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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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England auf neuen weltpolitischen Pfaden

Anblick Vertriebner französischer Ordensleute diese armen Opfer der kirchenfeind¬
lichen Politik bedauerte, doch hinzufügte: "Wie sehr werden sie sich umwandeln
müssen, wenn sie bei uns mit Erfolg wirken wollen!" Wenn die geplante
Trennung von Kirche und Staat, wie sie wahrscheinlich die Aufhebung oder
doch die Milderung der jetzigen sehr weitgehenden staatlichen und kommunalen
Bevormundung der Kirche einschlösse, zugleich auch für den Klerus die definitive
Lösung von den kirchenpolitischen Idealen einer unwiderbringlich entschwundnen
Zeit bedeutete, so könnten die von den Gegnern der katholischen Kirche gehegten
Pläne dieser wohl zum Heil gereichen und sie unter dem Regime der Freiheit
und der Selbständigkeit auch im republikanischen Frankreich einer neuen Blüte¬
zeit und glänzenden Machtentfaltung entgegengehn, da durch die gegenwärtigen
Kämpfe eine Zunahme der "katholischen Republikaner" alten Schlages nicht
ausgeschlossen erscheint. Das absolute, patriarchalische Regiment aber hat in
katholischen und in protestantischen Ländern die Religion oft den schlimmsten
Schädigungen ausgesetzt, während die Freiheit, wie im neuzeitlichen England,
oder die Trennung zwischen weltlichen und geistlichen Gewalten, wie in ver-
schiednen europäischen und überseeischen Staaten, gerade für die katholische Kirche
überall nur die wohltätigsten Folgen gehabt hat, wie jeder Vergleich der Ver¬
Lh. Freiherr von Fabrice gangenheit mit der Gegenwart lehrt.




Gngland auf neuen weltpolitischen Pfaden

>cum man, wie wir, MißHelligkeiten mit England als eine uner¬
freuliche Erscheinung ansieht, so ist man gleichwohl, ja vielleicht
noch mehr genötigt, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen und
seine Schlüsse daraus zu ziehn. Und eine Tatsache ist es eben,
Idaß die englische Politik zurzeit kein Ziel so beharrlich verfolgt
wie die Errichtung einer Bündnispolitik unter Isolierung Deutschlands. Mögen
dazu auch manche sehr wohl vermeidbaren Fehler in einem Teile der deutschen
Zeitungen beigetragen haben, indem sie die argwöhnische Stimmung gegen uns
immer steigerten und dem schon gereizten Gegner Stoff lieferten, uns vor
andern Nationen anzuschwärzen: jetzt haben wir es mit Umständen zu tun,
die auch für die maßgebend sind, die sich vorher um ihre Abwendung die
größte Mühe gegeben haben. England ist nun einmal von einem seine ganze
Politik leitenden Mißtrauen gegen Deutschland erfüllt. Es ist unberechtigt,
dies allein auf unsre wachsende Flotte zu schieben. England hat eine fran¬
zösische Flotte entstehn sehen, die noch dann die deutsche, wenn unser Bauplan
durchgeführt sein wird, übertrifft, die jedoch der englischen weit näher kam, ehe
diese neuerlich stark ausgedehnt wurde. Es hat sich dadurch nicht beunruhigt
gefühlt. Auch die russische Flotte war im Verhältnis zu der frühern englischen
Seemacht weit bedeutender, als die unsrige es in Zukunft sein wird. Obgleich
nun Rußland der traditionelle Gegner Englands war, mit dem es einen Ent-


England auf neuen weltpolitischen Pfaden

Anblick Vertriebner französischer Ordensleute diese armen Opfer der kirchenfeind¬
lichen Politik bedauerte, doch hinzufügte: „Wie sehr werden sie sich umwandeln
müssen, wenn sie bei uns mit Erfolg wirken wollen!" Wenn die geplante
Trennung von Kirche und Staat, wie sie wahrscheinlich die Aufhebung oder
doch die Milderung der jetzigen sehr weitgehenden staatlichen und kommunalen
Bevormundung der Kirche einschlösse, zugleich auch für den Klerus die definitive
Lösung von den kirchenpolitischen Idealen einer unwiderbringlich entschwundnen
Zeit bedeutete, so könnten die von den Gegnern der katholischen Kirche gehegten
Pläne dieser wohl zum Heil gereichen und sie unter dem Regime der Freiheit
und der Selbständigkeit auch im republikanischen Frankreich einer neuen Blüte¬
zeit und glänzenden Machtentfaltung entgegengehn, da durch die gegenwärtigen
Kämpfe eine Zunahme der „katholischen Republikaner" alten Schlages nicht
ausgeschlossen erscheint. Das absolute, patriarchalische Regiment aber hat in
katholischen und in protestantischen Ländern die Religion oft den schlimmsten
Schädigungen ausgesetzt, während die Freiheit, wie im neuzeitlichen England,
oder die Trennung zwischen weltlichen und geistlichen Gewalten, wie in ver-
schiednen europäischen und überseeischen Staaten, gerade für die katholische Kirche
überall nur die wohltätigsten Folgen gehabt hat, wie jeder Vergleich der Ver¬
Lh. Freiherr von Fabrice gangenheit mit der Gegenwart lehrt.




