwürdigkeit der Leute sprechen, kurz nach jeder Richtung würde er den
Fall persönlich aufzuklären haben. Jetzt, und wirklich jetzt erst, wäre er in
der Lage, sich ein einigermaßen klares Bild des Vorgangs zu machen und zu
beurteilen, wer in die Rolle des Angeklagten und des Zeugen zu versetzen sei.
Und so erst, mit der vollen Kenntnis des Geschehenen und der mitwirkenden
Personen, wäre er in der Lage, dem Gericht sachgemäß den Stoff zur Urteils¬
füllung zu unterbreiten. Es wäre hiermit die größte Schnelligkeit der Straf¬
verfolgung gewährleistet, mit der eine große Arbeitsersparnis Hand in Hand
gehn würde. Der Umstand, daß alle Ermittlungen alsbald und von geschulten
Beamten vorgenommen würden, würde endlich die Gewähr ihrer Gründlichkeit,
und soweit dies möglich wäre, der Nichtigkeit ihres Ergebnisses verbürgen.

Möchte die bevorstehende Umgestaltung des Strafprozesses uns die vor-
F. Llvers gcschlagne Vereinfachung des Ermittlungsverfahrens bringen.




^»chulhaß und Heeresscheu
von Ludwig Aemmer (Schluß)

üufzig Jahre bevor der Verfasser von „Jena oder Sedan?" als
Einjährig-Freiwilliger eines sächsischen Feldartillerieregiments die
Erfahrungen machte, die ihm die Scheu vor dem Heere einge¬
flößt haben, hat ein andrer deutscher Dichter in einem preußischen
Infanterieregiment seiner Wehrpflicht genügt. Er hatte sich um
ein akademisches Lehramt beworben und dadurch ohne jede böse Absicht die
rechte Zeit, seiner Dienstpflicht als Einjährig-Freiwilliger zu genügen, ver¬
säumt. Er wurde als „säumiger Cantonist" behandelt und vor der Erscch-
kommission, unter dem Meßapparat, als Gemeiner für den dreijährigen Dienst
vereidigt. Als er den Termin zum Eintritt infolge einer Erkrankung nicht
einhalten konnte, ordnete die Ersatztommission, obwohl ein amtsärztliches Zeugnis
seine Erkrankung bestätigte, an, daß er per Schuh zu seinem Regimente ge¬
schafft werden solle. Krank rückte er in Breslau ein, wurde vom Regimentsarzt
behandelt, bis er dienstfähig wurde, und dann im Schmuck der inzwischen vom
König wieder bewilligten schwarz-weißen Schnur gedrillt. Er „gewann reichlich
Gelegenheit, das Kleinleben der Kaserne kennen zu lernen, chargierte und sprang
im Bajonettfechten jedem Feinde verderblich umher, und merkte, daß diese Turn¬
übung für ihn von dauerndem Nutzen sein könne." Er hatte wohl einen Oberst
von Falkenhein, aber keinen Hauptmann von Wegstetten oder Güntz gefunden-
Sein Hauptmann, „ein alter Knabe, der seit dem Jahre 1813 ohne gute Aus¬
sichten für sich in Dienst stand, und als Bärbeiß übel beleumundet war," ließ
ihn, als er sich beim Exerzieren „in dem dünnen Anzug, wie er damals war,
und wie ihn der Hauptmann befahl," erkältet hatte, als Simulanten aus seiner


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[0366] Schulhaß und Lzeeresscheu können. Mit den Gemeindeältesten würde er über den Leumund und die Glaubwürdigkeit der Leute sprechen, kurz nach jeder Richtung würde er den Fall persönlich aufzuklären haben. Jetzt, und wirklich jetzt erst, wäre er in der Lage, sich ein einigermaßen klares Bild des Vorgangs zu machen und zu beurteilen, wer in die Rolle des Angeklagten und des Zeugen zu versetzen sei. Und so erst, mit der vollen Kenntnis des Geschehenen und der mitwirkenden Personen, wäre er in der Lage, dem Gericht sachgemäß den Stoff zur Urteils¬ füllung zu unterbreiten. Es wäre hiermit die größte Schnelligkeit der Straf¬ verfolgung gewährleistet, mit der eine große Arbeitsersparnis Hand in Hand gehn würde. Der Umstand, daß alle Ermittlungen alsbald und von geschulten Beamten vorgenommen würden, würde endlich die Gewähr ihrer Gründlichkeit, und soweit dies möglich wäre, der Nichtigkeit ihres Ergebnisses verbürgen. Möchte die bevorstehende Umgestaltung des Strafprozesses uns die vor- F. Llvers gcschlagne Vereinfachung des Ermittlungsverfahrens bringen. ^»chulhaß und Heeresscheu von Ludwig Aemmer (Schluß) üufzig Jahre bevor der Verfasser von „Jena oder Sedan?" als Einjährig-Freiwilliger eines sächsischen Feldartillerieregiments die Erfahrungen machte, die ihm die Scheu vor dem Heere einge¬ flößt haben, hat ein andrer deutscher Dichter in einem preußischen Infanterieregiment seiner Wehrpflicht genügt. Er hatte sich um ein akademisches Lehramt beworben und dadurch ohne jede böse Absicht die rechte Zeit, seiner Dienstpflicht als Einjährig-Freiwilliger zu genügen, ver¬ säumt. Er wurde als „säumiger Cantonist" behandelt und vor der Erscch- kommission, unter dem Meßapparat, als Gemeiner für den dreijährigen Dienst vereidigt. Als er den Termin zum Eintritt infolge einer Erkrankung nicht einhalten konnte, ordnete die Ersatztommission, obwohl ein amtsärztliches Zeugnis seine Erkrankung bestätigte, an, daß er per Schuh zu seinem Regimente ge¬ schafft werden solle. Krank rückte er in Breslau ein, wurde vom Regimentsarzt behandelt, bis er dienstfähig wurde, und dann im Schmuck der inzwischen vom König wieder bewilligten schwarz-weißen Schnur gedrillt. Er „gewann reichlich Gelegenheit, das Kleinleben der Kaserne kennen zu lernen, chargierte und sprang im Bajonettfechten jedem Feinde verderblich umher, und merkte, daß diese Turn¬ übung für ihn von dauerndem Nutzen sein könne." Er hatte wohl einen Oberst von Falkenhein, aber keinen Hauptmann von Wegstetten oder Güntz gefunden- Sein Hauptmann, „ein alter Knabe, der seit dem Jahre 1813 ohne gute Aus¬ sichten für sich in Dienst stand, und als Bärbeiß übel beleumundet war," ließ ihn, als er sich beim Exerzieren „in dem dünnen Anzug, wie er damals war, und wie ihn der Hauptmann befahl," erkältet hatte, als Simulanten aus seiner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/366>, abgerufen am 07.05.2024.