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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Sprichwort gewärtig: Bange machen gilt nicht! Auch trägt es wirklich weder zur
Förderung des Ansehens noch zur Förderung der politischen Geschäfte des Reichs bei,
daß unsre öffentliche Meinung durch die Presse dauernd in Sorgen wegen der In¬
triguen des Auslandes erhalten wird. Michel war doch sonst nicht ein Kerl, der sich
so leicht einschüchtern ließ. Zum Glück ist in Wirklichkeit die Sorge, die das Ausland
vor den Deutschen hat, mindestens ebenso groß wie die Sorge, die unsre Zeitungen
uns vor dem Ausland einflößen. Die andern europäischen Nationen wissen ganz
genau, daß die Trauben, nach denen sie bei uns trachten könnten, ihnen recht sauer
sein würden, und wiederum gibt es in ganz Europa keine Trauben, nach denen
wir Deutschen lüstern sind. Der König von England wird sich in der Rolle des
"Gottseibeiuns", die ihm eine Anzahl deutscher Zeitungen zurechtgemacht hat, recht
drollig vorkommen. Mag er tatsächlich die Seele oder der geschäftliche Mittel¬
punkt deutschfeindlicher internationaler Bestrebungen sein, deren Spuren ja im vorigen
Jahre deutlich nachweisbar waren, so liegt dem durchaus kein Überschäumen offensiven
Kraftgefühls, sondern eher die Besorgnis vor dem wirtschaftlichen Wachstum Deutsch¬
lands und vor dessen Folgen für England zugrunde. Das Auftauchen der Deutschen,
ihrer Unternehmungen, ihrer Flagge, ihrer Eisenbahnen und ihrer Schiffahrt an
Punkten des Erdballs, an denen diese sonst völlig unbekannt waren, die Entfaltung des
deutschen Unternehmungsgeistes und seine wachsende Kapitalkraft -- das alles wirkt auf
vorschauende britische Staatsmänner, zu denen der König unstreitig gehört, um so be¬
unruhigender, als sie diese Entwicklung getragen wissen von einer Kraft, die sie uns
nicht nachmachen können. Diese Kraft heißt die allgemeine Wehrpflicht. Preußen
begeht in wenig Jahren ihr hundertjähriges Jubiläum. Dieses Jahrhundert der
allgemeinen Wehrpflicht ist für eine Reihe von Generationen ein hartes Opfer ge¬
wesen, aber nach der reichen politischen Siegesfrucht unsrer Einigungskriege beginnt
jetzt auch die wirtschaftliche zu reifen. Einer der höchsten britischen Seeoffiziere hat
es einem unsrer Admiräle offen ausgesprochen, daß England die wachsende Über¬
legenheit der deutschen Arbeit zu fürchten beginne, die auf Disziplin, Pünktlichkeit,
Exaktheit und Gehorsam beruhe, Eigenschaften, die der englische Arbeiter in dieser
Vollkommenheit nie erreichen werde. Es gebe nur noch wenig Gebiete, auf denen
der deutsche Arbeiter dem englischen nicht gleichkomme, wohl aber manche, auf denen
er ihn schon überflügelt habe dank der Schule, die die allgemeine Wehrpflicht für
Deutschlands nationale Kraft auch in der friedlichen Arbeit darstelle. Das sind
Englands Sorgen. Es wird sich damit eines Tages nicht von der militärischen,
sondern von der wirtschaftlichen Seite her vor die Frage der allgemeinen Wehr¬
pflicht gestellt sehen. Ob sie heute noch für England möglich sein würde, ist ebenso
eine offne Frage wie die, ob sie im Falle der Einführung die Früchte zu bringen
vermöchte, die Deutschland seiner hundertjährigen allgemeinen Wehrpflicht, dem
Kinde der tiefsten Not und der höchsten Vaterlandsliebe, verdankt. Wir haben einst
"Gold für Eisen" gegeben, um jetzt nach einem Jahrhundert tausendfältig Gold zu
ernten. Sorgen wir, daß das Eisen dabei nicht rosee und unser Volk der Arbeit
ein Volk in Waffen, unser Volk in Waffen ein Volk der Arbeit bleibe! Den Kampf
um die friedliche Weltherrschaft der Überlegenheit in den Werken des Friedens
brauchen wir dann nicht zu scheuen -- es sei denn, daß unsre Arbeiter den Maßstab
dafür verlieren, daß sie doch nur ein Teil des Ganzen sind und sich um ihres eignen
Gedeihens willen dem großen Ganzen unterordnen, darin aufgehn müssen. Dieses
"z* Ganze ist das Vaterland



Thomas Carlyle: Friedrich der Große.

