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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr.

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(Line Verspottung der radikalen Demokratie
im Altertum

ins griechische Lustspiel, worin die ätherische Demokratie am
schärfsten angegriffen wird, die "Ritter" des Aristvphnnes, hat
manche Beziehungen zu den Erscheinungen der Gegenwart, die
das Interesse moderner Leser anregen dürften. Auch Aristophanes
> selbst, den man wegen der Leichtigkeit und Meisterschaft in der
Sprache, wegen der Anmut, mit der er die schwierigsten Aufgabe" bewältigt,
wegen der Gewandtheit in Wortspieleu und im Versbau den Liebling der Grazien
genannt hat, verdient es nicht, in Vergessenheit begraben zu werden. Da seine
Komödien ein Reflex der Zustände zur Zeit des Peloponnesischeu Kriegs sind, so ist
zu dem Verständnis der "Ritter" freilich eine geschichtliche Einleitung unerläßlich.

Perikles war ein Opfer der Pest geworden, ein für Athen in der Tat
unersetzlicher Verlust. Thukydides sagt, daß unter ihm den? Namen nach die
Demokratie geherrscht habe, in Wahrheit aber sei es die Herrschaft des ersten
Mannes gewesen. Auf diesen ersten Mann folgten aber sehr untergeordnete
Größen. Während Perikles die Menge zu begeistern und zu den hohen Auf¬
gaben des Staats zu erheben verstand, herrschten seine Nachfolger dadurch, daß
sie den niedrigen Instinkten des Volks dienten und seiner Selbstsucht schmeichelten.
Auch den Aberglauben benutzten sie und wußten durch erdichtete Orakel, die
auf Bakis oder einen andern mythischen Scher zurückgeführt wurden, Stimmung
für ihre Zwecke zu machen. Große staatsmünnische Ideen traten kaum noch
hervor. Nach dem Tode des Perikles hatte zuerst ein gewisser Eukrntes, ein
Hanf- und Werghändler, auf der Rednertribüne Einfluß. Sein Nachfolger war
Lysikles, ein Viehhändler. Er kam im Kriege um. An seine Stelle trat Kleon-
Er wird ein Gerber genannt, weil er viele Sklaven unterhielt, die Felle gerbten
und Lederwaren bereiteten. Er war der Wortführer des polternden Kraft¬
gefühls der Menge und ihres Hasses gegen Männer von überlegner Bildung-
Zu den Mitteln, durch die er die Volksgunst gewann, gehört die Erhöhung
der Diäten für die Geschwornen, die verdreifacht und auf drei Obolen festgesetzt
wurden. Da sechstausend Athener jährlich zu den Geschwornengerichten aus¬
gelost wurden, so war ein großer Teil des Volks an dieser Maßregel interessiert.
Freilich lud dies dem Staate mitten in der schwersten Kriegszeit eine jährliche
Mehrausgabe von hundertundfunfzig Talenten auf.

Im siebenten Jahre des Krieges, 425 v. Chr., besetzte und befestigte der
ätherische Feldherr Demosthenes Pylos an der messenischen Küste. Der sich
dem Ort anschließende Hasen ist vielleicht der beste von ganz Griechenland; nach
der offnen See zu liegt vor ihm die Insel Sphakteria. Die Spartaner be-




(Line Verspottung der radikalen Demokratie
im Altertum

ins griechische Lustspiel, worin die ätherische Demokratie am
schärfsten angegriffen wird, die „Ritter" des Aristvphnnes, hat
manche Beziehungen zu den Erscheinungen der Gegenwart, die
das Interesse moderner Leser anregen dürften. Auch Aristophanes
> selbst, den man wegen der Leichtigkeit und Meisterschaft in der
Sprache, wegen der Anmut, mit der er die schwierigsten Aufgabe» bewältigt,
wegen der Gewandtheit in Wortspieleu und im Versbau den Liebling der Grazien
genannt hat, verdient es nicht, in Vergessenheit begraben zu werden. Da seine
Komödien ein Reflex der Zustände zur Zeit des Peloponnesischeu Kriegs sind, so ist
zu dem Verständnis der „Ritter" freilich eine geschichtliche Einleitung unerläßlich.

Perikles war ein Opfer der Pest geworden, ein für Athen in der Tat
unersetzlicher Verlust. Thukydides sagt, daß unter ihm den? Namen nach die
Demokratie geherrscht habe, in Wahrheit aber sei es die Herrschaft des ersten
Mannes gewesen. Auf diesen ersten Mann folgten aber sehr untergeordnete
Größen. Während Perikles die Menge zu begeistern und zu den hohen Auf¬
gaben des Staats zu erheben verstand, herrschten seine Nachfolger dadurch, daß
sie den niedrigen Instinkten des Volks dienten und seiner Selbstsucht schmeichelten.
Auch den Aberglauben benutzten sie und wußten durch erdichtete Orakel, die
auf Bakis oder einen andern mythischen Scher zurückgeführt wurden, Stimmung
für ihre Zwecke zu machen. Große staatsmünnische Ideen traten kaum noch
hervor. Nach dem Tode des Perikles hatte zuerst ein gewisser Eukrntes, ein
Hanf- und Werghändler, auf der Rednertribüne Einfluß. Sein Nachfolger war
Lysikles, ein Viehhändler. Er kam im Kriege um. An seine Stelle trat Kleon-
Er wird ein Gerber genannt, weil er viele Sklaven unterhielt, die Felle gerbten
und Lederwaren bereiteten. Er war der Wortführer des polternden Kraft¬
gefühls der Menge und ihres Hasses gegen Männer von überlegner Bildung-
Zu den Mitteln, durch die er die Volksgunst gewann, gehört die Erhöhung
der Diäten für die Geschwornen, die verdreifacht und auf drei Obolen festgesetzt
wurden. Da sechstausend Athener jährlich zu den Geschwornengerichten aus¬
gelost wurden, so war ein großer Teil des Volks an dieser Maßregel interessiert.
Freilich lud dies dem Staate mitten in der schwersten Kriegszeit eine jährliche
Mehrausgabe von hundertundfunfzig Talenten auf.

Im siebenten Jahre des Krieges, 425 v. Chr., besetzte und befestigte der
ätherische Feldherr Demosthenes Pylos an der messenischen Küste. Der sich
dem Ort anschließende Hasen ist vielleicht der beste von ganz Griechenland; nach
der offnen See zu liegt vor ihm die Insel Sphakteria. Die Spartaner be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_298274/260>, abgerufen am 08.05.2024.