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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

die Truppen alle bei mir, sie bezogen die Scheunen, die immer schon als Warm¬
häuser gedient hatten, stellte nur die allernöthigsten Posten; ich ließ meine Leute
noch auf den Wachen, damit die Soldaten noch ruhen konnten. Des andern
Morgens besahen wir das Terrain, die Posten wurden für richtig befunden und
vom Militär besetzt. -- Welche Wonne, als ich aus den Kleidern nun ein Mal
wieder ins Bett kam, mit Wohlbehagen zog ich mich des andern Morgens an, ich
war wie neu belebt Schluß folgt) .




Im alten Brüssel
cLlara Holzrath von (Fortsetzung)
17

o sollte sich Fintje hinwenden? Das Leben war noch lang. Unbewußt
! hatten ihre müden Schritte sie in der Richtung nach dem Quartier
des Marolles, ihrer alten Heimat, getragen.

Aber sie getraute sich nicht heim. Sie hatten nie Mitleid gehabt
mit der armen nettete Perle Anionr, die vom Quartier des Marolles.

Geschieht ihr recht, der ehrlosen Dirne, warum hat sie sich dem
Reichen verkauft! schrien sie.

In ihrem Buche stand der Name von Jans Mutter. Wenn du in Not
kommst, geh zu meiner Mutter, die wird dich nicht abweisen, hatte Jan ihr gesagt.
Aber sie schämte sich vor Jans Mutter. Nein, zu der vornehmen Dame, die sie
mit klugen fragenden Augen anschauen würde, zu der konnte sie nicht gehn. Das
konnte sie nicht.

Vor ihr lag das Volkshaus. Hoch und schmucklos. Da hinein gingen die
Elenden, die Unzufriednen, alle, die schwer am Leben trugen, alle, die einen Groll
im Herzen hatten. Da drin hingen die schrecklichen Bilder, die Menschen mit den
verhungerten Gesichtern, den sterbenden Weibern und Kindern. Als Kind hatte
sie voll Abscheu vou ihnen weggesehen. Jetzt war sie schon klüger geworden und
würde die Bilder voll verstehenden Mitleids ansehen. Und der große Christuskopf
würde ihr keine Märchenerscheinung mehr bedeuten, und es würde sie nicht länger
wundernehmen, daß er mit so ernsten, traurigen Augen in die Welt sah. Das
Volkshaus war für die Armen, die Unterdrückten, die Hilfsbedürftigen errichtet;
wenn sie hoffen konnte, irgendwo freundliches Erbarmen zu finden, so war es gewiß
hier. Und der Portier würde sich ihrer erinnern, er hatte sich immer freundlich
gezeigt, wenn sie mit Ovale kam, um einen Band von Victor Hugos Miserables
gegen den nächsten umzutauschen. So wollte sie denn am Hause der Sozialisten
anklopfen und um Arbeit und Obdach bitten.

Ja, der Portier erinnerte sich des kleinen Fintje wohl, des vorlauten, hagern,
beweglichen Geschöpfchens, das sich unterdessen zu so einem erstaunlich schönen und
blühenden Mädchen ausgewachsen hatte. Er stellte viele neugierige Fragen, die
Fintje nur mühsam und leise beantwortete. Und er wies die Bettelnde nicht ab.
Er schickte eine der zwei alten Putzfrauen weg, um Fiutje an ihre Stelle treten
zu lassen. Nun rutschte sie auf den Knien über den unsaubern Boden der langen
Gänge und tauchte die feinen ringlosen Hände in das schmutzige Wasser ihres
Eimers und rang wieder und wieder das rauhe Bodentnch ans. Rücken und Knie
schmerzten sie, denn sie war das Arbeiten nicht mehr gewöhnt. Die Haut ihrer
Hände wurde rot und rauh von der häufigen Berührung mit dem kalten Wasser.


Im alten Brüssel

die Truppen alle bei mir, sie bezogen die Scheunen, die immer schon als Warm¬
häuser gedient hatten, stellte nur die allernöthigsten Posten; ich ließ meine Leute
noch auf den Wachen, damit die Soldaten noch ruhen konnten. Des andern
Morgens besahen wir das Terrain, die Posten wurden für richtig befunden und
vom Militär besetzt. — Welche Wonne, als ich aus den Kleidern nun ein Mal
wieder ins Bett kam, mit Wohlbehagen zog ich mich des andern Morgens an, ich
war wie neu belebt Schluß folgt) .




Im alten Brüssel
cLlara Holzrath von (Fortsetzung)
17

o sollte sich Fintje hinwenden? Das Leben war noch lang. Unbewußt
! hatten ihre müden Schritte sie in der Richtung nach dem Quartier
des Marolles, ihrer alten Heimat, getragen.

Aber sie getraute sich nicht heim. Sie hatten nie Mitleid gehabt
mit der armen nettete Perle Anionr, die vom Quartier des Marolles.

Geschieht ihr recht, der ehrlosen Dirne, warum hat sie sich dem
Reichen verkauft! schrien sie.

In ihrem Buche stand der Name von Jans Mutter. Wenn du in Not
kommst, geh zu meiner Mutter, die wird dich nicht abweisen, hatte Jan ihr gesagt.
Aber sie schämte sich vor Jans Mutter. Nein, zu der vornehmen Dame, die sie
mit klugen fragenden Augen anschauen würde, zu der konnte sie nicht gehn. Das
konnte sie nicht.

Vor ihr lag das Volkshaus. Hoch und schmucklos. Da hinein gingen die
Elenden, die Unzufriednen, alle, die schwer am Leben trugen, alle, die einen Groll
im Herzen hatten. Da drin hingen die schrecklichen Bilder, die Menschen mit den
verhungerten Gesichtern, den sterbenden Weibern und Kindern. Als Kind hatte
sie voll Abscheu vou ihnen weggesehen. Jetzt war sie schon klüger geworden und
würde die Bilder voll verstehenden Mitleids ansehen. Und der große Christuskopf
würde ihr keine Märchenerscheinung mehr bedeuten, und es würde sie nicht länger
wundernehmen, daß er mit so ernsten, traurigen Augen in die Welt sah. Das
Volkshaus war für die Armen, die Unterdrückten, die Hilfsbedürftigen errichtet;
wenn sie hoffen konnte, irgendwo freundliches Erbarmen zu finden, so war es gewiß
hier. Und der Portier würde sich ihrer erinnern, er hatte sich immer freundlich
gezeigt, wenn sie mit Ovale kam, um einen Band von Victor Hugos Miserables
gegen den nächsten umzutauschen. So wollte sie denn am Hause der Sozialisten
anklopfen und um Arbeit und Obdach bitten.

Ja, der Portier erinnerte sich des kleinen Fintje wohl, des vorlauten, hagern,
beweglichen Geschöpfchens, das sich unterdessen zu so einem erstaunlich schönen und
blühenden Mädchen ausgewachsen hatte. Er stellte viele neugierige Fragen, die
Fintje nur mühsam und leise beantwortete. Und er wies die Bettelnde nicht ab.
Er schickte eine der zwei alten Putzfrauen weg, um Fiutje an ihre Stelle treten
zu lassen. Nun rutschte sie auf den Knien über den unsaubern Boden der langen
Gänge und tauchte die feinen ringlosen Hände in das schmutzige Wasser ihres
Eimers und rang wieder und wieder das rauhe Bodentnch ans. Rücken und Knie
schmerzten sie, denn sie war das Arbeiten nicht mehr gewöhnt. Die Haut ihrer
Hände wurde rot und rauh von der häufigen Berührung mit dem kalten Wasser.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/408>, abgerufen am 04.05.2024.