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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zwischen dem 31. Dezember und dem 4. Januar ist es ein Jahr gewesen,
daß die Abteilung Meister durch Tngesglut und Nachtfrost, durch Dünen und
Klippen auf Großnabas marschierte, vierundfünfzig Stunden fast verschmachtend
gegen eine wohlgedeckte fünffache Übermacht im Fcnergefecht lag und endlich am
dritten Kampftage die Wasserstelle erstürmte. Die Batterie der Abteilung verlor
sämtliche Offiziere, bei zwei Geschützen fielen sämtliche Bedienungsmannschaften. Der
Gesamtverlust der Abteilung betrug fast fünfzig Prozent der Gefechtstärke.

Denken in diesen Tagen außer den Angehörigen so viele so warm der fernen
Toten, wie es dem deutschen Volke ziemt, und wie es die tapfern Kämpfer verdient
haben? Vielleicht trägt der Verlag der Heeresbilder Sorge, daß übers Jahr die
fernen Gräber weniger vergessen sind.


Ludwig Uemmer
Krauskopf.")

So wäre denn unser Herzens- und Schmerzenssohn Detmar
glücklich ans Ziel gebracht! Kein kleines Stück Arbeit für seinen Schöpfer! Denn
dieser Detmar ist ein Universalgenie, das mit einundzwanzig Jahren schon drei
Fakultäten dnrchschmaruzt und Wunderkuren verrichtet hat -- Doktor und Professor
mag er nicht werden, nur praktischer Arzt und Menschenfreund --, dabei auch aller
schönen Künste Meister ist, sodaß er beinahe Wagnersänger geworden wäre; und
um ihn mit eilten diesen Vorzügen ausstatten zu können, mußte sie sein Schöpfer
doch selbst erworben haben. Wir finden das Urbild des deutschen Jünglings in
Bonn wieder, am Arndtdenkmale, mit himmelhochjanchzendem und zum Tode be¬
trübtem Herzen. Denn sein Freund Ferdinand hatte ihm vor der Abreise aus der
westfälischen Heimat den gefährlichen Auftrag gegeben, für ihn bei der holden Agnes
zu werben, und er hatte -- natürlich unbewußt -- für sich selbst geworben. Der
Gefahr, zum Verräter am Freunde zu werden, entrückt ihn dieser, indem er, von
einem Frömmigkeitsraptns ergriffen, irdischer Liebe entsagt, aber um die Geliebte
bringt ihn der Saufteufel. Des gläubigen Vaters Gebot gehorchend, tritt er in
die katholische Verbindung Bavnria ein, deren Mitglieder die Glnubeuszweifel im
Bierdusel ersticken, und dort ersäuft er seinen Liebeskummer. Zwar treibt ihn rohes
Geschimpf auf Luther aus dieser Gesellschaft in eine andre Verbindung, die mehr
Geist hat -- die Vertreter zweier Verbindungen verschiedner Richtung werben um
ihn und erörtern dabei die großen Fragen der Menschheit im drolligsten, ulkigsten
Studentenjnrgvn --, aber die bei den "Papparen" angenommne Gewohnheit eines
überreichlicher Früh- und Abendschvppens behält er bei, und als Tante Johanna
und Agnes einmal zum Besuch kommen, macht er den Eindruck eines Säufers.
Entsetzt flieht Agnes vor ihrem verpfuschten Ideal ins Kloster, und Dettuar will
sich entleihen. Eines Drehorgelspielers "O du lieber Augustin" und ein Sozial-
demokrat, ein ausnahmsweise feiner Genosse, bewahren ihn vor der Torheit. Der
sozialistische, philosophisch gebildete Gerbcrmeister führt ihn in Feuerbach, David
Strauß. Vogt und Büchner ein, und als vollendeter Stoffpintscher, wie der Patohm
die Sorte nenut, geht er uach München. Dort lebt er ausschließlich ernstem Studium
und arbeitet sich aus der Stvffpintscherei wieder zum Licht und zu Gott empor.

