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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Ein Dresdner Don I>MII

Obrigkeiten oder Münch und Pfaffen schelten, und ihren Widerparten oder
Abgünstigen einen Schwitz geben." In der Kirche beschäftige man sich nur
mit den Anwesenden; in den Schulen sei es freilich Sitte, auch der Abwesenden
zu gedenken, indem man das Verzeichnis der Fehlenden verlese.




Gin Dresdner Don Juan
i

!is ich vor einigen Wochen das Dresdner Opernhaus nach einer
Aufführung des Mozartschen Don Juan verließ, war es mir
wieder recht klar, wie teuer wir den Genuß, den uns das
moderne Musikdrama gewährt, auf andern Gebieten bezahlen.
IDen besondern Anforderungen zu genügen, die eine Oper wie
der vissoluto xuuiw an die Leistungen der Solisten im Gesang und in der
Schauspielerkunst stellt, liegt heutzutage für die meisten Bühnen außer dem
Bereiche der Möglichkeit. Das gespreizte heldenmäßige, reflektierende und
bramarbasierende Deklamieren hat jede andre Vortragsweise so an die Wand
gedrängt, daß der sich dem Gesprächston und einem raschen, leichten Wechsel
der Stimmungen und Gefühle anpassende Gesang, der jedoch noch immer
eine überaus sorgfältige, sich nur hinter einer scheinbaren Ungezwungenheit
verbergende Phrasierung voraussetzt, in unsern Tagen mehr und mehr zu den
Seltenheiten gehört. Beinahe noch schlimmer steht es mit dem für den bei
"auto unentbehrlichen Schmelz der Stimmen und mit der gesangskünstlerischcn
Bewältigung der zwar sämtlich in bequemer Stimmlage liegenden, aber infolge
der besondern Feinheit der Stimmenbehandlung außerordentliche Schwierig¬
keiten bietenden einzelnen Partien, von denen in der Regel aus naheliegenden
Gründen die des Commendatore deutschen Sängern am besten gelingt.

Nach einer vor einigen Jahren von europäischen Gesangskoryphüen für
die ersten Kreise der Pariser Gesellschaft veranstalteten Privataufführung des
Don Giovanni machte ein als Musikkenner hohes Ansehen genießender, sehr
liebenswürdiger Mann die nicht als abfüllige Kritik gemeinte Bemerkung. der
Don Juan sei ein furchtbarer Prüfstein, uns xierrs ac toueks terribls. Und
das ist er auch in der Tat, und zwar ein doppelt furchtbarer Prüfstein für
die große Mehrzahl der deutschen Sänger, die für die Wiedergabe der zum
Teil anscheinend so harmlosen Rollen weniger glücklich begabt sind als zum
Beispiel die Italiener, und denen es nur in seltnen Fällen gelingt, die vor¬
nehme anmutige Hoheit und Ruhe Don Ottcwios und Donna Annas, die
leidenschaftliche und doch mit beleidigtem weiblichem Stolz und feinstem sitt¬
lichem Gefühl in stetem Kampfe liegende Verliebtheit Donna Elviras. die
reizende Naivität des Banernpnrchens Mahadeo-Zerlina, die zwischen Furcht
und Übermut, Botmäßigkeit und Abfall, Wahrheit und Lüge hin und her
schwankende Schalkheit des, wie sich die Spanier ausdrücken, laog^o Arg,vio8o


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Obrigkeiten oder Münch und Pfaffen schelten, und ihren Widerparten oder
Abgünstigen einen Schwitz geben." In der Kirche beschäftige man sich nur
mit den Anwesenden; in den Schulen sei es freilich Sitte, auch der Abwesenden
zu gedenken, indem man das Verzeichnis der Fehlenden verlese.




Gin Dresdner Don Juan
i

!is ich vor einigen Wochen das Dresdner Opernhaus nach einer
Aufführung des Mozartschen Don Juan verließ, war es mir
wieder recht klar, wie teuer wir den Genuß, den uns das
moderne Musikdrama gewährt, auf andern Gebieten bezahlen.
IDen besondern Anforderungen zu genügen, die eine Oper wie
der vissoluto xuuiw an die Leistungen der Solisten im Gesang und in der
Schauspielerkunst stellt, liegt heutzutage für die meisten Bühnen außer dem
Bereiche der Möglichkeit. Das gespreizte heldenmäßige, reflektierende und
bramarbasierende Deklamieren hat jede andre Vortragsweise so an die Wand
gedrängt, daß der sich dem Gesprächston und einem raschen, leichten Wechsel
der Stimmungen und Gefühle anpassende Gesang, der jedoch noch immer
eine überaus sorgfältige, sich nur hinter einer scheinbaren Ungezwungenheit
verbergende Phrasierung voraussetzt, in unsern Tagen mehr und mehr zu den
Seltenheiten gehört. Beinahe noch schlimmer steht es mit dem für den bei
«auto unentbehrlichen Schmelz der Stimmen und mit der gesangskünstlerischcn
Bewältigung der zwar sämtlich in bequemer Stimmlage liegenden, aber infolge
der besondern Feinheit der Stimmenbehandlung außerordentliche Schwierig¬
keiten bietenden einzelnen Partien, von denen in der Regel aus naheliegenden
Gründen die des Commendatore deutschen Sängern am besten gelingt.

Nach einer vor einigen Jahren von europäischen Gesangskoryphüen für
die ersten Kreise der Pariser Gesellschaft veranstalteten Privataufführung des
Don Giovanni machte ein als Musikkenner hohes Ansehen genießender, sehr
liebenswürdiger Mann die nicht als abfüllige Kritik gemeinte Bemerkung. der
Don Juan sei ein furchtbarer Prüfstein, uns xierrs ac toueks terribls. Und
das ist er auch in der Tat, und zwar ein doppelt furchtbarer Prüfstein für
die große Mehrzahl der deutschen Sänger, die für die Wiedergabe der zum
Teil anscheinend so harmlosen Rollen weniger glücklich begabt sind als zum
Beispiel die Italiener, und denen es nur in seltnen Fällen gelingt, die vor¬
nehme anmutige Hoheit und Ruhe Don Ottcwios und Donna Annas, die
leidenschaftliche und doch mit beleidigtem weiblichem Stolz und feinstem sitt¬
lichem Gefühl in stetem Kampfe liegende Verliebtheit Donna Elviras. die
reizende Naivität des Banernpnrchens Mahadeo-Zerlina, die zwischen Furcht
und Übermut, Botmäßigkeit und Abfall, Wahrheit und Lüge hin und her
schwankende Schalkheit des, wie sich die Spanier ausdrücken, laog^o Arg,vio8o


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/659>, abgerufen am 07.05.2024.