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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Nenschenfrühling
Lharlotte Niese von(Fortsetzung)
8

le Welt veränderte sich schnell. An einem Morgen war Anneli noch
über den Schloßhof gelaufen und hatte sich geschmeichelt gefühlt, von
Slina Böteführ angeredet zu werden; am nächsten Tage wanderte
sie in den Ställen von Falkenhvrst umher; der Kutscher und der
Reitknecht verbeugten sich vor ihr, und sie durfte die Teckelhündin
Rosa und ihren diesjährigen Sohn Cäsar bewundern, der eigent¬
lich hätte groß werden sollen und nach dem Urteil Sachverständiger doch klein
bleiben würde.

So ging es mit mancherlei Dingen. Was groß werden sollte, blieb klein,
aber das Umgekehrte konnte auch einmal vorkommen. Bernb Falkenberg sagte diese
Weisheit mit wichtiger Miene, wie er denn überhaupt Anneli mit einer gewissen
Herablassung behandelte, obgleich sie seine rechte Cousine war, und er auch voll¬
ständig bereit war, die Verwandtschaft anzuerkennen.

Es gibt immer einige Leute, die verkehrt heiraten, meinte er. Herr Linde¬
mann sagt, das sei schon immer vorgekommen. Langweilig ist es, und besser wäre
es, du hießest nicht gerade ganz einfach Pankow und hättest wenigstens ein "von"
vor dem Namen. Aber du hast es nicht, und deine Schuld ist es auch nicht.

Bernb war ein blonder Junge von etwa dreizehn Jahren, der nicht ganz
leicht lernte und sich mit seinem Hauslehrer, Herrn Lindemann, oft etwas erzürnte.
Zlber er hatte ein gutes Herz und würde noch besser gewesen sein, wenn ihn nicht
das Bewußtsein seiner Vornehmheit manchmal hochmütig und eigenwillig ge¬
macht hätte.

Ich kriege nämlich das ganze Gut, sagte er schon am ersten Tage seiner Be¬
kanntschaft zu Anneli.

Wann? erkundigte sich diese.

Wenn Papa tot ist.

Wird er denn bald sterben?

Bernds blondes Gesicht rötete sich. Ach nein, natürlich nicht. Ich meine
nur, später einmal. Das Vermögen kommt überhaupt von Mama her; Papa hat
Falkenhorst nur übernehmen können, weil sie Geld hatte.

Alles das verstand Anneli nicht ordentlich, aber es war ihr auch einerlei. Sie
lief in dem weiten Gutshaus umher oder in dem großen Garten, dessen grüne
Rasenflächen mit alten Bäumen eingefaßt waren, sie freute sich über den Hühnerhof
und über den Obstgarten, über die fetten kleinen Schweinchen des Viehstalles und
über den eigensinnigen kleinen Pony, der Bernb gehörte, und auf dem auch sie manch¬
mal vorsichtig reiten durfte.

Falkenhorst mit allem, was dazu gehörte, überwältigte sie. Da war keine
kleine Stadt mit holprigen Straßen, da waren keine größern Mädchen, vor denen
sie Scheu empfand, keine Schularbeiten, keine Bußlieder zum Auswendiglernen.
Hier waren Wald und Feld, Garten und Ställe, Freiheit und Fröhlichkeit. Es
war fast so schön wie in Virneburg, wo sie ungebunden gewesen war, und wo




Nenschenfrühling
Lharlotte Niese von(Fortsetzung)
8

le Welt veränderte sich schnell. An einem Morgen war Anneli noch
über den Schloßhof gelaufen und hatte sich geschmeichelt gefühlt, von
Slina Böteführ angeredet zu werden; am nächsten Tage wanderte
sie in den Ställen von Falkenhvrst umher; der Kutscher und der
Reitknecht verbeugten sich vor ihr, und sie durfte die Teckelhündin
Rosa und ihren diesjährigen Sohn Cäsar bewundern, der eigent¬
lich hätte groß werden sollen und nach dem Urteil Sachverständiger doch klein
bleiben würde.

So ging es mit mancherlei Dingen. Was groß werden sollte, blieb klein,
aber das Umgekehrte konnte auch einmal vorkommen. Bernb Falkenberg sagte diese
Weisheit mit wichtiger Miene, wie er denn überhaupt Anneli mit einer gewissen
Herablassung behandelte, obgleich sie seine rechte Cousine war, und er auch voll¬
ständig bereit war, die Verwandtschaft anzuerkennen.

Es gibt immer einige Leute, die verkehrt heiraten, meinte er. Herr Linde¬
mann sagt, das sei schon immer vorgekommen. Langweilig ist es, und besser wäre
es, du hießest nicht gerade ganz einfach Pankow und hättest wenigstens ein „von"
vor dem Namen. Aber du hast es nicht, und deine Schuld ist es auch nicht.