Szenen wie der Studentendispnt über die Weltanschauung oder Detmars
Versuch, die Liebe physiologisch zu erklären, oder die Mensur zwischen den zwei
Seelen unsers Helden, der ernsten Denker- und Gottsucherseele, die Detmar, und
der fideler gemütlichen Künstlerseele, die Kmuskopf heißt, um die Tracht -- jene
kämpft für den schwarzen Rock und Zhlinder, diese für Joppe und Kalabreser --
würden Jenn Paul und Wilhelm Rande Ehre mache". Über den Birnbaum, auf
dem der verliebte alte Narr, der Agnes Vormund, Zeuge sein muß, wie sein
Mündel dein verhaßten Krauskopf ihre Liebe gesteht, würde sich Boccaccio freuen,
nur daß unsre beiden reinen Heldcnseelen von keinem Hauch boccacciesker Lüstern¬
heit befleckt sind, und die Gedichte, in denen Detmar und Agnes nebst Oheim
und Tante gelegentlich ihre Gefühle ausströmen, würden ein ganz anständiges



") Krauskopf. Roman von Hermann Wette. Drittes Buch! .Vom Jüngling zum
Mann. Leipzig, Fr. Will). Grunow, 1905.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Zwischen dem 31. Dezember und dem 4. Januar ist es ein Jahr gewesen,
daß die Abteilung Meister durch Tngesglut und Nachtfrost, durch Dünen und
Klippen auf Großnabas marschierte, vierundfünfzig Stunden fast verschmachtend
gegen eine wohlgedeckte fünffache Übermacht im Fcnergefecht lag und endlich am
dritten Kampftage die Wasserstelle erstürmte. Die Batterie der Abteilung verlor
sämtliche Offiziere, bei zwei Geschützen fielen sämtliche Bedienungsmannschaften. Der
Gesamtverlust der Abteilung betrug fast fünfzig Prozent der Gefechtstärke.

Denken in diesen Tagen außer den Angehörigen so viele so warm der fernen
Toten, wie es dem deutschen Volke ziemt, und wie es die tapfern Kämpfer verdient
haben? Vielleicht trägt der Verlag der Heeresbilder Sorge, daß übers Jahr die
fernen Gräber weniger vergessen sind.


Ludwig Uemmer
Krauskopf.")

So wäre denn unser Herzens- und Schmerzenssohn Detmar
glücklich ans Ziel gebracht! Kein kleines Stück Arbeit für seinen Schöpfer! Denn
dieser Detmar ist ein Universalgenie, das mit einundzwanzig Jahren schon drei
Fakultäten dnrchschmaruzt und Wunderkuren verrichtet hat — Doktor und Professor
mag er nicht werden, nur praktischer Arzt und Menschenfreund —, dabei auch aller
schönen Künste Meister ist, sodaß er beinahe Wagnersänger geworden wäre; und
um ihn mit eilten diesen Vorzügen ausstatten zu können, mußte sie sein Schöpfer
doch selbst erworben haben. Wir finden das Urbild des deutschen Jünglings in
Bonn wieder, am Arndtdenkmale, mit himmelhochjanchzendem und zum Tode be¬
trübtem Herzen. Denn sein Freund Ferdinand hatte ihm vor der Abreise aus der
westfälischen Heimat den gefährlichen Auftrag gegeben, für ihn bei der holden Agnes
zu werben, und er hatte — natürlich unbewußt — für sich selbst geworben. Der
Gefahr, zum Verräter am Freunde zu werden, entrückt ihn dieser, indem er, von
einem Frömmigkeitsraptns ergriffen, irdischer Liebe entsagt, aber um die Geliebte
bringt ihn der Saufteufel. Des gläubigen Vaters Gebot gehorchend, tritt er in
die katholische Verbindung Bavnria ein, deren Mitglieder die Glnubeuszweifel im
Bierdusel ersticken, und dort ersäuft er seinen Liebeskummer. Zwar treibt ihn rohes
Geschimpf auf Luther aus dieser Gesellschaft in eine andre Verbindung, die mehr
Geist hat — die Vertreter zweier Verbindungen verschiedner Richtung werben um
ihn und erörtern dabei die großen Fragen der Menschheit im drolligsten, ulkigsten
Studentenjnrgvn —, aber die bei den „Papparen" angenommne Gewohnheit eines
überreichlicher Früh- und Abendschvppens behält er bei, und als Tante Johanna
und Agnes einmal zum Besuch kommen, macht er den Eindruck eines Säufers.
Entsetzt flieht Agnes vor ihrem verpfuschten Ideal ins Kloster, und Dettuar will
sich entleihen. Eines Drehorgelspielers „O du lieber Augustin" und ein Sozial-
demokrat, ein ausnahmsweise feiner Genosse, bewahren ihn vor der Torheit. Der
sozialistische, philosophisch gebildete Gerbcrmeister führt ihn in Feuerbach, David
Strauß. Vogt und Büchner ein, und als vollendeter Stoffpintscher, wie der Patohm
die Sorte nenut, geht er uach München. Dort lebt er ausschließlich ernstem Studium
und arbeitet sich aus der Stvffpintscherei wieder zum Licht und zu Gott empor.

