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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr.

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Über einen mütterlichen Ahnen Bismarcks

dichtungen in genialer Hand zu Früchten der Weltliteratur ausreiften, er hat
sich in stillen Stunden der Alterseinkehr getrost den Ruhm zuerkennen können,
daß sein eignes Hauptverdienst auf dem Gebiete der Prosa zu suchen ist, und
zwar der französischen sowohl als der provenzalischen. Denn Noumanille
schreibt in beiden Sprachen mit der ungezwungner Frische des echten Volks¬
kindes, dem die lehrreiche Berührung mit der klassischen Kunst der Griechen
und der Römer den Formensinn ohne Schmälerung seiner urwüchsigen Art
zum Bewußtsein gebracht hat. Mit Fug und Recht heißt er ein "christlicher
Rabelais," ein provenzalischer "Teniers."

(Schluß folgt)




Über einen mütterlichen Ahnen Bismarcks
Stephan Ueknle von Stradonitz von
(Nachdruck nur mit Genehmigung des Verfassers erlaubt)

Mchopenhauer hat die Meinung ausgesprochen, daß man den Charakter
!vom Vater und den Intellekt von der Mutter herleiten könne.
Ohne hier darauf eingehn zu wollen, ob diese Ansicht des Philo¬
sophen mit den Erfahrungstatsachen in Einklang zu bringen ist,
! sollte hier auf Schopenhauer nur deshalb verwiesen werden, weil
wir zeigen wollen, daß das Problem, um das es sich handelt, schon das Nach¬
denken großer Geister und der feinsten Köpfe herausgefordert hat. Auch auf
Goethes bekanntes Wort: "Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernstes
Führen; vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabulieren," das eine
große Ähnlichkeit des Gedankenganges mit dem Schopenhauers aufweist, soll
hier nur hingewiesen werden.

Für jeden nun, der sich mit den Fragen der psychischen und der moralischen
Vererbung befaßt hat, muß sich die Untersuchung der Ahnentafel eines Mannes
wie des ersten Kanzlers des Deutschen Reiches, des Fürsten Otto von Bismnrck,
als ein besonders anziehender Gegenstand erweisen. Und merkwürdigerweise
springt es auch bei ihm sogleich in die Augen, daß der Intellekt wohl kaum
von der Vatersseite her stammen kann, daß Bismarck dagegen das Glück hatte,
eine höchst begabte Mutter zu haben, während sich im Charakter des Vaters
scheinbar Anklänge an den des großen Sohnes finden.

Ich gebe zunächst die Ahnentafel Otto von Bismarcks, wie sie durch Dr.
Walther Gräbner, einen tüchtigen und fleißigen jüngern Genealogen, im
"Deutschen Herold" (XXXI, Ur. 5 vom Mai 1900, S. 93) vor einigen Jahren
veröffentlicht worden ist.

Diese Ahnentafel ergibt als Eltern von Otto Eduard Leopold von Bis¬
marck, geboren zu Schönhausen den 1. April 1815, gestorben zu Friedrichsruh
den 30. Juni 1898:

1. Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck, geboren zu Schönhausen den
13. November 1771, f ebenda den 22. November 1845, Könlgl. Preußischen Ritt-


Über einen mütterlichen Ahnen Bismarcks

dichtungen in genialer Hand zu Früchten der Weltliteratur ausreiften, er hat
sich in stillen Stunden der Alterseinkehr getrost den Ruhm zuerkennen können,
daß sein eignes Hauptverdienst auf dem Gebiete der Prosa zu suchen ist, und
zwar der französischen sowohl als der provenzalischen. Denn Noumanille
schreibt in beiden Sprachen mit der ungezwungner Frische des echten Volks¬
kindes, dem die lehrreiche Berührung mit der klassischen Kunst der Griechen
und der Römer den Formensinn ohne Schmälerung seiner urwüchsigen Art
zum Bewußtsein gebracht hat. Mit Fug und Recht heißt er ein „christlicher
Rabelais," ein provenzalischer „Teniers."

(Schluß folgt)




Über einen mütterlichen Ahnen Bismarcks
Stephan Ueknle von Stradonitz von
(Nachdruck nur mit Genehmigung des Verfassers erlaubt)

Mchopenhauer hat die Meinung ausgesprochen, daß man den Charakter
!vom Vater und den Intellekt von der Mutter herleiten könne.
Ohne hier darauf eingehn zu wollen, ob diese Ansicht des Philo¬
sophen mit den Erfahrungstatsachen in Einklang zu bringen ist,
! sollte hier auf Schopenhauer nur deshalb verwiesen werden, weil
wir zeigen wollen, daß das Problem, um das es sich handelt, schon das Nach¬
denken großer Geister und der feinsten Köpfe herausgefordert hat. Auch auf
Goethes bekanntes Wort: „Vom Vater hab ich die Statur, des Lebens ernstes
Führen; vom Mütterchen die Frohnatur und Lust zu fabulieren," das eine
große Ähnlichkeit des Gedankenganges mit dem Schopenhauers aufweist, soll
hier nur hingewiesen werden.

Für jeden nun, der sich mit den Fragen der psychischen und der moralischen
Vererbung befaßt hat, muß sich die Untersuchung der Ahnentafel eines Mannes
wie des ersten Kanzlers des Deutschen Reiches, des Fürsten Otto von Bismnrck,
als ein besonders anziehender Gegenstand erweisen. Und merkwürdigerweise
springt es auch bei ihm sogleich in die Augen, daß der Intellekt wohl kaum
von der Vatersseite her stammen kann, daß Bismarck dagegen das Glück hatte,
eine höchst begabte Mutter zu haben, während sich im Charakter des Vaters
scheinbar Anklänge an den des großen Sohnes finden.

Ich gebe zunächst die Ahnentafel Otto von Bismarcks, wie sie durch Dr.
Walther Gräbner, einen tüchtigen und fleißigen jüngern Genealogen, im
„Deutschen Herold" (XXXI, Ur. 5 vom Mai 1900, S. 93) vor einigen Jahren
veröffentlicht worden ist.

Diese Ahnentafel ergibt als Eltern von Otto Eduard Leopold von Bis¬
marck, geboren zu Schönhausen den 1. April 1815, gestorben zu Friedrichsruh
den 30. Juni 1898:

1. Karl Wilhelm Ferdinand von Bismarck, geboren zu Schönhausen den
13. November 1771, f ebenda den 22. November 1845, Könlgl. Preußischen Ritt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_298274/164>, abgerufen am 08.05.2024.