Bernb war ein blonder Junge von etwa dreizehn Jahren, der nicht ganz
leicht lernte und sich mit seinem Hauslehrer, Herrn Lindemann, oft etwas erzürnte.
Zlber er hatte ein gutes Herz und würde noch besser gewesen sein, wenn ihn nicht
das Bewußtsein seiner Vornehmheit manchmal hochmütig und eigenwillig ge¬
macht hätte.

Ich kriege nämlich das ganze Gut, sagte er schon am ersten Tage seiner Be¬
kanntschaft zu Anneli.

Wann? erkundigte sich diese.

Wenn Papa tot ist.

Wird er denn bald sterben?

Bernds blondes Gesicht rötete sich. Ach nein, natürlich nicht. Ich meine
nur, später einmal. Das Vermögen kommt überhaupt von Mama her; Papa hat
Falkenhorst nur übernehmen können, weil sie Geld hatte.

Alles das verstand Anneli nicht ordentlich, aber es war ihr auch einerlei. Sie
lief in dem weiten Gutshaus umher oder in dem großen Garten, dessen grüne
Rasenflächen mit alten Bäumen eingefaßt waren, sie freute sich über den Hühnerhof
und über den Obstgarten, über die fetten kleinen Schweinchen des Viehstalles und
über den eigensinnigen kleinen Pony, der Bernb gehörte, und auf dem auch sie manch¬
mal vorsichtig reiten durfte.

Falkenhorst mit allem, was dazu gehörte, überwältigte sie. Da war keine
kleine Stadt mit holprigen Straßen, da waren keine größern Mädchen, vor denen
sie Scheu empfand, keine Schularbeiten, keine Bußlieder zum Auswendiglernen.
Hier waren Wald und Feld, Garten und Ställe, Freiheit und Fröhlichkeit. Es
war fast so schön wie in Virneburg, wo sie ungebunden gewesen war, und wo


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[0222] [Abbildung] Nenschenfrühling Lharlotte Niese von(Fortsetzung) 8 le Welt veränderte sich schnell. An einem Morgen war Anneli noch über den Schloßhof gelaufen und hatte sich geschmeichelt gefühlt, von Slina Böteführ angeredet zu werden; am nächsten Tage wanderte sie in den Ställen von Falkenhvrst umher; der Kutscher und der Reitknecht verbeugten sich vor ihr, und sie durfte die Teckelhündin Rosa und ihren diesjährigen Sohn Cäsar bewundern, der eigent¬ lich hätte groß werden sollen und nach dem Urteil Sachverständiger doch klein bleiben würde. So ging es mit mancherlei Dingen. Was groß werden sollte, blieb klein, aber das Umgekehrte konnte auch einmal vorkommen. Bernb Falkenberg sagte diese Weisheit mit wichtiger Miene, wie er denn überhaupt Anneli mit einer gewissen Herablassung behandelte, obgleich sie seine rechte Cousine war, und er auch voll¬ ständig bereit war, die Verwandtschaft anzuerkennen. Es gibt immer einige Leute, die verkehrt heiraten, meinte er. Herr Linde¬ mann sagt, das sei schon immer vorgekommen. Langweilig ist es, und besser wäre es, du hießest nicht gerade ganz einfach Pankow und hättest wenigstens ein „von" vor dem Namen. Aber du hast es nicht, und deine Schuld ist es auch nicht. Bernb war ein blonder Junge von etwa dreizehn Jahren, der nicht ganz leicht lernte und sich mit seinem Hauslehrer, Herrn Lindemann, oft etwas erzürnte. Zlber er hatte ein gutes Herz und würde noch besser gewesen sein, wenn ihn nicht das Bewußtsein seiner Vornehmheit manchmal hochmütig und eigenwillig ge¬ macht hätte. Ich kriege nämlich das ganze Gut, sagte er schon am ersten Tage seiner Be¬ kanntschaft zu Anneli. Wann? erkundigte sich diese. Wenn Papa tot ist. Wird er denn bald sterben? Bernds blondes Gesicht rötete sich. Ach nein, natürlich nicht. Ich meine nur, später einmal. Das Vermögen kommt überhaupt von Mama her; Papa hat Falkenhorst nur übernehmen können, weil sie Geld hatte. Alles das verstand Anneli nicht ordentlich, aber es war ihr auch einerlei. Sie lief in dem weiten Gutshaus umher oder in dem großen Garten, dessen grüne Rasenflächen mit alten Bäumen eingefaßt waren, sie freute sich über den Hühnerhof und über den Obstgarten, über die fetten kleinen Schweinchen des Viehstalles und über den eigensinnigen kleinen Pony, der Bernb gehörte, und auf dem auch sie manch¬ mal vorsichtig reiten durfte. Falkenhorst mit allem, was dazu gehörte, überwältigte sie. Da war keine kleine Stadt mit holprigen Straßen, da waren keine größern Mädchen, vor denen sie Scheu empfand, keine Schularbeiten, keine Bußlieder zum Auswendiglernen. Hier waren Wald und Feld, Garten und Ställe, Freiheit und Fröhlichkeit. Es war fast so schön wie in Virneburg, wo sie ungebunden gewesen war, und wo

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/222>, abgerufen am 04.05.2024.