(Berlin. Behrs Verlag.) Gekürzte
Ausgabe in einem Bande, besorgt von Karl Linnebach. Buchhändler würden darüber
sicher Auskunft geben können, ob die deutsche Carlylegemeinde noch immer wächst oder
zurückgeht. Nach dem mutigen Vorgang, den die Veröffentlichung des vorliegenden
starken Bandes bedeutet, darf Man das erste annehmen. Wir sind weder Freunde
von Carlyles IisroZuip noch Verehrer seines originalitätssüchtigen Stils. Soll er


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Sprichwort gewärtig: Bange machen gilt nicht! Auch trägt es wirklich weder zur
Förderung des Ansehens noch zur Förderung der politischen Geschäfte des Reichs bei,
daß unsre öffentliche Meinung durch die Presse dauernd in Sorgen wegen der In¬
triguen des Auslandes erhalten wird. Michel war doch sonst nicht ein Kerl, der sich
so leicht einschüchtern ließ. Zum Glück ist in Wirklichkeit die Sorge, die das Ausland
vor den Deutschen hat, mindestens ebenso groß wie die Sorge, die unsre Zeitungen
uns vor dem Ausland einflößen. Die andern europäischen Nationen wissen ganz
genau, daß die Trauben, nach denen sie bei uns trachten könnten, ihnen recht sauer
sein würden, und wiederum gibt es in ganz Europa keine Trauben, nach denen
wir Deutschen lüstern sind. Der König von England wird sich in der Rolle des
„Gottseibeiuns", die ihm eine Anzahl deutscher Zeitungen zurechtgemacht hat, recht
drollig vorkommen. Mag er tatsächlich die Seele oder der geschäftliche Mittel¬
punkt deutschfeindlicher internationaler Bestrebungen sein, deren Spuren ja im vorigen
Jahre deutlich nachweisbar waren, so liegt dem durchaus kein Überschäumen offensiven
Kraftgefühls, sondern eher die Besorgnis vor dem wirtschaftlichen Wachstum Deutsch¬
lands und vor dessen Folgen für England zugrunde. Das Auftauchen der Deutschen,
ihrer Unternehmungen, ihrer Flagge, ihrer Eisenbahnen und ihrer Schiffahrt an
Punkten des Erdballs, an denen diese sonst völlig unbekannt waren, die Entfaltung des
deutschen Unternehmungsgeistes und seine wachsende Kapitalkraft — das alles wirkt auf
vorschauende britische Staatsmänner, zu denen der König unstreitig gehört, um so be¬
unruhigender, als sie diese Entwicklung getragen wissen von einer Kraft, die sie uns
nicht nachmachen können. Diese Kraft heißt die allgemeine Wehrpflicht. Preußen
begeht in wenig Jahren ihr hundertjähriges Jubiläum. Dieses Jahrhundert der
allgemeinen Wehrpflicht ist für eine Reihe von Generationen ein hartes Opfer ge¬
wesen, aber nach der reichen politischen Siegesfrucht unsrer Einigungskriege beginnt
jetzt auch die wirtschaftliche zu reifen. Einer der höchsten britischen Seeoffiziere hat
es einem unsrer Admiräle offen ausgesprochen, daß England die wachsende Über¬
legenheit der deutschen Arbeit zu fürchten beginne, die auf Disziplin, Pünktlichkeit,
Exaktheit und Gehorsam beruhe, Eigenschaften, die der englische Arbeiter in dieser
Vollkommenheit nie erreichen werde. Es gebe nur noch wenig Gebiete, auf denen
der deutsche Arbeiter dem englischen nicht gleichkomme, wohl aber manche, auf denen
