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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Der Zweikampf bei Goethe

erhielt. Der Emir begab sich meines Wissens als Herrscher einmal nach Britisch-
Jndien und einmal nach dem afghanischen Turkestan, wo von einem Soldaten
ein Schuß gegen ihn abgegeben wurde, der sein Ziel verfehlte.

Ob irgendeine und welche Absicht mit der Verbreitung des oben erwähnten
Märchens verbunden war, vermag ich nicht zu entscheiden; es ist übrigens auch
denkbar und ganz gut möglich, daß ein findiger Zeitungsschreiber die "Räuber¬
geschichte" in der Voraussetzung erfunden hat, daß es nur schwer gelingen dürfte,
sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Ich hätte mich auch mit der Münchhausiade
nicht eingehender befaßt, wenn sie nicht, durch vielgelesne Zeitungen verbreitet,
ganz irrige Vorstellungen erzeugen könnte und den Schimmer einer aller¬
dings lächerlichen Romantik auf Verhältnisse würfe, die nichts weniger als ro-
""NW sind. folgt)




Der Zweikampf bei Goethe

M
W>velde hatte von Jugend auf eine wahre Herzenslust am Dasein
und glaubte ein Recht darauf zu haben, sich all des Schönen
zu erfreuen, das sich ihm darbot. Darin aber unterschied er sich
von den meisten frohsinnigen Naturen, daß ihm schon in der
! Jugend die glückliche Gabe zur Seite stand, sich dieser Freuden
wert zu zeigen, Ehrfurcht vor dem Schönen und Scheu vor allem Gemeinen
zu haben. In den Jahren, in denen sich ihm die Welt erschloß, hat auch er
allerlei Übermut getrieben, und doch sehen wir bei allen tollen Streichen einen
Jüngling vor uns, der ein starkes Bewußtsein seiner Menschenwürde in sich
trägt und bereut, wenn sein Mutwillen Schaden angerichtet hat. Alles, was
Menschen anging, interessierte ihn, denn das Ziel, das er nie vergaß, war,
sein eignes Wesen auszubilden und im Zwiespalt mit den Schwächen der
menschlichen Natur nach persönlicher Vervollkommnung zu ringen. Keine
Äußerung der Natur erschien ihm so geringfügig, daß er daran achtlos vor¬
über gegangen wäre. Auch feine wiederholten Schilderungen des Zweikampfes
sind für uns lehrreich, weil sie uns einen Einblick in die Sitten und Ge¬
bräuche seiner Zeit verschaffen und mancherlei kulturhistorische Ausblicke ge¬
währen. Auch dieser Gegenstand kann unser Interesse wecken, wenn ein
Dichter wie Goethe ihn darstellt, der wie wenig Menschen dazu begabt war,
die Welt um sich mit scharfem Auge zu beobachten und die Dinge zu zeigen,
wie sie sich in Wirklichkeit darstellen. Er schildert die meisten Zweikämpfe
mit köstlicher Naivität, moralisierende Absichten lagen ihm fern. Wenn wir
aber alles überschauen, was er über den Zweikampf erzählt, erkennen wir
doch, wie er selbst darüber empfand, und wie er sich zu den Auswüchsen seiner
Zeit persönlich stellte. Wer aber als strenger Sittenrichter mit dem Dichter
ins Gericht geht, möge sich an dem offnen Freimut genügen lassen, mit dem
sich Goethe in den zahmen Xenien (VI) als Sohn seiner Zeit bekennt:


Der Zweikampf bei Goethe

erhielt. Der Emir begab sich meines Wissens als Herrscher einmal nach Britisch-
Jndien und einmal nach dem afghanischen Turkestan, wo von einem Soldaten
ein Schuß gegen ihn abgegeben wurde, der sein Ziel verfehlte.

Ob irgendeine und welche Absicht mit der Verbreitung des oben erwähnten
Märchens verbunden war, vermag ich nicht zu entscheiden; es ist übrigens auch
denkbar und ganz gut möglich, daß ein findiger Zeitungsschreiber die „Räuber¬
geschichte" in der Voraussetzung erfunden hat, daß es nur schwer gelingen dürfte,
sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Ich hätte mich auch mit der Münchhausiade
nicht eingehender befaßt, wenn sie nicht, durch vielgelesne Zeitungen verbreitet,
ganz irrige Vorstellungen erzeugen könnte und den Schimmer einer aller¬
dings lächerlichen Romantik auf Verhältnisse würfe, die nichts weniger als ro-
""NW sind. folgt)




