Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Herrenmenschen

Werk schon früh zu schätzen wußte. Überraschend früh sogar müssen wir sagen,
wenn wir bedenken, wie neu, wie stark abweichend vom Gewohnten der Inhalt
war. Man liest oft Klagen darüber, daß Beethoven von seinen Zeitgenossen
nicht verstanden worden sei. Diese sind völlig ungerechtfertigt. Es ist viel¬
mehr überraschend, wie schnell das damalige musikalische Publikum Beethovens
neue Ideen aufnahm, sich mit seinen nach jeder Richtung hin außergewöhn¬
liches bietenden Werken befreundete. Viel dürfte dazu beigetragen haben der
glückliche Umstand, daß sich geistig hochstehende Männer, wie der genannte
Rochlitz, warm für die Musik interessierten und ihren Einfluß geltend machten.
Der Stand der musikalischen Kultur war damals, so dürfen wir sagen, über¬
haupt ein höherer, die Musik viel mehr eine allgemeine Sache der Menschheit
als heute, wo zwar viel in die Breite aber wenig nach der Tiefe hin getan
wird. Die Zeit Beethovens war seiner würdig, das hat sie durch die gute
Aufnahme seiner Kompositionen, das hat sie vor allem mit dem freudigen
Willkommen, das sie seinem ersten unsterblichen Monumentalwerke, der Eroica,
Aarl Res entbot, bewiesen. _




Herrenmenschen
Fritz Anders (Rax Allihn) Roman von
^. Prometheus
(Fortsetzung)

gauges Schweigen, lebhaft aufsteigender Zigarrenrauch, große Auf¬
merksamkeit, tiefe Ergriffenheit. Doktor Rambor" hatte sich in seinem
Lehnstuhle zurückgelehnt und bohrte seine Augen in das Bild hinein,
Pogge ließ seine Stirnlocke über die Augen fallen, rückte auf seinem
Sessel hin und her und machte Bewegungen mit der Hand, als
lhabe er Ton in den Fingern und trete das Bildwerk mit Knöchel
und Daumen nach. Staffelsteiger wühlte mit der Hand in seinem Haarschopf und
war geistesabwesend, und der Amtshauptmann sah zweifelnd von einem auf den
andern und auf das Bild. Da hörte man aus dem Hintergrunde, wo Schwechting
auf der Rücklehne eines seiner Großvaterstühle hockte, einen tiefen Seufzer und den
Ausspruch: Hottsdonnerwetter! Nein scheußlich!

Groppoff nickte dem Redner zu, die andern aber fuhren betroffen und ent¬
rüstet auf.

Nanu? rief Pogge, Schwechting, Mensch! Dn hast wohl t' große Trallarum?

Es kam mir heraus gegen meinen Willen, sagte Schwechting. Da es aber
einmal geschehen ist, kann ich nur wiederholen: scheußlich, scheußlich!

Sage das ja nicht zu laut, erwiderte Pogge, sonst hören das unsre Kunst-
pvlizisten, halten dich für einen alten Tcipergreis und reißen deine Sa'adelnden
herunter, daß dir kein Mensch mehr einen lumpigen Quadratfuß Bild abkauft. --
Wissen Sie was, Staffelsteiger, keinen andern Hintergrund, schicken Sie Strunk
sein Bild zurück, wie es ist.

Ich finde aber doch, sagte Schwechting etwas eingeschüchtert, dieser Prometheus
ist hundemäßig gezeichnet. Es würde diesem Überpacktrciger zum Vorteil gereichen,
wenn er einen Überzieher anzöge. Und Überschuhe. Denn er hat ja Überbeine,
toller, als wenn ihn Genelli gezeichnet hätte. Menschenkinder, das soll ein Pro-