er ihn schon überflügelt habe dank der Schule, die die allgemeine Wehrpflicht für
Deutschlands nationale Kraft auch in der friedlichen Arbeit darstelle. Das sind
Englands Sorgen. Es wird sich damit eines Tages nicht von der militärischen,
sondern von der wirtschaftlichen Seite her vor die Frage der allgemeinen Wehr¬
pflicht gestellt sehen. Ob sie heute noch für England möglich sein würde, ist ebenso
eine offne Frage wie die, ob sie im Falle der Einführung die Früchte zu bringen
vermöchte, die Deutschland seiner hundertjährigen allgemeinen Wehrpflicht, dem
Kinde der tiefsten Not und der höchsten Vaterlandsliebe, verdankt. Wir haben einst
„Gold für Eisen" gegeben, um jetzt nach einem Jahrhundert tausendfältig Gold zu
ernten. Sorgen wir, daß das Eisen dabei nicht rosee und unser Volk der Arbeit
ein Volk in Waffen, unser Volk in Waffen ein Volk der Arbeit bleibe! Den Kampf
um die friedliche Weltherrschaft der Überlegenheit in den Werken des Friedens
brauchen wir dann nicht zu scheuen — es sei denn, daß unsre Arbeiter den Maßstab
dafür verlieren, daß sie doch nur ein Teil des Ganzen sind und sich um ihres eignen
Gedeihens willen dem großen Ganzen unterordnen, darin aufgehn müssen. Dieses
»z* Ganze ist das Vaterland



Thomas Carlyle: Friedrich der Große.

(Berlin. Behrs Verlag.) Gekürzte
Ausgabe in einem Bande, besorgt von Karl Linnebach. Buchhändler würden darüber
sicher Auskunft geben können, ob die deutsche Carlylegemeinde noch immer wächst oder
zurückgeht. Nach dem mutigen Vorgang, den die Veröffentlichung des vorliegenden
starken Bandes bedeutet, darf Man das erste annehmen. Wir sind weder Freunde
von Carlyles IisroZuip noch Verehrer seines originalitätssüchtigen Stils. Soll er


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[0406] Maßgebliches und Unmaßgebliches Sprichwort gewärtig: Bange machen gilt nicht! Auch trägt es wirklich weder zur Förderung des Ansehens noch zur Förderung der politischen Geschäfte des Reichs bei, daß unsre öffentliche Meinung durch die Presse dauernd in Sorgen wegen der In¬ triguen des Auslandes erhalten wird. Michel war doch sonst nicht ein Kerl, der sich so leicht einschüchtern ließ. Zum Glück ist in Wirklichkeit die Sorge, die das Ausland vor den Deutschen hat, mindestens ebenso groß wie die Sorge, die unsre Zeitungen uns vor dem Ausland einflößen. Die andern europäischen Nationen wissen ganz genau, daß die Trauben, nach denen sie bei uns trachten könnten, ihnen recht sauer sein würden, und wiederum gibt es in ganz Europa keine Trauben, nach denen wir Deutschen lüstern sind. Der König von England wird sich in der Rolle des „Gottseibeiuns", die ihm eine Anzahl deutscher Zeitungen zurechtgemacht hat, recht drollig vorkommen. Mag er tatsächlich die Seele oder der geschäftliche Mittel¬ punkt deutschfeindlicher internationaler Bestrebungen sein, deren Spuren ja im vorigen Jahre deutlich nachweisbar waren, so liegt dem durchaus kein Überschäumen offensiven Kraftgefühls, sondern eher die Besorgnis vor dem wirtschaftlichen Wachstum Deutsch¬ lands und vor dessen Folgen für England zugrunde. Das