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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Volkswohlfahrtspflege für die Gesunden

hören, die Weltherrschaft gehören wird, wenn wir zusammenstehn und nicht
zur Freude Englands, Frankreichs oder Japans getrennte Wege verfolgen,
liegt auf der Hand. Schon das fundamentale Gesetz der Selbsterhaltung
sollte uns zusammenführen, ganz abgesehen davon, daß eine Annäherung auch
wirtschaftlich die günstigsten Folgen für beide Länder haben würde. Wir
nehmen den Amerikanern für eine Milliarde Mark Waren ab und liefern
ihnen solche im Werte von einer halben Milliarde. Es ist sehr wohl denk¬
bar, daß wir in Zukunft noch einen großen Teil der Waren, die wir beider¬
seits jetzt mit England austauschen, künftighin bei einer entsprechenden
Gestaltung unsers Handelsvertrags uns einander liefern und unsern Handels¬
umsatz lukrativer gestalten könnten. Wirtschaftliche Gewinne würden also
Hand in Hand gehn mit der durch unsre politische Annäherung mit fast abso¬
luter Sicherheit erreichten Sicherung des Weltfriedens, von dem allein unsre
Zukunft abhängt. Was des Zaren Abrüstungsvorschlag auf der Haager
Konferenz nicht vermocht hat, was alle Friedensvereine der Erde nicht zustande
bringen werden, das wird sich aus einem politischen Nückversicherungsvertrage
der Vereinigten Staaten und Deutschlands ergeben: die Kriege werden nicht
aufhören, aber sie werden seltner, ja für absehbare Zeit sogar fast unmöglich
werden. Wie einst die pg.x roiug-na wird eine xg,x tsutonioa herrschen.




Volkswohlfahrtspflege für die Gesunden

WT! chließlich steht und fällt die Zukunft unsers Vaterlandes doch mit
der Frage, ob es gelingt, ein in der Hygiene nicht verweichlichtes
und verzärteltes, sondern ein körperlich derbes, den Unbilden der
Natur und der Arbeit gewachsnes Geschlecht heranzuziehn, und
!ob es möglich ist, in diesem oorxus faulen eine sana insng zu¬
stande zu bringen, d. h. eine lusus, in der das Bildungsbedürfnis nicht mit
der letzten Klasse der Volksschule abschließt, sondern der die Ausbildung natio¬
naler Charakterstärke selbstverständliche Lebensaufgabe ist, die in dem für jeden
notwendigen und berechtigten Drange nach Lebenslust und Lebensfreude, in der
Veredlung des Vergnügens keinen Abbruch, sondern einen Zuwachs erhält!

So sprach am 6. April dieses Jahres im preußischen Abgeordnetenhause
der neue Minister des Innern, von Bethmann-Hollweg, bei der Beratung des
Antrags auf Errichtung eines Vvlkswohlfahrtsamts. "Ein in der Hygiene
nicht verweichlichtes und verzärteltes Geschlecht!"

Damit ist der Finger in eine bedenkliche Wunde gelegt. Der Redner
selbst hat sich gegen den Verdacht verwahrt, als wolle er raten, in der Für¬
sorge für die Schwachen und Kranken nachzulassen; er will nur ernähren, in
der Fürsorge für die Gesunden Unterlassenes nachzuholen. Aber liegt nicht in
dem Hinweise auf die Unterlassung der Vorwurf einer schädlichen Einseitigkeit
gegen die bisherige soziale Fürsorge? Es wäre töricht, ihn kurzweg für grünt-


Volkswohlfahrtspflege für die Gesunden

hören, die Weltherrschaft gehören wird, wenn wir zusammenstehn und nicht
zur Freude Englands, Frankreichs oder Japans getrennte Wege verfolgen,
liegt auf der Hand. Schon das fundamentale Gesetz der Selbsterhaltung
sollte uns zusammenführen, ganz abgesehen davon, daß eine Annäherung auch
wirtschaftlich die günstigsten Folgen für beide Länder haben würde. Wir
nehmen den Amerikanern für eine Milliarde Mark Waren ab und liefern
ihnen solche im Werte von einer halben Milliarde. Es ist sehr wohl denk¬
bar, daß wir in Zukunft noch einen großen Teil der Waren, die wir beider¬
seits jetzt mit England austauschen, künftighin bei einer entsprechenden
Gestaltung unsers Handelsvertrags uns einander liefern und unsern Handels¬
umsatz lukrativer gestalten könnten. Wirtschaftliche Gewinne würden also
Hand in Hand gehn mit der durch unsre politische Annäherung mit fast abso¬
luter Sicherheit erreichten Sicherung des Weltfriedens, von dem allein unsre
Zukunft abhängt. Was des Zaren Abrüstungsvorschlag auf der Haager
Konferenz nicht vermocht hat, was alle Friedensvereine der Erde nicht zustande
bringen werden, das wird sich aus einem politischen Nückversicherungsvertrage
der Vereinigten Staaten und Deutschlands ergeben: die Kriege werden nicht
aufhören, aber sie werden seltner, ja für absehbare Zeit sogar fast unmöglich
werden. Wie einst die pg.x roiug-na wird eine xg,x tsutonioa herrschen.




Volkswohlfahrtspflege für die Gesunden

WT! chließlich steht und fällt die Zukunft unsers Vaterlandes doch mit
der Frage, ob es gelingt, ein in der Hygiene nicht verweichlichtes
und verzärteltes, sondern ein körperlich derbes, den Unbilden der
Natur und der Arbeit gewachsnes Geschlecht heranzuziehn, und
!ob es möglich ist, in diesem oorxus faulen eine sana insng zu¬
stande zu bringen, d. h. eine lusus, in der das Bildungsbedürfnis nicht mit
der letzten Klasse der Volksschule abschließt, sondern der die Ausbildung natio¬
naler Charakterstärke selbstverständliche Lebensaufgabe ist, die in dem für jeden
notwendigen und berechtigten Drange nach Lebenslust und Lebensfreude, in der
Veredlung des Vergnügens keinen Abbruch, sondern einen Zuwachs erhält!

So sprach am 6. April dieses Jahres im preußischen Abgeordnetenhause
der neue Minister des Innern, von Bethmann-Hollweg, bei der Beratung des
Antrags auf Errichtung eines Vvlkswohlfahrtsamts. „Ein in der Hygiene
nicht verweichlichtes und verzärteltes Geschlecht!"

Damit ist der Finger in eine bedenkliche Wunde gelegt. Der Redner
selbst hat sich gegen den Verdacht verwahrt, als wolle er raten, in der Für¬
sorge für die Schwachen und Kranken nachzulassen; er will nur ernähren, in
der Fürsorge für die Gesunden Unterlassenes nachzuholen. Aber liegt nicht in
dem Hinweise auf die Unterlassung der Vorwurf einer schädlichen Einseitigkeit
gegen die bisherige soziale Fürsorge? Es wäre töricht, ihn kurzweg für grünt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/470>, abgerufen am 08.05.2024.