Szenen wie der Studentendispnt über die Weltanschauung oder Detmars
Versuch, die Liebe physiologisch zu erklären, oder die Mensur zwischen den zwei
Seelen unsers Helden, der ernsten Denker- und Gottsucherseele, die Detmar, und
der fideler gemütlichen Künstlerseele, die Kmuskopf heißt, um die Tracht — jene
kämpft für den schwarzen Rock und Zhlinder, diese für Joppe und Kalabreser —
würden Jenn Paul und Wilhelm Rande Ehre mache». Über den Birnbaum, auf
dem der verliebte alte Narr, der Agnes Vormund, Zeuge sein muß, wie sein
Mündel dein verhaßten Krauskopf ihre Liebe gesteht, würde sich Boccaccio freuen,
nur daß unsre beiden reinen Heldcnseelen von keinem Hauch boccacciesker Lüstern¬
heit befleckt sind, und die Gedichte, in denen Detmar und Agnes nebst Oheim
und Tante gelegentlich ihre Gefühle ausströmen, würden ein ganz anständiges



") Krauskopf. Roman von Hermann Wette. Drittes Buch! .Vom Jüngling zum
Mann. Leipzig, Fr. Will). Grunow, 1905.
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[0071] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zwischen dem 31. Dezember und dem 4. Januar ist es ein Jahr gewesen, daß die Abteilung Meister durch Tngesglut und Nachtfrost, durch Dünen und Klippen auf Großnabas marschierte, vierundfünfzig Stunden fast verschmachtend gegen eine wohlgedeckte fünffache Übermacht im Fcnergefecht lag und endlich am dritten Kampftage die Wasserstelle erstürmte. Die Batterie der Abteilung verlor sämtliche Offiziere, bei zwei Geschützen fielen sämtliche Bedienungsmannschaften. Der Gesamtverlust der Abteilung betrug fast fünfzig Prozent der Gefechtstärke. Denken in diesen Tagen außer den Angehörigen so viele so warm der fernen Toten, wie es dem deutschen Volke ziemt, und wie es die tapfern Kämpfer verdient haben? Vielleicht trägt der Verlag der Heeresbilder Sorge, daß übers Jahr die fernen Gräber weniger vergessen sind. Ludwig Uemmer Krauskopf.") So wäre denn unser Herzens- und Schmerzenssohn Detmar glücklich ans Ziel gebracht! Kein kleines Stück Arbeit für seinen Schöpfer! Denn dieser Detmar ist ein Universalgenie, das mit einundzwanzig Jahren schon drei Fakultäten dnrchschmaruzt und Wunderkuren verrichtet hat — Doktor und Professor mag er nicht werden, nur praktischer Arzt und Menschenfreund —, dabei auch aller schönen Künste Meister ist, sodaß er beinahe Wagnersänger geworden wäre; und um ihn mit eilten diesen Vorzügen ausstatten zu können, mußte sie sein Schöpfer doch selbst erworben haben. Wir finden das Urbild des deutschen Jünglings in Bonn wieder, am Arndtdenkmale, mit himmelhochjanchzendem und zum Tode be¬ trübtem Herzen. Denn sein Freund Ferdinand hatte ihm vor der