Auftauchen der Deutschen, ihrer Unternehmungen, ihrer Flagge, ihrer Eisenbahnen und ihrer Schiffahrt an Punkten des Erdballs, an denen diese sonst völlig unbekannt waren, die Entfaltung des deutschen Unternehmungsgeistes und seine wachsende Kapitalkraft — das alles wirkt auf vorschauende britische Staatsmänner, zu denen der König unstreitig gehört, um so be¬ unruhigender, als sie diese Entwicklung getragen wissen von einer Kraft, die sie uns nicht nachmachen können. Diese Kraft heißt die allgemeine Wehrpflicht. Preußen begeht in wenig Jahren ihr hundertjähriges Jubiläum. Dieses Jahrhundert der allgemeinen Wehrpflicht ist für eine Reihe von Generationen ein hartes Opfer ge¬ wesen, aber nach der reichen politischen Siegesfrucht unsrer Einigungskriege beginnt jetzt auch die wirtschaftliche zu reifen. Einer der höchsten britischen Seeoffiziere hat es einem unsrer Admiräle offen ausgesprochen, daß England die wachsende Über¬ legenheit der deutschen Arbeit zu fürchten beginne, die auf Disziplin, Pünktlichkeit, Exaktheit und Gehorsam beruhe, Eigenschaften, die der englische Arbeiter in dieser Vollkommenheit nie erreichen werde. Es gebe nur noch wenig Gebiete, auf denen der deutsche Arbeiter dem englischen nicht gleichkomme, wohl aber manche, auf denen er ihn schon überflügelt habe dank der Schule, die die allgemeine Wehrpflicht für Deutschlands nationale Kraft auch in der friedlichen Arbeit darstelle. Das sind Englands Sorgen. Es wird sich damit eines Tages nicht von der militärischen, sondern von der wirtschaftlichen Seite her vor die Frage der allgemeinen Wehr¬ pflicht gestellt sehen. Ob sie heute noch für England möglich sein würde, ist ebenso eine offne Frage wie die, ob sie im Falle der Einführung die Früchte zu bringen vermöchte, die Deutschland seiner hundertjährigen allgemeinen Wehrpflicht, dem Kinde der tiefsten Not und der höchsten Vaterlandsliebe, verdankt. Wir haben einst „Gold für Eisen" gegeben, um jetzt nach einem Jahrhundert tausendfältig Gold zu ernten. Sorgen wir, daß das Eisen dabei nicht rosee und unser Volk der Arbeit ein Volk in Waffen, unser Volk in Waffen ein Volk der Arbeit bleibe! Den Kampf um die friedliche Weltherrschaft der Überlegenheit in den Werken des Friedens brauchen wir dann nicht zu scheuen — es sei denn, daß unsre Arbeiter den Maßstab dafür verlieren, daß sie doch nur ein Teil des Ganzen sind und sich um ihres eignen Gedeihens willen dem großen Ganzen unterordnen, darin aufgehn müssen. Dieses »z* Ganze ist das Vaterland Thomas Carlyle: Friedrich der Große. (Berlin. Behrs Verlag.) Gekürzte Ausgabe in einem Bande, besorgt von Karl Linnebach. Buchhändler würden darüber sicher Auskunft geben können, ob die deutsche Carlylegemeinde noch immer wächst oder zurückgeht. Nach dem mutigen Vorgang, den die Veröffentlichung des vorliegenden starken Bandes bedeutet, darf Man das erste annehmen. Wir sind weder Freunde von Carlyles IisroZuip noch Verehrer seines originalitätssüchtigen Stils. Soll er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/406>, abgerufen am 04.05.2024.