Herrenmenschen

Werk schon früh zu schätzen wußte. Überraschend früh sogar müssen wir sagen,
wenn wir bedenken, wie neu, wie stark abweichend vom Gewohnten der Inhalt
war. Man liest oft Klagen darüber, daß Beethoven von seinen Zeitgenossen
nicht verstanden worden sei. Diese sind völlig ungerechtfertigt. Es ist viel¬
mehr überraschend, wie schnell das damalige musikalische Publikum Beethovens
neue Ideen aufnahm, sich mit seinen nach jeder Richtung hin außergewöhn¬
liches bietenden Werken befreundete. Viel dürfte dazu beigetragen haben der
glückliche Umstand, daß sich geistig hochstehende Männer, wie der genannte
Rochlitz, warm für die Musik interessierten und ihren Einfluß geltend machten.
Der Stand der musikalischen Kultur war damals, so dürfen wir sagen, über¬
haupt ein höherer, die Musik viel mehr eine allgemeine Sache der Menschheit
als heute, wo zwar viel in die Breite aber wenig nach der Tiefe hin getan
wird. Die Zeit Beethovens war seiner würdig, das hat sie durch die gute
Aufnahme seiner Kompositionen, das hat sie vor allem mit dem freudigen
Willkommen, das sie seinem ersten unsterblichen Monumentalwerke, der Eroica,
Aarl Res entbot, bewiesen. _




Herrenmenschen
Fritz Anders (Rax Allihn) Roman von
^. Prometheus
(Fortsetzung)

gauges Schweigen, lebhaft aufsteigender Zigarrenrauch, große Auf¬
merksamkeit, tiefe Ergriffenheit. Doktor Rambor» hatte sich in seinem
Lehnstuhle zurückgelehnt und bohrte seine Augen in das Bild hinein,
Pogge ließ seine Stirnlocke über die Augen fallen, rückte auf seinem
Sessel hin und her und machte Bewegungen mit der Hand, als
lhabe er Ton in den Fingern und trete das Bildwerk mit Knöchel
und Daumen nach. Staffelsteiger wühlte mit der Hand in seinem Haarschopf und
war geistesabwesend, und der Amtshauptmann sah zweifelnd von einem auf den
andern und auf das Bild. Da hörte man aus dem Hintergrunde, wo Schwechting
auf der Rücklehne eines seiner Großvaterstühle hockte, einen tiefen Seufzer und den
Ausspruch: Hottsdonnerwetter! Nein scheußlich!

Groppoff nickte dem Redner zu, die andern aber fuhren betroffen und ent¬
rüstet auf.

Nanu? rief Pogge, Schwechting, Mensch! Dn hast wohl t' große Trallarum?

Es kam mir heraus gegen meinen Willen, sagte Schwechting. Da es aber
einmal geschehen ist, kann ich nur wiederholen: scheußlich, scheußlich!

Sage das ja nicht zu laut, erwiderte Pogge, sonst hören das unsre Kunst-
pvlizisten, halten dich für einen alten Tcipergreis und reißen deine Sa'adelnden
herunter, daß dir kein Mensch mehr einen lumpigen Quadratfuß Bild abkauft. —
Wissen Sie was, Staffelsteiger, keinen andern Hintergrund, schicken Sie Strunk
sein Bild zurück, wie es ist.

