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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Fortschritte, die trotz den höhern Schutzzöllen erfolgen, die auf die Agrarausfuhr
und sonstiges Gedeihen zurückgehn; Deutschland zeigt eine sehr starke Zunahme
seines Außenhandels, die also wenigstens durch seine Schutzzölle nicht gehindert
worden ist; sie beruht hauptsächlich auf seiner Kaufkraft für Rohstoffe, Kolonial-
waren und Lebensmittel, für die wir durch Industrie- und Kapitalexport sowie
durch unsre großen Reedereien die Zahlung zu beschaffen imstande waren." Einige
Spezialisten haben Schmoller scharf angegriffen und über sein Werk absprechend
geurteilt. Daß jeder Spezialist in seinem Fach besser Bescheid weiß als einer,
der das ganze Gebiet einer Wissenschaft bearbeitet, ist bei dem heutigen Umfang
und Inhalt der Wissenschaften weder zu verwundern noch zu vermeiden. Der
Nachweis von einzelnen Irrtümern, falls er gelungen sein sollte, kann den Wert
des vorliegenden großen Werkes nicht wesentlich beeinträchtigen.


Ein neuer Plutarch.

Unter dem Titel: Goethe, Humboldt, Darwin,
Haeckel hat Walther May, Privatdozent an der Technischen Hochschule in
Karlsruhe (bei Enno Quedl in Berlin-Steglitz, 1904) vier Vorträge herausgegeben,
die vier interessante Parallelen ziehn: Goethe und Humboldt, Goethe und Darwin,
Humboldt und Darwin, Darwin und Haeckel. Das Buch ist Leuten zu empfehlen,
die Belehrung in der Form angenehmer Unterhaltung lieben. Nur sollen sie das
hier Dargebotne nicht ohne eigne Kritik oder den Beistand eines kritischen Beraters
hinnehmen. Zwar gegen die geistreich und mit Verständnis durchgeführten Parallelen
ist nichts einzuwenden, und in dem über Humboldt Gesagten findet sich nichts Be¬
denkliches. Auch die Frage, wie weit Goethe für die Deszendenztheorie in Anspruch
genommen werden dürfe, wird mit anerkennenswerter Vorsicht und Gründlichkeit
behandelt, aber den Dioskuren Darwin und Haeckel steht der Verfasser mit so un¬
beschränkter Bewundrung gegenüber, daß er ans Kritik vollständig verzichtet. Gerade
das uichtfachmännische Publikum, zu dem er spricht, hat doch Anspruch darauf, zu
erfahren, wie die beiden vom Standpunkte der heutigen Biologie und Philosophie
aus zu beurteilen sind. Er erwähnt nur, mit Ausdrücken entschiedner Mißbilligung,
die Einwendungen, die Virchow 1877 auf der Münchner Naturforscherversammlung
gegen die von Haeckel geforderte Einführung der darwinischen Hypothese in die
Schulen erhoben hatte, aber damit ist weder die darwinische noch die haeckelsche
Form der Entwicklungslehre kritisiert.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig -- Druck von Karl Marquart in Leipzig





Maßgebliches und Unmaßgebliches

Fortschritte, die trotz den höhern Schutzzöllen erfolgen, die auf die Agrarausfuhr
und sonstiges Gedeihen zurückgehn; Deutschland zeigt eine sehr starke Zunahme
seines Außenhandels, die also wenigstens durch seine Schutzzölle nicht gehindert
worden ist; sie beruht hauptsächlich auf seiner Kaufkraft für Rohstoffe, Kolonial-
waren und Lebensmittel, für die wir durch Industrie- und Kapitalexport sowie
durch unsre großen Reedereien die Zahlung zu beschaffen imstande waren." Einige
Spezialisten haben Schmoller scharf angegriffen und über sein Werk absprechend
geurteilt. Daß jeder Spezialist in seinem Fach besser Bescheid weiß als einer,
der das ganze Gebiet einer Wissenschaft bearbeitet, ist bei dem heutigen Umfang
und Inhalt der Wissenschaften weder zu verwundern noch zu vermeiden. Der
Nachweis von einzelnen Irrtümern, falls er gelungen sein sollte, kann den Wert
des vorliegenden großen Werkes nicht wesentlich beeinträchtigen.


Ein neuer Plutarch.

