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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Zum Kampf um die französische Orthographie

die sich u. c>. in seiner Genauigkeit im Zitieren bewährte. Er befolgte den
Grundsatz, "daß man jedem, dem man einen guten Gedanken verdankt, die
Ehre erweisen müsse, ihn zu nennen. Finde man, daß ein andrer, und wenn
auch nur einen halben Satz, kürzer, prägnanter und richtiger gegeben habe,
als man ihn selbst vorher zu denken imstande gewesen sei, so müsse dem Autor
durch wörtliche Wiedergabe und Nennung des Namens die anerkennende
Gerechtigkeit und Dankbarkeit widerfahren." Als er einst einem Doktoranden
Plagiate nachgewiesen hatte, erklärte er: "Ich kann für die Erteilung des
Doktorats an einen Menschen, der die Fakultät so gröblich beleidigt hat, nicht
mehr stimmen." Um anzudeuten, in welcher Richtung sich seine wissenschaft¬
liche Tätigkeit bewegte, sollen außer deu gelegentlich erwähnten Ver¬
öffentlichungen zum Schluß noch einige genannt werden: Das pelasgische
Orakel des Zeus zu Dodona; Über den Sinn der Ödipussage; Die Sühn¬
opfer der Griechen und der Römer und ihr Verhältnis zu dem einen Opfer
auf Golgatha; Die Gebete der Griechen und der Römer; Die Linosklage;
Der Fluch bei Griechen und Römern; Prometheus; Der Eid bei den Griechen
und den Römern; Über die Bücher des Königs Numa; Zur Geschichte und
Philosophie der Ehe bei den Griechen; Der Untergang des Hellenismus und
die Einziehung seiner Tempelgüter durch die christlichen Kaiser; Des Sokmtes
Leben, Lehre und Tod; Die Philosophie der schönen Künste.




Zum Kampf um die französische Orthographie

n Frankreich tobt gegenwärtig nicht nur der Kampf um das neue
Ministerium; dieses streitlustige Volk hat auch an dem Fall
Syveton und der Frage, ob die Taxameter -- hier sagt man
Taximeter -- allmählich die andern Droschken verdrängen sollen,
keineswegs genug. Es herrscht auch ein wahrer Bürgerkrieg um
die französische Rechtschreibung. Auf der einen Seite die Revolutionäre, ohne
historisches und philologisches Herz, die einfach alles kurz und klein schlagen
wollen, was ihnen nicht "praktisch" scheint; das Praktische ist natürlich das mög¬
lichst Kurze und Einfache, und um ihm zum Siege zu verhelfen, schent man sich
nicht, manche schöne Blume und manche gewiß sehr "unpraktische" aber doch
durch deu Zauber ihres Alters auch liebgewonnene Efenranke im Garten der
französischen Sprache kurzerhand abzuschneiden. Auf der andern Seite stehn
die Akademiker, die überhaupt nichts antasten lassen wollen, und die alles
schön und richtig finden, weil die Akademiker vor hundert Jahren es auch
schon gegen alle Neuerer verteidigt haben.

Das französische Volk ist in allen Kunstdingen überaus konservativ und
hat vor allem eine beneidenswerte Ehrfurcht vor seiner Sprache, die es mit
Recht als kostbares Vermächtnis seiner stolzen Kulturtradition und als das
größte Kunstwerk betrachtet, das der Genius des französischen Volkes hervor¬
gebracht hat. Möchten wir doch in diesem Punkte von unfern Nachbarn


Grenzboten i 190g gi
Zum Kampf um die französische Orthographie

die sich u. c>. in seiner Genauigkeit im Zitieren bewährte. Er befolgte den
Grundsatz, „daß man jedem, dem man einen guten Gedanken verdankt, die
Ehre erweisen müsse, ihn zu nennen. Finde man, daß ein andrer, und wenn
auch nur einen halben Satz, kürzer, prägnanter und richtiger gegeben habe,
als man ihn selbst vorher zu denken imstande gewesen sei, so müsse dem Autor
durch wörtliche Wiedergabe und Nennung des Namens die anerkennende
Gerechtigkeit und Dankbarkeit widerfahren." Als er einst einem Doktoranden
Plagiate nachgewiesen hatte, erklärte er: „Ich kann für die Erteilung des
Doktorats an einen Menschen, der die Fakultät so gröblich beleidigt hat, nicht
mehr stimmen." Um anzudeuten, in welcher Richtung sich seine wissenschaft¬
liche Tätigkeit bewegte, sollen außer deu gelegentlich erwähnten Ver¬
öffentlichungen zum Schluß noch einige genannt werden: Das pelasgische
Orakel des Zeus zu Dodona; Über den Sinn der Ödipussage; Die Sühn¬
opfer der Griechen und der Römer und ihr Verhältnis zu dem einen Opfer
auf Golgatha; Die Gebete der Griechen und der Römer; Die Linosklage;
Der Fluch bei Griechen und Römern; Prometheus; Der Eid bei den Griechen
und den Römern; Über die Bücher des Königs Numa; Zur Geschichte und
Philosophie der Ehe bei den Griechen; Der Untergang des Hellenismus und
die Einziehung seiner Tempelgüter durch die christlichen Kaiser; Des Sokmtes
Leben, Lehre und Tod; Die Philosophie der schönen Künste.




