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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr.

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Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge

Was die einzelnen Vorschläge Räubers betrifft, so dürften sich die Jung¬
gesellensteuer, der Zwang zur Erfüllung der Ersatzpflichten, die aus außerehe¬
lichem Verkehr erwachsen, und eine die Frauenfrage berücksichtigende Regelung
der Auswanderung durchführbar erweisen, wenn die Gesetzgeber dahin gebracht
werden könnten, diese Maßregeln ernstlich zu wollen. Der Ausschluß aller
Unverheirateten aus dem Staats- und Kommunaldienst wäre nur dann möglich
und einigermaßen gerecht, wenn die sozialen Ehehindernisse beseitigt würden.
Das Haupthindernis ist die späte Versorgung der mittlern und der höhern
Beamtenschaft, dessen Beseitigung aber durch frühzeitige Pensionierung aller
Beamten wird bei uns an dem Veto des Finanzministers scheitern. Für die
Erhöhung der Gehalte der untern Offizierchargen, deren Notwendigkeit Räuber
ausdrücklich hervorhebt, würden sich die Mittel schon finden; doch hier walten
andre Rücksichten ob, die den Regierungen verbieten, schon dem Unterleutnant
von Staats wegen die Mittel zur Gründung eines Hausstandes zu bewilligen.
Ein moderner Staat ist eben eine so verwickelte Gesellschaft, daß sich die Ehe¬
angelegenheiten nicht so glatt erledigen lassen wie bei den Schwalben und den
Turteltauben. '




Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge

me alte Erfahrung ists, daß jahraus jahrein viele zur Erholung
und zum Vergnügen in die Ferne ziehen, die, wenn sie von
den Vorzügen der heimatlichen oder der der Heimat benachbarten
Berge Kenntnis hätten, gewiß diese aufsuchen würden. Sicher
finden der Harz, der Thüringer Wald, das Riesengebirge, die
Sächsische Schweiz von Jahr zu Jahr neue Verehrer, so manches andre Ge¬
birge aber, das getrost mit jenen jeden Vergleich aushalten kann, ist dagegen
entweder gar nicht oder höchstens nur einer kleinen Gemeinde bekannt. Zu
diesen Gebieten, die es vollauf verdienen, mehr bereist zu werden, die einen
Besuch reichlich lohnen, gehört das böhmische Mittelgebirge mit den an¬
grenzenden Teilen des sächsischen Erzgebirges, das herrliche Stück Erde, das
sich nach Süden und Südwesten an die Sächsische Schweiz anschließt, das
von Leitmeritz bis Bodenbach-Tetschen von der Elbe durchströmt wird, und
das die industriereiche, freilich durch den Qualm der Kohlenschächte so sehr
beeinträchtigte Teplitzer Ebne von dem östlichen Teile des Erzgebirges trennt --
diese Ebne, die sich doch auch wieder, mag man auf den Höhen des Erz¬
gebirges oder auf denen des Mittelgebirges stehn, so überaus malerisch zeigt,
eingebettet zwischen den vulkanischen Charakter verratenden Basalt- und Pho-
nolithkegeln des Mittelgebirges, unter denen wie ein König der Milleschauer
majestätisch emporragt, und der sich lang hinziehenden, schroff aus der Ebne
aufsteigenden und durch die Masse wirkenden Mauer des Erzgebirges. Kein
geringerer als A. von Humboldt hat die Aussicht von dem Mückenberg (Mücken-


Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge

Was die einzelnen Vorschläge Räubers betrifft, so dürften sich die Jung¬
gesellensteuer, der Zwang zur Erfüllung der Ersatzpflichten, die aus außerehe¬
lichem Verkehr erwachsen, und eine die Frauenfrage berücksichtigende Regelung
der Auswanderung durchführbar erweisen, wenn die Gesetzgeber dahin gebracht
werden könnten, diese Maßregeln ernstlich zu wollen. Der Ausschluß aller
Unverheirateten aus dem Staats- und Kommunaldienst wäre nur dann möglich
und einigermaßen gerecht, wenn die sozialen Ehehindernisse beseitigt würden.
Das Haupthindernis ist die späte Versorgung der mittlern und der höhern
Beamtenschaft, dessen Beseitigung aber durch frühzeitige Pensionierung aller
Beamten wird bei uns an dem Veto des Finanzministers scheitern. Für die
Erhöhung der Gehalte der untern Offizierchargen, deren Notwendigkeit Räuber
ausdrücklich hervorhebt, würden sich die Mittel schon finden; doch hier walten
andre Rücksichten ob, die den Regierungen verbieten, schon dem Unterleutnant
von Staats wegen die Mittel zur Gründung eines Hausstandes zu bewilligen.
Ein moderner Staat ist eben eine so verwickelte Gesellschaft, daß sich die Ehe¬
angelegenheiten nicht so glatt erledigen lassen wie bei den Schwalben und den
Turteltauben. '




Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge

me alte Erfahrung ists, daß jahraus jahrein viele zur Erholung
und zum Vergnügen in die Ferne ziehen, die, wenn sie von
den Vorzügen der heimatlichen oder der der Heimat benachbarten
Berge Kenntnis hätten, gewiß diese aufsuchen würden. Sicher
finden der Harz, der Thüringer Wald, das Riesengebirge, die
Sächsische Schweiz von Jahr zu Jahr neue Verehrer, so manches andre Ge¬
birge aber, das getrost mit jenen jeden Vergleich aushalten kann, ist dagegen
entweder gar nicht oder höchstens nur einer kleinen Gemeinde bekannt. Zu
diesen Gebieten, die es vollauf verdienen, mehr bereist zu werden, die einen
Besuch reichlich lohnen, gehört das böhmische Mittelgebirge mit den an¬
grenzenden Teilen des sächsischen Erzgebirges, das herrliche Stück Erde, das
sich nach Süden und Südwesten an die Sächsische Schweiz anschließt, das
von Leitmeritz bis Bodenbach-Tetschen von der Elbe durchströmt wird, und
das die industriereiche, freilich durch den Qualm der Kohlenschächte so sehr
beeinträchtigte Teplitzer Ebne von dem östlichen Teile des Erzgebirges trennt —
diese Ebne, die sich doch auch wieder, mag man auf den Höhen des Erz¬
gebirges oder auf denen des Mittelgebirges stehn, so überaus malerisch zeigt,
eingebettet zwischen den vulkanischen Charakter verratenden Basalt- und Pho-
nolithkegeln des Mittelgebirges, unter denen wie ein König der Milleschauer
majestätisch emporragt, und der sich lang hinziehenden, schroff aus der Ebne
aufsteigenden und durch die Masse wirkenden Mauer des Erzgebirges. Kein
geringerer als A. von Humboldt hat die Aussicht von dem Mückenberg (Mücken-


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[0548] Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge Was die einzelnen Vorschläge Räubers betrifft, so dürften sich die Jung¬ gesellensteuer, der Zwang zur Erfüllung der Ersatzpflichten, die aus außerehe¬ lichem Verkehr erwachsen, und eine die Frauenfrage berücksichtigende Regelung der Auswanderung durchführbar erweisen, wenn die Gesetzgeber dahin gebracht werden könnten, diese Maßregeln ernstlich zu wollen. Der Ausschluß aller Unverheirateten aus dem Staats- und Kommunaldienst wäre nur dann möglich und einigermaßen gerecht, wenn die sozialen Ehehindernisse beseitigt würden. Das Haupthindernis ist die späte Versorgung der mittlern und der höhern Beamtenschaft, dessen Beseitigung aber durch frühzeitige Pensionierung aller Beamten wird bei uns an dem Veto des Finanzministers scheitern. Für die Erhöhung der Gehalte der untern Offizierchargen, deren Notwendigkeit Räuber ausdrücklich hervorhebt, würden sich die Mittel schon finden; doch hier walten andre Rücksichten ob, die den Regierungen verbieten, schon dem Unterleutnant von Staats wegen die Mittel zur Gründung eines Hausstandes zu bewilligen. Ein moderner Staat ist eben eine so verwickelte Gesellschaft, daß sich die Ehe¬ angelegenheiten nicht so glatt erledigen lassen wie bei den Schwalben und den Turteltauben. ' Ausflüge im böhmischen Mittelgebirge me alte Erfahrung ists, daß jahraus jahrein viele zur Erholung und zum Vergnügen in die Ferne ziehen, die, wenn sie von den Vorzügen der heimatlichen oder der der Heimat benachbarten Berge Kenntnis hätten, gewiß diese aufsuchen würden. Sicher finden der Harz, der Thüringer Wald, das Riesengebirge, die Sächsische Schweiz von Jahr zu Jahr neue Verehrer, so manches andre Ge¬ birge aber, das getrost mit jenen jeden Vergleich aushalten kann, ist dagegen entweder gar nicht oder höchstens nur einer kleinen Gemeinde bekannt. Zu diesen Gebieten, die es vollauf verdienen, mehr bereist zu werden, die einen Besuch reichlich lohnen, gehört das böhmische Mittelgebirge mit den an¬ grenzenden Teilen des sächsischen Erzgebirges, das herrliche Stück Erde, das sich nach Süden und Südwesten an die Sächsische Schweiz anschließt, das von Leitmeritz bis Bodenbach-Tetschen von der Elbe durchströmt wird, und das die industriereiche, freilich durch den Qualm der Kohlenschächte so sehr beeinträchtigte Teplitzer Ebne von dem östlichen Teile des Erzgebirges trennt — diese Ebne, die sich doch auch wieder, mag man auf den Höhen des Erz¬ gebirges oder auf denen des Mittelgebirges stehn, so überaus malerisch zeigt, eingebettet zwischen den vulkanischen Charakter verratenden Basalt- und Pho- nolithkegeln des Mittelgebirges, unter denen wie ein König der Milleschauer majestätisch emporragt, und der sich lang hinziehenden, schroff aus der Ebne aufsteigenden und durch die Masse wirkenden Mauer des Erzgebirges. Kein geringerer als A. von Humboldt hat die Aussicht von dem Mückenberg (Mücken-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_297518/548>, abgerufen am 02.05.2024.