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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr.

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Gin Dresdner Don Juan
2

in guter Leporello kann einer mittelmüßigen Don Juanaufführung
in dem Sinne aufhelfen, daß man sich, wenn einen die vier
seinen Leute und das Bcmernpürchen nicht befriedigen, am Buffo und
an den für ihn zurechtgemachten urkomischen Lagen schadlos hält.
Wenn aber der Künstler, der den Leporello singt, von Anfang bis
zu Ende ernst bleibt wie -- um das wie zu kennzeichnen, haben die Franzosen
einen Ausdruck, der in der Rsvus ass äsux inonäss keine Aufnahme finden
würde --, und wenn das schallende Gelächter, das aus den Reihen der bla¬
siertesten Opernbesucher immer von neuem hervorzubrechen pflegte, solange
Lablache oder Rossi auf der Bühne waren, völlig ausbleibt, so glaubt man
nur die Mumie der Mozartschen Oper vor sich zu haben und sieht mit Bangen
dem Augenblick entgegen, wo Partitur, Sänger, der für die Abholung ohnehin
reife Chor, Dirigent und Bude mit dem Commendatore in der Versenkung
verschwinden werden.

Eine Beschreibung, wie es der Sänger anzufangen hat, zündenden Humor
zu entwickeln, wird der Leser schwerlich erwarten. Um Humor zu entwickeln,
muß man ihn haben, was bekanntlich nicht jedermanns Sache ist, und damit
er sich anmutig gestalte, muß man entweder von Natur außergewöhnlich glück¬
lich angelegt oder sehr gebildet sein: jugendlicher Humor ist der beste, weil er
naturwüchsig ist und gern von den Charitinnen begleitet und vor zu derben
Auswüchsen behütet wird. Der etwas derbere Humor ist mehr Sache des
Engländers und des Deutschen, obgleich jener diesem nachsagt, tuae us vari't
8es g. joies, der feinere liegt dem Naturell des Franzosen und namentlich des
Jtalieners besonders nahe. Daß der Grazioso jung sein muß, liegt auf der
Hand: Hasenfüßigkeit, die, wie schon der Name Leporello andeutet, die schwache
Seite des Don Jucmschen Dieners und Vertrauten ist, sieht man einem jungen
Kerl mit Vergnügen nach, wenn sie in drolliger Weise zutage tritt, während
sie bei einem alten Knaben, dessen Charakter schon fertiger ist, unangenehm
berührt. Freilich werden die zweitausendnnddreiundsechzig Opfer so dargestellt,
als habe Leporello bei allen durch die Bank den Elefanten gemacht, was zu
einem harmlosen Jüngling nicht recht zu passen scheint, und wie Don Juan
ihm erzählt, er habe mit einem Frauenzimmer, das ihn für Leporello gehalten
habe, seinen Spaß gehabt, fragt dieser sogar vorwurfsvoll: Na hö tosss eoswi
Lwtg, Mg. moMö? Immerhin paßt der ganze Zuschnitt der Partie nur für
einen jungen Springinsfeld, nicht für einen alten Graubart. Meiner Schau¬
lust fehlt unglücklicherweise die bewundernde Freude an der die Jngend er¬
setzenden Kunst: das ist mir seinerzeit an Emil Devrient und Frau Günther-




Gin Dresdner Don Juan
2

in guter Leporello kann einer mittelmüßigen Don Juanaufführung
in dem Sinne aufhelfen, daß man sich, wenn einen die vier
seinen Leute und das Bcmernpürchen nicht befriedigen, am Buffo und
an den für ihn zurechtgemachten urkomischen Lagen schadlos hält.
Wenn aber der Künstler, der den Leporello singt, von Anfang bis
zu Ende ernst bleibt wie — um das wie zu kennzeichnen, haben die Franzosen
einen Ausdruck, der in der Rsvus ass äsux inonäss keine Aufnahme finden
würde —, und wenn das schallende Gelächter, das aus den Reihen der bla¬
siertesten Opernbesucher immer von neuem hervorzubrechen pflegte, solange
Lablache oder Rossi auf der Bühne waren, völlig ausbleibt, so glaubt man
nur die Mumie der Mozartschen Oper vor sich zu haben und sieht mit Bangen
dem Augenblick entgegen, wo Partitur, Sänger, der für die Abholung ohnehin
reife Chor, Dirigent und Bude mit dem Commendatore in der Versenkung
verschwinden werden.