Zum Kampf um die französische Orthographie

n Frankreich tobt gegenwärtig nicht nur der Kampf um das neue
Ministerium; dieses streitlustige Volk hat auch an dem Fall
Syveton und der Frage, ob die Taxameter — hier sagt man
Taximeter — allmählich die andern Droschken verdrängen sollen,
keineswegs genug. Es herrscht auch ein wahrer Bürgerkrieg um
die französische Rechtschreibung. Auf der einen Seite die Revolutionäre, ohne
historisches und philologisches Herz, die einfach alles kurz und klein schlagen
wollen, was ihnen nicht „praktisch" scheint; das Praktische ist natürlich das mög¬
lichst Kurze und Einfache, und um ihm zum Siege zu verhelfen, schent man sich
nicht, manche schöne Blume und manche gewiß sehr „unpraktische" aber doch
durch deu Zauber ihres Alters auch liebgewonnene Efenranke im Garten der
französischen Sprache kurzerhand abzuschneiden. Auf der andern Seite stehn
die Akademiker, die überhaupt nichts antasten lassen wollen, und die alles
schön und richtig finden, weil die Akademiker vor hundert Jahren es auch
schon gegen alle Neuerer verteidigt haben.

Das französische Volk ist in allen Kunstdingen überaus konservativ und
hat vor allem eine beneidenswerte Ehrfurcht vor seiner Sprache, die es mit
Recht als kostbares Vermächtnis seiner stolzen Kulturtradition und als das
größte Kunstwerk betrachtet, das der Genius des französischen Volkes hervor¬
gebracht hat. Möchten wir doch in diesem Punkte von unfern Nachbarn


Grenzboten i 190g gi
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[0389] Zum Kampf um die französische Orthographie die sich u. c>. in seiner Genauigkeit im Zitieren bewährte. Er befolgte den Grundsatz, „daß man jedem, dem man einen guten Gedanken verdankt, die Ehre erweisen müsse, ihn zu nennen. Finde man, daß ein andrer, und wenn auch nur einen halben Satz, kürzer, prägnanter und richtiger gegeben habe, als man ihn selbst vorher zu denken imstande gewesen sei, so müsse dem Autor durch wörtliche Wiedergabe und Nennung des Namens die anerkennende Gerechtigkeit und Dankbarkeit widerfahren." Als er einst einem Doktoranden Plagiate nachgewiesen hatte, erklärte er: „Ich kann für die Erteilung des Doktorats an einen Menschen, der die Fakultät so gröblich beleidigt hat, nicht mehr stimmen." Um anzudeuten, in welcher Richtung sich seine wissenschaft¬ liche Tätigkeit bewegte, sollen außer deu gelegentlich erwähnten Ver¬ öffentlichungen zum Schluß noch einige genannt werden: Das pelasgische Orakel des Zeus zu Dodona; Über den Sinn der Ödipussage; Die Sühn¬ opfer der Griechen und der Römer und ihr Verhältnis zu dem einen Opfer auf Golgatha; Die Gebete der Griechen und der Römer; Die Linosklage; Der Fluch bei Griechen und Römern; Prometheus; Der Eid bei den Griechen und den Römern; Über die Bücher des Königs Numa; Zur Geschichte und Philosophie der Ehe bei den Griechen; Der Untergang des Hellenismus und die Einziehung seiner Tempelgüter durch die christlichen Kaiser; Des Sokmtes Leben, Lehre und Tod; Die Philosophie der schönen Künste. Zum Kampf um die französische Orthographie n Frankreich tobt gegenwärtig nicht nur der Kampf um das neue Ministerium; dieses streitlustige Volk hat auch an dem Fall Syveton und der Frage, ob die Taxameter — hier sagt man Taximeter — allmählich die andern Droschken verdrängen sollen, keineswegs genug. Es herrscht auch ein wahrer Bürgerkrieg um die französische Rechtschreibung. Auf der einen Seite die Revolutionäre, ohne historisches und philologisches Herz, die einfach alles kurz und klein schlagen wollen, was ihnen nicht „praktisch" scheint; das Praktische ist natürlich das mög¬ lichst Kurze und Einfache, und um ihm zum Siege zu verhelfen, schent man sich nicht, manche schöne Blume und manche gewiß sehr „unpraktische" aber doch durch deu Zauber ihres Alters auch liebgewonnene Efenranke im Garten der französischen Sprache kurzerhand abzuschneiden. Auf der andern Seite stehn die Akademiker, die überhaupt nichts antasten lassen wollen, und die alles schön und richtig finden, weil die Akademiker vor hundert Jahren es auch schon gegen alle Neuerer verteidigt haben. Das französische Volk ist in allen Kunstdingen überaus konservativ und hat vor allem eine beneidenswerte Ehrfurcht vor seiner Sprache, die es mit Recht als kostbares Vermächtnis seiner stolzen Kulturtradition und als das größte Kunstwerk betrachtet, das der Genius des französischen Volkes hervor¬ gebracht hat. Möchten wir doch in diesem Punkte von unfern Nachbarn Grenzboten i 190g gi

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/389>, abgerufen am 03.05.2024.