Abreise aus der westfälischen Heimat den gefährlichen Auftrag gegeben, für ihn bei der holden Agnes zu werben, und er hatte — natürlich unbewußt — für sich selbst geworben. Der Gefahr, zum Verräter am Freunde zu werden, entrückt ihn dieser, indem er, von einem Frömmigkeitsraptns ergriffen, irdischer Liebe entsagt, aber um die Geliebte bringt ihn der Saufteufel. Des gläubigen Vaters Gebot gehorchend, tritt er in die katholische Verbindung Bavnria ein, deren Mitglieder die Glnubeuszweifel im Bierdusel ersticken, und dort ersäuft er seinen Liebeskummer. Zwar treibt ihn rohes Geschimpf auf Luther aus dieser Gesellschaft in eine andre Verbindung, die mehr Geist hat — die Vertreter zweier Verbindungen verschiedner Richtung werben um ihn und erörtern dabei die großen Fragen der Menschheit im drolligsten, ulkigsten Studentenjnrgvn —, aber die bei den „Papparen" angenommne Gewohnheit eines überreichlicher Früh- und Abendschvppens behält er bei, und als Tante Johanna und Agnes einmal zum Besuch kommen, macht er den Eindruck eines Säufers. Entsetzt flieht Agnes vor ihrem verpfuschten Ideal ins Kloster, und Dettuar will sich entleihen. Eines Drehorgelspielers „O du lieber Augustin" und ein Sozial- demokrat, ein ausnahmsweise feiner Genosse, bewahren ihn vor der Torheit. Der sozialistische, philosophisch gebildete Gerbcrmeister führt ihn in Feuerbach, David Strauß. Vogt und Büchner ein, und als vollendeter Stoffpintscher, wie der Patohm die Sorte nenut, geht er uach München. Dort lebt er ausschließlich ernstem Studium und arbeitet sich aus der Stvffpintscherei wieder zum Licht und zu Gott empor. Szenen wie der Studentendispnt über die Weltanschauung oder Detmars Versuch, die Liebe physiologisch zu erklären, oder die Mensur zwischen den zwei Seelen unsers Helden, der ernsten Denker- und Gottsucherseele, die Detmar, und der fideler gemütlichen Künstlerseele, die Kmuskopf heißt, um die Tracht — jene kämpft für den schwarzen Rock und Zhlinder, diese für Joppe und Kalabreser — würden Jenn Paul und Wilhelm Rande Ehre mache». Über den Birnbaum, auf dem der verliebte alte Narr, der Agnes Vormund, Zeuge sein muß, wie sein Mündel dein verhaßten Krauskopf ihre Liebe gesteht, würde sich Boccaccio freuen, nur daß unsre beiden reinen Heldcnseelen von keinem Hauch boccacciesker Lüstern¬ heit befleckt sind, und die Gedichte, in denen Detmar und Agnes nebst Oheim und Tante gelegentlich ihre Gefühle ausströmen, würden ein ganz anständiges ") Krauskopf. Roman von Hermann Wette. Drittes Buch! .Vom Jüngling zum Mann. Leipzig, Fr. Will). Grunow, 1905.

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_298274/71>, abgerufen am 08.05.2024.