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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Zur Frage der großstädtischen personalsteuer
von A. Mahlke

n Heft 17 dieser Zeitschrift beide ich die Einführung einer
Personalsteuer in den Großstädten vorgeschlagen. Diese Steuer
sollte von jedem Arbeitgeber für den Kopf des von ihm be¬
schäftigten Personals entrichtet und nach der Größe der Städte
abgestuft werden. Die höhern Stufen, die in den größern Städten
gefordert würden, sollten erst nach angemessenen Zeiträumen erhoben werden,
damit sich das Wirtschaftsleben dieser Maßregel allmählich anpassen könnte.
Der Zweck dieser Steuer besteht darin, die Industrie zu einer weitern Über¬
siedlung aus den Großstädten in die Kleinstädte und ans das Land zu veran¬
lassen und auf diese Weise das Wachstum der Großstädte einigermaßen ein¬
zuschränken.

Dieser Vorschlag hat in einem großen Teile der deutschen Presse Wider¬
spruch gefunden, aber der Widerspruch ist nirgends sachlich begründet worden.
Die meisten Zeitungen haben den Vorschlag in der Art entstellt wiedergegeben,
daß sie behaupteten, die Maßregel bezwecke, die Industrie aus den Großstädten
Zu vertreiben. Hiervon kann im Ernste gar keine Rede sein, denn die vor¬
geschlagnen Steuersätze sind viel zu niedrig, als daß sie auf die Industrie
direkt einen wirtschaftlichen Zwang auszuüben vermöchten. Eine Maßregel,
die in solcher Weise eine Entvölkerung der Großstädte herbeiführen könnte,
würde mit Recht die größten Bedenken finden.

Eine Entwertung des großstädtischen Grundbesitzes muß unbedingt ver¬
mieden werden, denu dadurch würde eine schwere Wirtschaftskatastrophc ver¬
ursacht, die zu einem allgemeinen Zusammenbruch führen könnte. Abgesehen
von den ungeheuern Summen, die als Hypotheken von Privatpersonen in
städtischen Grundstücken eingetragen sind, haben wir in Deutschland den Betrag
von zehn Milliarden Mark in Pfandbriefen der Hypothekenbanken, für die der
Wert des städtischen Grundbesitzes die Sicherheit ist. Die Vernichtung dieser
Kapitalsummen würde ganz unübersehbare Folgen haben. Die Großstädte
müssen also in ihrer jetzigen Größe erhalten bleiben und müssen auch weiter
wachsen, damit sie imstande sind, ihren Aufgaben im Staats- und Wirtschafts¬
leben zu genügen; nur ist es wünschenswert, daß dies nicht in demselben


Grenzboten II 1905 83


Zur Frage der großstädtischen personalsteuer
von A. Mahlke

n Heft 17 dieser Zeitschrift beide ich die Einführung einer
Personalsteuer in den Großstädten vorgeschlagen. Diese Steuer
sollte von jedem Arbeitgeber für den Kopf des von ihm be¬
schäftigten Personals entrichtet und nach der Größe der Städte
abgestuft werden. Die höhern Stufen, die in den größern Städten
gefordert würden, sollten erst nach angemessenen Zeiträumen erhoben werden,
damit sich das Wirtschaftsleben dieser Maßregel allmählich anpassen könnte.
Der Zweck dieser Steuer besteht darin, die Industrie zu einer weitern Über¬
siedlung aus den Großstädten in die Kleinstädte und ans das Land zu veran¬
lassen und auf diese Weise das Wachstum der Großstädte einigermaßen ein¬
zuschränken.

Dieser Vorschlag hat in einem großen Teile der deutschen Presse Wider¬
spruch gefunden, aber der Widerspruch ist nirgends sachlich begründet worden.
Die meisten Zeitungen haben den Vorschlag in der Art entstellt wiedergegeben,
daß sie behaupteten, die Maßregel bezwecke, die Industrie aus den Großstädten
Zu vertreiben. Hiervon kann im Ernste gar keine Rede sein, denn die vor¬
geschlagnen Steuersätze sind viel zu niedrig, als daß sie auf die Industrie
direkt einen wirtschaftlichen Zwang auszuüben vermöchten. Eine Maßregel,
die in solcher Weise eine Entvölkerung der Großstädte herbeiführen könnte,
würde mit Recht die größten Bedenken finden.