Gngland auf neuen weltpolitischen Pfaden

>cum man, wie wir, MißHelligkeiten mit England als eine uner¬
freuliche Erscheinung ansieht, so ist man gleichwohl, ja vielleicht
noch mehr genötigt, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen und
seine Schlüsse daraus zu ziehn. Und eine Tatsache ist es eben,
Idaß die englische Politik zurzeit kein Ziel so beharrlich verfolgt
wie die Errichtung einer Bündnispolitik unter Isolierung Deutschlands. Mögen
dazu auch manche sehr wohl vermeidbaren Fehler in einem Teile der deutschen
Zeitungen beigetragen haben, indem sie die argwöhnische Stimmung gegen uns
immer steigerten und dem schon gereizten Gegner Stoff lieferten, uns vor
andern Nationen anzuschwärzen: jetzt haben wir es mit Umständen zu tun,
die auch für die maßgebend sind, die sich vorher um ihre Abwendung die
größte Mühe gegeben haben. England ist nun einmal von einem seine ganze
Politik leitenden Mißtrauen gegen Deutschland erfüllt. Es ist unberechtigt,
dies allein auf unsre wachsende Flotte zu schieben. England hat eine fran¬
zösische Flotte entstehn sehen, die noch dann die deutsche, wenn unser Bauplan
durchgeführt sein wird, übertrifft, die jedoch der englischen weit näher kam, ehe
diese neuerlich stark ausgedehnt wurde. Es hat sich dadurch nicht beunruhigt
gefühlt. Auch die russische Flotte war im Verhältnis zu der frühern englischen
Seemacht weit bedeutender, als die unsrige es in Zukunft sein wird. Obgleich
nun Rußland der traditionelle Gegner Englands war, mit dem es einen Ent-


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[0021] England auf neuen weltpolitischen Pfaden Anblick Vertriebner französischer Ordensleute diese armen Opfer der kirchenfeind¬ lichen Politik bedauerte, doch hinzufügte: „Wie sehr werden sie sich umwandeln müssen, wenn sie bei uns mit Erfolg wirken wollen!" Wenn die geplante Trennung von Kirche und Staat, wie sie wahrscheinlich die Aufhebung oder doch die Milderung der jetzigen sehr weitgehenden staatlichen und kommunalen Bevormundung der Kirche einschlösse, zugleich auch für den Klerus die definitive Lösung von den kirchenpolitischen Idealen einer unwiderbringlich entschwundnen Zeit bedeutete, so könnten die von den Gegnern der katholischen Kirche gehegten Pläne dieser wohl zum Heil gereichen und sie unter dem Regime der Freiheit und der Selbständigkeit auch im republikanischen Frankreich einer neuen Blüte¬ zeit und glänzenden Machtentfaltung entgegengehn, da durch die gegenwärtigen Kämpfe eine Zunahme der „katholischen Republikaner" alten Schlages nicht ausgeschlossen erscheint. Das absolute, patriarchalische Regiment aber hat in katholischen und in protestantischen Ländern die Religion oft den schlimmsten Schädigungen ausgesetzt, während die Freiheit, wie im neuzeitlichen England, oder die Trennung zwischen weltlichen und geistlichen Gewalten, wie in ver- schiednen europäischen und überseeischen Staaten, gerade für die katholische Kirche überall nur die wohltätigsten Folgen gehabt hat, wie jeder Vergleich der Ver¬ Lh. Freiherr von Fabrice gangenheit mit der Gegenwart lehrt. Gngland auf neuen weltpolitischen Pfaden >cum man, wie wir, MißHelligkeiten mit England als eine uner¬ freuliche Erscheinung ansieht, so ist man gleichwohl, ja vielleicht noch mehr genötigt, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen und seine Schlüsse daraus zu ziehn. Und eine Tatsache ist es eben, Idaß die englische Politik zurzeit kein Ziel so beharrlich verfolgt wie die Errichtung einer Bündnispolitik unter Isolierung Deutschlands. Mögen dazu auch manche sehr wohl vermeidbaren Fehler in einem Teile der deutschen Zeitungen beigetragen haben, indem sie die argwöhnische Stimmung gegen uns immer steigerten und dem schon gereizten Gegner Stoff lieferten, uns vor andern Nationen anzuschwärzen: jetzt haben wir es mit Umständen zu tun, die auch für die maßgebend sind, die sich vorher um ihre Abwendung die größte Mühe gegeben haben. England ist nun einmal von einem seine ganze Politik leitenden Mißtrauen gegen Deutschland erfüllt. Es ist unberechtigt, dies allein auf unsre wachsende Flotte zu schieben. England hat eine fran¬ zösische Flotte entstehn sehen, die noch dann die deutsche, wenn unser Bauplan durchgeführt sein wird, übertrifft, die jedoch der englischen weit näher kam, ehe diese neuerlich stark ausgedehnt wurde. Es hat sich dadurch nicht beunruhigt gefühlt. Auch die russische Flotte war im Verhältnis zu der frühern englischen Seemacht weit bedeutender, als die unsrige es in Zukunft sein wird. Obgleich nun Rußland der traditionelle Gegner Englands war, mit dem es einen Ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/21>, abgerufen am 02.05.2024.