Ich finde aber doch, sagte Schwechting etwas eingeschüchtert, dieser Prometheus
ist hundemäßig gezeichnet. Es würde diesem Überpacktrciger zum Vorteil gereichen,
wenn er einen Überzieher anzöge. Und Überschuhe. Denn er hat ja Überbeine,
toller, als wenn ihn Genelli gezeichnet hätte. Menschenkinder, das soll ein Pro-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0626" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/88104"/>
            <fw type="header" place="top"> Herrenmenschen</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2634" prev="#ID_2633"> Werk schon früh zu schätzen wußte. Überraschend früh sogar müssen wir sagen,<lb/>
wenn wir bedenken, wie neu, wie stark abweichend vom Gewohnten der Inhalt<lb/>
war. Man liest oft Klagen darüber, daß Beethoven von seinen Zeitgenossen<lb/>
nicht verstanden worden sei. Diese sind völlig ungerechtfertigt. Es ist viel¬<lb/>
mehr überraschend, wie schnell das damalige musikalische Publikum Beethovens<lb/>
neue Ideen aufnahm, sich mit seinen nach jeder Richtung hin außergewöhn¬<lb/>
liches bietenden Werken befreundete. Viel dürfte dazu beigetragen haben der<lb/>
glückliche Umstand, daß sich geistig hochstehende Männer, wie der genannte<lb/>
Rochlitz, warm für die Musik interessierten und ihren Einfluß geltend machten.<lb/>
Der Stand der musikalischen Kultur war damals, so dürfen wir sagen, über¬<lb/>
haupt ein höherer, die Musik viel mehr eine allgemeine Sache der Menschheit<lb/>
als heute, wo zwar viel in die Breite aber wenig nach der Tiefe hin getan<lb/>
wird. Die Zeit Beethovens war seiner würdig, das hat sie durch die gute<lb/>
Aufnahme seiner Kompositionen, das hat sie vor allem mit dem freudigen<lb/>
Willkommen, das sie seinem ersten unsterblichen Monumentalwerke, der Eroica,<lb/><note type="byline"> Aarl Res</note> entbot, bewiesen. _ </p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Herrenmenschen<lb/><note type="byline"> Fritz Anders (Rax Allihn)</note> Roman von</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> ^. Prometheus<lb/>
(Fortsetzung)</head><lb/>
            <p xml:id="ID_2635"> gauges Schweigen, lebhaft aufsteigender Zigarrenrauch, große Auf¬<lb/>
merksamkeit, tiefe Ergriffenheit. Doktor Rambor» hatte sich in seinem<lb/>
Lehnstuhle zurückgelehnt und bohrte seine Augen in das Bild hinein,<lb/>
Pogge ließ seine Stirnlocke über die Augen fallen, rückte auf seinem<lb/>
Sessel hin und her und machte Bewegungen mit der Hand, als<lb/>
lhabe er Ton in den Fingern und trete das Bildwerk mit Knöchel<lb/>
und Daumen nach. Staffelsteiger wühlte mit der Hand in seinem Haarschopf und<lb/>
war geistesabwesend, und der Amtshauptmann sah zweifelnd von einem auf den<lb/>
andern und auf das Bild. Da hörte man aus dem Hintergrunde, wo Schwechting<lb/>
auf der Rücklehne eines seiner Großvaterstühle hockte, einen tiefen Seufzer und den<lb/>
Ausspruch: Hottsdonnerwetter!  Nein scheußlich!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2636"> Groppoff nickte dem Redner zu, die andern aber fuhren betroffen und ent¬<lb/>
rüstet auf.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2637"> Nanu? rief Pogge, Schwechting, Mensch! Dn hast wohl t' große Trallarum?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2638"> Es kam mir heraus gegen meinen Willen, sagte Schwechting. Da es aber<lb/>
einmal geschehen ist, kann ich nur wiederholen: scheußlich, scheußlich!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2639"> Sage das ja nicht zu laut, erwiderte Pogge, sonst hören das unsre Kunst-<lb/>
pvlizisten, halten dich für einen alten Tcipergreis und reißen deine Sa'adelnden<lb/>
herunter, daß dir kein Mensch mehr einen lumpigen Quadratfuß Bild abkauft. &#x2014;<lb/>