Eine Beschreibung, wie es der Sänger anzufangen hat, zündenden Humor
zu entwickeln, wird der Leser schwerlich erwarten. Um Humor zu entwickeln,
muß man ihn haben, was bekanntlich nicht jedermanns Sache ist, und damit
er sich anmutig gestalte, muß man entweder von Natur außergewöhnlich glück¬
lich angelegt oder sehr gebildet sein: jugendlicher Humor ist der beste, weil er
naturwüchsig ist und gern von den Charitinnen begleitet und vor zu derben
Auswüchsen behütet wird. Der etwas derbere Humor ist mehr Sache des
Engländers und des Deutschen, obgleich jener diesem nachsagt, tuae us vari't
8es g. joies, der feinere liegt dem Naturell des Franzosen und namentlich des
Jtalieners besonders nahe. Daß der Grazioso jung sein muß, liegt auf der
Hand: Hasenfüßigkeit, die, wie schon der Name Leporello andeutet, die schwache
Seite des Don Jucmschen Dieners und Vertrauten ist, sieht man einem jungen
Kerl mit Vergnügen nach, wenn sie in drolliger Weise zutage tritt, während
sie bei einem alten Knaben, dessen Charakter schon fertiger ist, unangenehm
berührt. Freilich werden die zweitausendnnddreiundsechzig Opfer so dargestellt,
als habe Leporello bei allen durch die Bank den Elefanten gemacht, was zu
einem harmlosen Jüngling nicht recht zu passen scheint, und wie Don Juan
ihm erzählt, er habe mit einem Frauenzimmer, das ihn für Leporello gehalten
habe, seinen Spaß gehabt, fragt dieser sogar vorwurfsvoll: Na hö tosss eoswi
Lwtg, Mg. moMö? Immerhin paßt der ganze Zuschnitt der Partie nur für
einen jungen Springinsfeld, nicht für einen alten Graubart. Meiner Schau¬
lust fehlt unglücklicherweise die bewundernde Freude an der die Jngend er¬
setzenden Kunst: das ist mir seinerzeit an Emil Devrient und Frau Günther-


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[0710] [Abbildung] Gin Dresdner Don Juan 2 in guter Leporello kann einer mittelmüßigen Don Juanaufführung in dem Sinne aufhelfen, daß man sich, wenn einen die vier seinen Leute und das Bcmernpürchen nicht befriedigen, am Buffo und an den für ihn zurechtgemachten urkomischen Lagen schadlos hält. Wenn aber der Künstler, der den Leporello singt, von Anfang bis zu Ende ernst bleibt wie — um das wie zu kennzeichnen, haben die Franzosen einen Ausdruck, der in der Rsvus ass äsux inonäss keine Aufnahme finden würde —, und wenn das schallende Gelächter, das aus den Reihen der bla¬ siertesten Opernbesucher immer von neuem hervorzubrechen pflegte, solange Lablache oder Rossi auf der Bühne waren, völlig ausbleibt, so glaubt man nur die Mumie der Mozartschen Oper vor sich zu haben und sieht mit Bangen dem Augenblick entgegen, wo Partitur, Sänger, der für die Abholung ohnehin reife Chor, Dirigent und Bude mit dem Commendatore in der Versenkung verschwinden werden. Eine Beschreibung, wie es der Sänger anzufangen hat, zündenden Humor zu entwickeln, wird der Leser schwerlich erwarten. Um Humor zu entwickeln, muß man ihn haben, was bekanntlich nicht jedermanns Sache ist, und damit er sich anmutig gestalte, muß man entweder von Natur außergewöhnlich glück¬ lich angelegt oder sehr gebildet sein: jugendlicher Humor ist der beste, weil er naturwüchsig ist und gern von den Charitinnen begleitet und vor zu derben Auswüchsen behütet wird. Der etwas derbere Humor ist mehr Sache des Engländers und des Deutschen, obgleich jener diesem nachsagt, tuae us vari't 8es g. joies, der feinere liegt dem Naturell des Franzosen und namentlich des Jtalieners besonders nahe. Daß der Grazioso jung sein muß, liegt auf der Hand: Hasenfüßigkeit, die, wie schon der Name Leporello andeutet, die schwache Seite des Don Jucmschen Dieners und Vertrauten ist, sieht man einem jungen Kerl mit Vergnügen nach, wenn sie in drolliger Weise zutage tritt, während sie bei einem alten Knaben, dessen Charakter schon fertiger ist, unangenehm berührt. Freilich werden die zweitausendnnddreiundsechzig Opfer so dargestellt, als habe Leporello bei allen durch die Bank den Elefanten gemacht, was zu einem harmlosen Jüngling nicht recht zu passen scheint, und wie Don Juan ihm erzählt, er habe mit einem Frauenzimmer, das ihn für Leporello gehalten habe, seinen Spaß gehabt, fragt dieser sogar vorwurfsvoll: Na hö tosss eoswi Lwtg, Mg. moMö? Immerhin paßt der ganze Zuschnitt der Partie nur für einen jungen Springinsfeld, nicht für einen alten Graubart. Meiner Schau¬ lust fehlt unglücklicherweise die bewundernde Freude an der die Jngend er¬ setzenden Kunst: das ist mir seinerzeit an Emil Devrient und Frau Günther-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_296764/710>, abgerufen am 07.05.2024.