Eine Entwertung des großstädtischen Grundbesitzes muß unbedingt ver¬
mieden werden, denu dadurch würde eine schwere Wirtschaftskatastrophc ver¬
ursacht, die zu einem allgemeinen Zusammenbruch führen könnte. Abgesehen
von den ungeheuern Summen, die als Hypotheken von Privatpersonen in
städtischen Grundstücken eingetragen sind, haben wir in Deutschland den Betrag
von zehn Milliarden Mark in Pfandbriefen der Hypothekenbanken, für die der
Wert des städtischen Grundbesitzes die Sicherheit ist. Die Vernichtung dieser
Kapitalsummen würde ganz unübersehbare Folgen haben. Die Großstädte
müssen also in ihrer jetzigen Größe erhalten bleiben und müssen auch weiter
wachsen, damit sie imstande sind, ihren Aufgaben im Staats- und Wirtschafts¬
leben zu genügen; nur ist es wünschenswert, daß dies nicht in demselben


Grenzboten II 1905 83
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[0693] [Abbildung] Zur Frage der großstädtischen personalsteuer von A. Mahlke n Heft 17 dieser Zeitschrift beide ich die Einführung einer Personalsteuer in den Großstädten vorgeschlagen. Diese Steuer sollte von jedem Arbeitgeber für den Kopf des von ihm be¬ schäftigten Personals entrichtet und nach der Größe der Städte abgestuft werden. Die höhern Stufen, die in den größern Städten gefordert würden, sollten erst nach angemessenen Zeiträumen erhoben werden, damit sich das Wirtschaftsleben dieser Maßregel allmählich anpassen könnte. Der Zweck dieser Steuer besteht darin, die Industrie zu einer weitern Über¬ siedlung aus den Großstädten in die Kleinstädte und ans das Land zu veran¬ lassen und auf diese Weise das Wachstum der Großstädte einigermaßen ein¬ zuschränken. Dieser Vorschlag hat in einem großen Teile der deutschen Presse Wider¬ spruch gefunden, aber der Widerspruch ist nirgends sachlich begründet worden. Die meisten Zeitungen haben den Vorschlag in der Art entstellt wiedergegeben, daß sie behaupteten, die Maßregel bezwecke, die Industrie aus den Großstädten Zu vertreiben. Hiervon kann im Ernste gar keine Rede sein, denn die vor¬ geschlagnen Steuersätze sind viel zu niedrig, als daß sie auf die Industrie direkt einen wirtschaftlichen Zwang auszuüben vermöchten. Eine Maßregel, die in solcher Weise eine Entvölkerung der Großstädte herbeiführen könnte, würde mit Recht die größten Bedenken finden. Eine Entwertung des großstädtischen Grundbesitzes muß unbedingt ver¬ mieden werden, denu dadurch würde eine schwere Wirtschaftskatastrophc ver¬ ursacht, die zu einem allgemeinen Zusammenbruch führen könnte. Abgesehen von den ungeheuern Summen, die als Hypotheken von Privatpersonen in städtischen Grundstücken eingetragen sind, haben wir in Deutschland den Betrag von zehn Milliarden Mark in Pfandbriefen der Hypothekenbanken, für die der Wert des städtischen Grundbesitzes die Sicherheit ist. Die Vernichtung dieser Kapitalsummen würde ganz unübersehbare Folgen haben. Die Großstädte müssen also in ihrer jetzigen Größe erhalten bleiben und müssen auch weiter wachsen, damit sie imstande sind, ihren Aufgaben im Staats- und Wirtschafts¬ leben zu genügen; nur ist es wünschenswert, daß dies nicht in demselben Grenzboten II 1905 83

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/693>, abgerufen am 08.05.2024.