Wissen Sie was, Staffelsteiger, keinen andern Hintergrund, schicken Sie Strunk<lb/>
sein Bild zurück, wie es ist.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_2640" next="#ID_2641"> Ich finde aber doch, sagte Schwechting etwas eingeschüchtert, dieser Prometheus<lb/>
ist hundemäßig gezeichnet. Es würde diesem Überpacktrciger zum Vorteil gereichen,<lb/>
wenn er einen Überzieher anzöge. Und Überschuhe. Denn er hat ja Überbeine,<lb/>
toller, als wenn ihn Genelli gezeichnet hätte.  Menschenkinder, das soll ein Pro-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0626] Herrenmenschen Werk schon früh zu schätzen wußte. Überraschend früh sogar müssen wir sagen, wenn wir bedenken, wie neu, wie stark abweichend vom Gewohnten der Inhalt war. Man liest oft Klagen darüber, daß Beethoven von seinen Zeitgenossen nicht verstanden worden sei. Diese sind völlig ungerechtfertigt. Es ist viel¬ mehr überraschend, wie schnell das damalige musikalische Publikum Beethovens neue Ideen aufnahm, sich mit seinen nach jeder Richtung hin außergewöhn¬ liches bietenden Werken befreundete. Viel dürfte dazu beigetragen haben der glückliche Umstand, daß sich geistig hochstehende Männer, wie der genannte Rochlitz, warm für die Musik interessierten und ihren Einfluß geltend machten. Der Stand der musikalischen Kultur war damals, so dürfen wir sagen, über¬ haupt ein höherer, die Musik viel mehr eine allgemeine Sache der Menschheit als heute, wo zwar viel in die Breite aber wenig nach der Tiefe hin getan wird. Die Zeit Beethovens war seiner würdig, das hat sie durch die gute Aufnahme seiner Kompositionen, das hat sie vor allem mit dem freudigen Willkommen, das sie seinem ersten unsterblichen Monumentalwerke, der Eroica, Aarl Res entbot, bewiesen. _ Herrenmenschen Fritz Anders (Rax Allihn) Roman von ^. Prometheus (Fortsetzung) gauges Schweigen, lebhaft aufsteigender Zigarrenrauch, große Auf¬ merksamkeit, tiefe Ergriffenheit. Doktor Rambor» hatte sich in seinem Lehnstuhle zurückgelehnt und bohrte seine Augen in das Bild hinein, Pogge ließ seine Stirnlocke über die Augen fallen, rückte auf seinem Sessel hin und her und machte Bewegungen mit der Hand, als lhabe er Ton in den Fingern und trete das Bildwerk mit Knöchel und Daumen nach. Staffelsteiger wühlte mit der Hand in seinem Haarschopf und war geistesabwesend, und der Amtshauptmann sah zweifelnd von einem auf den andern und auf das Bild. Da hörte man aus dem Hintergrunde, wo Schwechting auf der Rücklehne eines seiner Großvaterstühle hockte, einen tiefen Seufzer und den Ausspruch: Hottsdonnerwetter! Nein scheußlich! Groppoff nickte dem Redner zu, die andern aber fuhren betroffen und ent¬ rüstet auf. Nanu? rief Pogge, Schwechting, Mensch! Dn hast wohl t' große Trallarum? Es kam mir heraus gegen meinen Willen, sagte Schwechting. Da es aber einmal geschehen ist, kann ich nur wiederholen: scheußlich, scheußlich! Sage das ja nicht zu laut, erwiderte Pogge, sonst hören das unsre Kunst- pvlizisten, halten dich für einen alten Tcipergreis und reißen deine Sa'adelnden herunter, daß dir kein Mensch mehr einen lumpigen Quadratfuß Bild abkauft. — Wissen Sie was, Staffelsteiger, keinen andern Hintergrund, schicken Sie Strunk sein Bild zurück, wie es ist. Ich finde aber doch, sagte Schwechting etwas eingeschüchtert, dieser Prometheus ist hundemäßig gezeichnet. Es würde diesem Überpacktrciger zum Vorteil gereichen, wenn er einen Überzieher anzöge. Und Überschuhe. Denn er hat ja Überbeine, toller, als wenn ihn Genelli gezeichnet hätte. Menschenkinder, das soll ein Pro-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/626
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/626>, abgerufen am 03.05.2024.