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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Der Bopparder Krieg

Mehr kann nur dazu dienen, den Bildungsdünkel zu erzeugen, der sich erkühnt,
überall mitzureden statt bescheidentlich mit seinem Urteil zurückzuhalten, eine
Anmaßung, die sich erhaben dünkt über die doch recht alltäglichen Anforderungen
des Berufs, eine Unzufriedenheit, die überall über ungenügende Anerkennung
klagt. Wo die erworbne Bildung in keinem Verhältnis steht zu dem aus¬
geübte!: Beruf, da kann sie nur eine Quelle der Unzufriedenheit werden. Der
philosophierende Schuster ist wahrscheinlich ein schlechter Philosoph, sicher aber
ein schlechter Schuster.

Vertiefung, nicht Verbreiterung der Bildung, das ist es, was uns und um
meisten unsern Schulen not tut. Ehe wir uns über die Grenzen der Bildungs¬
fähigkeit nicht klar geworden sind, ehe wir die edle Einfachheit nicht wieder¬
finden, die das Wesen aller wahrhaft hohen Kultur gewesen ist und sein wird,
eher wird unser nationales und geistiges Leben nicht zu voller Kraft und
G Franz Weber esundheit erstarken.




Der Bopparder Krieg
Julius R. Haarhaus Line rheinische Geschichte von
(Fortsetzung)

HAG?^M""S^M>?HlM Sonntag Morgen nach der Frühmesse konnte der Hofmeister des
jungen Markgrafen von Baden, Erhard Teurling, den der Kurfürst
zum obersten Hauptmann über alles Geschütz vor Boppard gesetzt
j hatte, auf dem Kloster melden, daß die Lagerung der schweren Haupt¬
büchsen glücklich vollendet worden sei, und daß man in den Redouten
I den Befehl zur Eröffnung der Feindseligkeiten erwarte. Diese Nach¬
richt kam Johann dem Zweiten durchaus nicht gelegen. Jetzt, wo die Städtischen
deutlich zu erkennen gegeben hatten, daß sie einer freundschaftlichen Annäherung nicht
abgeneigt seien, mit der Beschießung der Stadt zu beginnen -- das ging dem alten
Herrn wider das Gefühl.

Am liebsten hätte er den armen Meister Teurling, der sein Bestes getan zu
haben glaubte, höchst ungnädig mit dem Bescheid entlassen, man möge abwarten,
bis es ihm beliebe, Befehle zu erteilen. Aber dazu fand er in Gegenwart seines
Kanzlers doch nicht den rechten Mut. Enschringer erlaubte sich nämlich daran zu
erinnern, man sei doch nicht mit einer so gewaltigen Heeresmacht Wider Boppard
gerückt, um nur die Orgelborner Kirmes zu feiern, man müsse vielmehr der Stadt
zu verstehn geben, daß man endlich Ernst machen wolle. Er habe in Erfahrung
gebracht, die Städtischen litten jetzt schon an Proviantmangel und könnten den ge-
wordnen Söldnern nichts andres als Brot und Wein reichen. Unter diesen Um¬
ständen dürfe man erwarten, daß sie sich, sobald die ersten Schüsse gefallen wären,
zur Übergabe entschließen würden.

Der Kurfürst mußte dem Kanzler, wenn auch schweren Herzens, beipflichten
und gab halb wider seine Überzeugung den erhellten Befehl, bestimmte aber aus¬
drücklich, man solle dafür sorgen, daß der Stadt und ihren Bewohnern kein ernst¬
licher Schade geschehe, und möge das Geschütz so richten, daß nur die Mauern und
die äußern Türme getroffen würden.


Der Bopparder Krieg

Mehr kann nur dazu dienen, den Bildungsdünkel zu erzeugen, der sich erkühnt,
überall mitzureden statt bescheidentlich mit seinem Urteil zurückzuhalten, eine
Anmaßung, die sich erhaben dünkt über die doch recht alltäglichen Anforderungen
des Berufs, eine Unzufriedenheit, die überall über ungenügende Anerkennung
klagt. Wo die erworbne Bildung in keinem Verhältnis steht zu dem aus¬
geübte!: Beruf, da kann sie nur eine Quelle der Unzufriedenheit werden. Der
philosophierende Schuster ist wahrscheinlich ein schlechter Philosoph, sicher aber
ein schlechter Schuster.

Vertiefung, nicht Verbreiterung der Bildung, das ist es, was uns und um
meisten unsern Schulen not tut. Ehe wir uns über die Grenzen der Bildungs¬
fähigkeit nicht klar geworden sind, ehe wir die edle Einfachheit nicht wieder¬
finden, die das Wesen aller wahrhaft hohen Kultur gewesen ist und sein wird,
eher wird unser nationales und geistiges Leben nicht zu voller Kraft und
G Franz Weber esundheit erstarken.




Der Bopparder Krieg
Julius R. Haarhaus Line rheinische Geschichte von
(Fortsetzung)

HAG?^M»»S^M>?HlM Sonntag Morgen nach der Frühmesse konnte der Hofmeister des
jungen Markgrafen von Baden, Erhard Teurling, den der Kurfürst
zum obersten Hauptmann über alles Geschütz vor Boppard gesetzt
j hatte, auf dem Kloster melden, daß die Lagerung der schweren Haupt¬
büchsen glücklich vollendet worden sei, und daß man in den Redouten
I den Befehl zur Eröffnung der Feindseligkeiten erwarte. Diese Nach¬
richt kam Johann dem Zweiten durchaus nicht gelegen. Jetzt, wo die Städtischen
deutlich zu erkennen gegeben hatten, daß sie einer freundschaftlichen Annäherung nicht
abgeneigt seien, mit der Beschießung der Stadt zu beginnen — das ging dem alten
Herrn wider das Gefühl.

Am liebsten hätte er den armen Meister Teurling, der sein Bestes getan zu
haben glaubte, höchst ungnädig mit dem Bescheid entlassen, man möge abwarten,
bis es ihm beliebe, Befehle zu erteilen. Aber dazu fand er in Gegenwart seines
Kanzlers doch nicht den rechten Mut. Enschringer erlaubte sich nämlich daran zu
erinnern, man sei doch nicht mit einer so gewaltigen Heeresmacht Wider Boppard
gerückt, um nur die Orgelborner Kirmes zu feiern, man müsse vielmehr der Stadt
zu verstehn geben, daß man endlich Ernst machen wolle. Er habe in Erfahrung
gebracht, die Städtischen litten jetzt schon an Proviantmangel und könnten den ge-
wordnen Söldnern nichts andres als Brot und Wein reichen. Unter diesen Um¬
ständen dürfe man erwarten, daß sie sich, sobald die ersten Schüsse gefallen wären,
zur Übergabe entschließen würden.

Der Kurfürst mußte dem Kanzler, wenn auch schweren Herzens, beipflichten
und gab halb wider seine Überzeugung den erhellten Befehl, bestimmte aber aus¬
drücklich, man solle dafür sorgen, daß der Stadt und ihren Bewohnern kein ernst¬
licher Schade geschehe, und möge das Geschütz so richten, daß nur die Mauern und
die äußern Türme getroffen würden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/108>, abgerufen am 30.04.2024.