Unter dem Titel: Goethe, Humboldt, Darwin,
Haeckel hat Walther May, Privatdozent an der Technischen Hochschule in
Karlsruhe (bei Enno Quedl in Berlin-Steglitz, 1904) vier Vorträge herausgegeben,
die vier interessante Parallelen ziehn: Goethe und Humboldt, Goethe und Darwin,
Humboldt und Darwin, Darwin und Haeckel. Das Buch ist Leuten zu empfehlen,
die Belehrung in der Form angenehmer Unterhaltung lieben. Nur sollen sie das
hier Dargebotne nicht ohne eigne Kritik oder den Beistand eines kritischen Beraters
hinnehmen. Zwar gegen die geistreich und mit Verständnis durchgeführten Parallelen
ist nichts einzuwenden, und in dem über Humboldt Gesagten findet sich nichts Be¬
denkliches. Auch die Frage, wie weit Goethe für die Deszendenztheorie in Anspruch
genommen werden dürfe, wird mit anerkennenswerter Vorsicht und Gründlichkeit
behandelt, aber den Dioskuren Darwin und Haeckel steht der Verfasser mit so un¬
beschränkter Bewundrung gegenüber, daß er ans Kritik vollständig verzichtet. Gerade
das uichtfachmännische Publikum, zu dem er spricht, hat doch Anspruch darauf, zu
erfahren, wie die beiden vom Standpunkte der heutigen Biologie und Philosophie
aus zu beurteilen sind. Er erwähnt nur, mit Ausdrücken entschiedner Mißbilligung,
die Einwendungen, die Virchow 1877 auf der Münchner Naturforscherversammlung
gegen die von Haeckel geforderte Einführung der darwinischen Hypothese in die
Schulen erhoben hatte, aber damit ist weder die darwinische noch die haeckelsche
Form der Entwicklungslehre kritisiert.




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig





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[0696] Maßgebliches und Unmaßgebliches Fortschritte, die trotz den höhern Schutzzöllen erfolgen, die auf die Agrarausfuhr und sonstiges Gedeihen zurückgehn; Deutschland zeigt eine sehr starke Zunahme seines Außenhandels, die also wenigstens durch seine Schutzzölle nicht gehindert worden ist; sie beruht hauptsächlich auf seiner Kaufkraft für Rohstoffe, Kolonial- waren und Lebensmittel, für die wir durch Industrie- und Kapitalexport sowie durch unsre großen Reedereien die Zahlung zu beschaffen imstande waren." Einige Spezialisten haben Schmoller scharf angegriffen und über sein Werk absprechend geurteilt. Daß jeder Spezialist in seinem Fach besser Bescheid weiß als einer, der das ganze Gebiet einer Wissenschaft bearbeitet, ist bei dem heutigen Umfang und Inhalt der Wissenschaften weder zu verwundern noch zu vermeiden. Der Nachweis von einzelnen Irrtümern, falls er gelungen sein sollte, kann den Wert des vorliegenden großen Werkes nicht wesentlich beeinträchtigen. Ein neuer Plutarch. Unter dem Titel: Goethe, Humboldt, Darwin, Haeckel hat Walther May, Privatdozent an der Technischen Hochschule in Karlsruhe (bei Enno Quedl in Berlin-Steglitz, 1904) vier Vorträge herausgegeben, die vier interessante Parallelen ziehn: Goethe und Humboldt, Goethe und Darwin, Humboldt und Darwin, Darwin und Haeckel. Das Buch ist Leuten zu empfehlen, die Belehrung in der Form angenehmer Unterhaltung lieben. Nur sollen sie das hier Dargebotne nicht ohne eigne Kritik oder den Beistand eines kritischen Beraters hinnehmen. Zwar gegen die geistreich und mit Verständnis durchgeführten Parallelen ist nichts einzuwenden, und in dem über Humboldt Gesagten findet sich nichts Be¬ denkliches. Auch die Frage, wie weit Goethe für die Deszendenztheorie in Anspruch genommen werden dürfe, wird mit anerkennenswerter Vorsicht und Gründlichkeit behandelt, aber den Dioskuren Darwin und Haeckel steht der Verfasser mit so un¬ beschränkter Bewundrung gegenüber, daß er ans Kritik vollständig verzichtet. Gerade das uichtfachmännische Publikum, zu dem er spricht, hat doch Anspruch darauf, zu erfahren, wie die beiden vom Standpunkte der heutigen Biologie und Philosophie aus zu beurteilen sind. Er erwähnt nur, mit Ausdrücken entschiedner Mißbilligung, die Einwendungen, die Virchow 1877 auf der Münchner Naturforscherversammlung gegen die von Haeckel geforderte Einführung der darwinischen Hypothese in die Schulen erhoben hatte, aber damit ist weder die darwinische noch die haeckelsche Form der Entwicklungslehre kritisiert. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig — Druck von Karl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/696>, abgerufen am 03.05.2024.