Der Zweikampf bei Goethe

M
W>velde hatte von Jugend auf eine wahre Herzenslust am Dasein
und glaubte ein Recht darauf zu haben, sich all des Schönen
zu erfreuen, das sich ihm darbot. Darin aber unterschied er sich
von den meisten frohsinnigen Naturen, daß ihm schon in der
! Jugend die glückliche Gabe zur Seite stand, sich dieser Freuden
wert zu zeigen, Ehrfurcht vor dem Schönen und Scheu vor allem Gemeinen
zu haben. In den Jahren, in denen sich ihm die Welt erschloß, hat auch er
allerlei Übermut getrieben, und doch sehen wir bei allen tollen Streichen einen
Jüngling vor uns, der ein starkes Bewußtsein seiner Menschenwürde in sich
trägt und bereut, wenn sein Mutwillen Schaden angerichtet hat. Alles, was
Menschen anging, interessierte ihn, denn das Ziel, das er nie vergaß, war,
sein eignes Wesen auszubilden und im Zwiespalt mit den Schwächen der
menschlichen Natur nach persönlicher Vervollkommnung zu ringen. Keine
Äußerung der Natur erschien ihm so geringfügig, daß er daran achtlos vor¬
über gegangen wäre. Auch feine wiederholten Schilderungen des Zweikampfes
sind für uns lehrreich, weil sie uns einen Einblick in die Sitten und Ge¬
bräuche seiner Zeit verschaffen und mancherlei kulturhistorische Ausblicke ge¬
währen. Auch dieser Gegenstand kann unser Interesse wecken, wenn ein
Dichter wie Goethe ihn darstellt, der wie wenig Menschen dazu begabt war,
die Welt um sich mit scharfem Auge zu beobachten und die Dinge zu zeigen,
wie sie sich in Wirklichkeit darstellen. Er schildert die meisten Zweikämpfe
mit köstlicher Naivität, moralisierende Absichten lagen ihm fern. Wenn wir
aber alles überschauen, was er über den Zweikampf erzählt, erkennen wir
doch, wie er selbst darüber empfand, und wie er sich zu den Auswüchsen seiner
Zeit persönlich stellte. Wer aber als strenger Sittenrichter mit dem Dichter
ins Gericht geht, möge sich an dem offnen Freimut genügen lassen, mit dem
sich Goethe in den zahmen Xenien (VI) als Sohn seiner Zeit bekennt:


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[0147] Der Zweikampf bei Goethe erhielt. Der Emir begab sich meines Wissens als Herrscher einmal nach Britisch- Jndien und einmal nach dem afghanischen Turkestan, wo von einem Soldaten ein Schuß gegen ihn abgegeben wurde, der sein Ziel verfehlte. Ob irgendeine und welche Absicht mit der Verbreitung des oben erwähnten Märchens verbunden war, vermag ich nicht zu entscheiden; es ist übrigens auch denkbar und ganz gut möglich, daß ein findiger Zeitungsschreiber die „Räuber¬ geschichte" in der Voraussetzung erfunden hat, daß es nur schwer gelingen dürfte, sie auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Ich hätte mich auch mit der Münchhausiade nicht eingehender befaßt, wenn sie nicht, durch vielgelesne Zeitungen verbreitet, ganz irrige Vorstellungen erzeugen könnte und den Schimmer einer aller¬ dings lächerlichen Romantik auf Verhältnisse würfe, die nichts weniger als ro- ""NW sind. folgt) Der Zweikampf bei Goethe M W>velde hatte von Jugend auf eine wahre Herzenslust am Dasein und glaubte ein Recht darauf zu haben, sich all des Schönen zu erfreuen, das sich ihm darbot. Darin aber unterschied er sich von den meisten frohsinnigen Naturen, daß ihm schon in der ! Jugend die glückliche Gabe zur Seite stand, sich dieser Freuden wert zu zeigen, Ehrfurcht vor dem Schönen und Scheu vor allem Gemeinen zu haben. In den Jahren, in denen sich ihm die Welt erschloß, hat auch er allerlei Übermut getrieben, und doch sehen wir bei allen tollen Streichen einen Jüngling vor uns, der ein starkes Bewußtsein seiner Menschenwürde in sich trägt und bereut, wenn sein Mutwillen Schaden angerichtet hat. Alles, was Menschen anging, interessierte ihn, denn das Ziel, das er nie vergaß, war, sein eignes Wesen auszubilden und im Zwiespalt mit den Schwächen der menschlichen Natur nach persönlicher Vervollkommnung zu ringen. Keine Äußerung der Natur erschien ihm so geringfügig, daß er daran achtlos vor¬ über gegangen wäre. Auch feine wiederholten Schilderungen des Zweikampfes sind für uns lehrreich, weil sie uns einen Einblick in die Sitten und Ge¬ bräuche seiner Zeit verschaffen und mancherlei kulturhistorische Ausblicke ge¬ währen. Auch dieser Gegenstand kann unser Interesse wecken, wenn ein Dichter wie Goethe ihn darstellt, der wie wenig Menschen dazu begabt war, die Welt um sich mit scharfem Auge zu beobachten und die Dinge zu zeigen, wie sie sich in Wirklichkeit darstellen. Er schildert die meisten Zweikämpfe mit köstlicher Naivität, moralisierende Absichten lagen ihm fern. Wenn wir aber alles überschauen, was er über den Zweikampf erzählt, erkennen wir doch, wie er selbst darüber empfand, und wie er sich zu den Auswüchsen seiner Zeit persönlich stellte. Wer aber als strenger Sittenrichter mit dem Dichter ins Gericht geht, möge sich an dem offnen Freimut genügen lassen, mit dem sich Goethe in den zahmen Xenien (VI) als Sohn seiner Zeit bekennt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/147>, abgerufen am 02.05.2024.