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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

Es ist ja nicht so sehr viel, was von der deutschen Kunst dieser Periode
als dauernder historischer Bestand zurückbleibt, aber es ist immer gut, daß man
klar Übersicht, was man hat. Man bemerkt zum Beispiel, einen wie großen An¬
teil an diesem Plus die Landschaftsmalerei hat, wenn sie auch gar nicht immer
diesen Namen führt, und wie selten dagegen die reinen Figurenbilder sind,
die uns heute noch ganz befriedigen. In diesem Verhältnis spricht sich zu¬
gleich ein Gegensatz der deutschen und der romanischen Begabung aus, wie
denn unsre anspruchsvollen Historienbilder fast alle unter dem Eindruck italie¬
nischer oder französischer Vorbilder gemalt worden sind. Man hat in neuerer
Zeit ans ein paar längst vergessene ältere Künstler, den Dresdner Kaspar
Friedrich und den Hamburger Runge, als auf frühe Vorläufer einer spezifisch
deutschen Stimmungsmalerei hingewiesen, eine Entdeckung, die Schmid vor¬
sichtig ablehnend erwähnt. In einem Schlußwort über die doch im ganzen
unerfreuliche Plastik sagt er ausgleichend: "Aber die Meister waren stolz, die
wahre Plastik gefunden zu haben, und weithin, besonders im europäischen
Norden, wurden sie bewundert, mehr als die heutige deutsche Plastik, die sich
de" Rauch und Genossen so überlegen fühlt und doch im Ausland kaum
bekannt ist," Dieses wahre Wort zeigt, daß er seinen ersten Band im Überblick
des Ganzen bis auf die Gegenwart geschrieben hat. Er hätte auch in bezug
auf die Kartonmalcr noch eins hervorheben können, was für alle gilt, auch
für Kaulbach, Diese Müuuer suchten ihr Ideal ans den Höhen unsers Lebens,
nicht auf dem Straßenpflaster, das wir täglich betreten müssen, und dessen
Abbild darum manchem von uns entbehrlich sein dürfte. Je näher Schmid
der Gegenwart kommt, desto mehr werden die Schwierigkeiten seiner Aufgabe
wachsen, aber unser Interesse auch, denn wir halten, um es kurz zu sagen,
diesen Anfang für eine ungewöhnliche und bedeutende Leistung, wobei wir nnr
bedauern, daß sie gerade in die Sündflut der Weihnachtsliteratnr hineingeraten
ist. Die taktvoll beschränkte und mit Zurückhaltung gewählte Illustration
bringt viel Neues, die Ausstattung ist fein, und der Preis so niedrig, daß
das Buch seinen Weg machen wird.




Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege
Friedrich Ratzel Aus dem Nachlaß von
I., Auf dem Marsch

is wir cun Abend des 6. August, es war gerade noch hell genug,
einen herrenlosen französischen Rotschimmel, der vergnügt in einem
Kleefeld weidete, aus der Na'he nicht mit einer bniitgcschecltcn
wiehernden Kuh zu verwechseln, über de" südlichen Teil des Schlacht¬
feldes von Spichern gegen Fvrbuch zu zogen, hob der Musketier
Reindel, seines Zeichens Schuster, einen im tiefen durchgeregneten
Ackerboden stecken gebliebner Schuh auf, einen kleinen schmalen Schuh wie für einen
Damenfuß, hielt ihn prüfend in die Höhe und sprach gelassen das Wort aus:


Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege

Es ist ja nicht so sehr viel, was von der deutschen Kunst dieser Periode
als dauernder historischer Bestand zurückbleibt, aber es ist immer gut, daß man
klar Übersicht, was man hat. Man bemerkt zum Beispiel, einen wie großen An¬
teil an diesem Plus die Landschaftsmalerei hat, wenn sie auch gar nicht immer
diesen Namen führt, und wie selten dagegen die reinen Figurenbilder sind,
die uns heute noch ganz befriedigen. In diesem Verhältnis spricht sich zu¬
gleich ein Gegensatz der deutschen und der romanischen Begabung aus, wie
denn unsre anspruchsvollen Historienbilder fast alle unter dem Eindruck italie¬
nischer oder französischer Vorbilder gemalt worden sind. Man hat in neuerer
Zeit ans ein paar längst vergessene ältere Künstler, den Dresdner Kaspar
Friedrich und den Hamburger Runge, als auf frühe Vorläufer einer spezifisch
deutschen Stimmungsmalerei hingewiesen, eine Entdeckung, die Schmid vor¬
sichtig ablehnend erwähnt. In einem Schlußwort über die doch im ganzen
unerfreuliche Plastik sagt er ausgleichend: „Aber die Meister waren stolz, die
wahre Plastik gefunden zu haben, und weithin, besonders im europäischen
Norden, wurden sie bewundert, mehr als die heutige deutsche Plastik, die sich
de» Rauch und Genossen so überlegen fühlt und doch im Ausland kaum
bekannt ist," Dieses wahre Wort zeigt, daß er seinen ersten Band im Überblick
des Ganzen bis auf die Gegenwart geschrieben hat. Er hätte auch in bezug
auf die Kartonmalcr noch eins hervorheben können, was für alle gilt, auch
für Kaulbach, Diese Müuuer suchten ihr Ideal ans den Höhen unsers Lebens,
nicht auf dem Straßenpflaster, das wir täglich betreten müssen, und dessen
Abbild darum manchem von uns entbehrlich sein dürfte. Je näher Schmid
der Gegenwart kommt, desto mehr werden die Schwierigkeiten seiner Aufgabe
wachsen, aber unser Interesse auch, denn wir halten, um es kurz zu sagen,
diesen Anfang für eine ungewöhnliche und bedeutende Leistung, wobei wir nnr
bedauern, daß sie gerade in die Sündflut der Weihnachtsliteratnr hineingeraten
ist. Die taktvoll beschränkte und mit Zurückhaltung gewählte Illustration
bringt viel Neues, die Ausstattung ist fein, und der Preis so niedrig, daß
das Buch seinen Weg machen wird.




Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege
Friedrich Ratzel Aus dem Nachlaß von
I., Auf dem Marsch

is wir cun Abend des 6. August, es war gerade noch hell genug,
einen herrenlosen französischen Rotschimmel, der vergnügt in einem
Kleefeld weidete, aus der Na'he nicht mit einer bniitgcschecltcn
wiehernden Kuh zu verwechseln, über de» südlichen Teil des Schlacht¬
feldes von Spichern gegen Fvrbuch zu zogen, hob der Musketier
Reindel, seines Zeichens Schuster, einen im tiefen durchgeregneten
Ackerboden stecken gebliebner Schuh auf, einen kleinen schmalen Schuh wie für einen
Damenfuß, hielt ihn prüfend in die Höhe und sprach gelassen das Wort aus:


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[0048] Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege Es ist ja nicht so sehr viel, was von der deutschen Kunst dieser Periode als dauernder historischer Bestand zurückbleibt, aber es ist immer gut, daß man klar Übersicht, was man hat. Man bemerkt zum Beispiel, einen wie großen An¬ teil an diesem Plus die Landschaftsmalerei hat, wenn sie auch gar nicht immer diesen Namen führt, und wie selten dagegen die reinen Figurenbilder sind, die uns heute noch ganz befriedigen. In diesem Verhältnis spricht sich zu¬ gleich ein Gegensatz der deutschen und der romanischen Begabung aus, wie denn unsre anspruchsvollen Historienbilder fast alle unter dem Eindruck italie¬ nischer oder französischer Vorbilder gemalt worden sind. Man hat in neuerer Zeit ans ein paar längst vergessene ältere Künstler, den Dresdner Kaspar Friedrich und den Hamburger Runge, als auf frühe Vorläufer einer spezifisch deutschen Stimmungsmalerei hingewiesen, eine Entdeckung, die Schmid vor¬ sichtig ablehnend erwähnt. In einem Schlußwort über die doch im ganzen unerfreuliche Plastik sagt er ausgleichend: „Aber die Meister waren stolz, die wahre Plastik gefunden zu haben, und weithin, besonders im europäischen Norden, wurden sie bewundert, mehr als die heutige deutsche Plastik, die sich de» Rauch und Genossen so überlegen fühlt und doch im Ausland kaum bekannt ist," Dieses wahre Wort zeigt, daß er seinen ersten Band im Überblick des Ganzen bis auf die Gegenwart geschrieben hat. Er hätte auch in bezug auf die Kartonmalcr noch eins hervorheben können, was für alle gilt, auch für Kaulbach, Diese Müuuer suchten ihr Ideal ans den Höhen unsers Lebens, nicht auf dem Straßenpflaster, das wir täglich betreten müssen, und dessen Abbild darum manchem von uns entbehrlich sein dürfte. Je näher Schmid der Gegenwart kommt, desto mehr werden die Schwierigkeiten seiner Aufgabe wachsen, aber unser Interesse auch, denn wir halten, um es kurz zu sagen, diesen Anfang für eine ungewöhnliche und bedeutende Leistung, wobei wir nnr bedauern, daß sie gerade in die Sündflut der Weihnachtsliteratnr hineingeraten ist. Die taktvoll beschränkte und mit Zurückhaltung gewählte Illustration bringt viel Neues, die Ausstattung ist fein, und der Preis so niedrig, daß das Buch seinen Weg machen wird. Bilder aus dem deutsch-französischen Kriege Friedrich Ratzel Aus dem Nachlaß von I., Auf dem Marsch is wir cun Abend des 6. August, es war gerade noch hell genug, einen herrenlosen französischen Rotschimmel, der vergnügt in einem Kleefeld weidete, aus der Na'he nicht mit einer bniitgcschecltcn wiehernden Kuh zu verwechseln, über de» südlichen Teil des Schlacht¬ feldes von Spichern gegen Fvrbuch zu zogen, hob der Musketier Reindel, seines Zeichens Schuster, einen im tiefen durchgeregneten Ackerboden stecken gebliebner Schuh auf, einen kleinen schmalen Schuh wie für einen Damenfuß, hielt ihn prüfend in die Höhe und sprach gelassen das Wort aus:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/48>, abgerufen am 04.05.2024.